Kaum zu glauben: Es gab Zeiten, in denen die Verbindung von Rap und Metal fast ketzerisch wirkte. Nach Run und Aerosmith, deren 'Walk This Way' (1986) eher in am Rock-Ecke beheimatet ist, waren Anthrax 1987 die ersten, die wirklich Metal spielten und dazu rappten. Im Text von 'I'm The Man' verteidigen sie ihren Stilbruch noch, vier Jahre später war eine Kollaboration mit Public Enemy ('Bring The Noise') recht erfolgreich. Die Rap Metal-Welle ging erst 1992 los mit Rage Against The Machine und den Schweden Clawfinger. Deren DEAF, DUMB, BLIND und die Single 'Nigger' verwandelten ab '93 jeden Club in eine Hüpfburg.
Clawfinger spielten in der Folgezeit mehr als 400 Konzerte vor 1,2 Millionen Leuten in 40 Ländern. Insbesondere eine Show im Kölner Luxor (heute Prime Club) blieb mir in Erinnerung, bei der der Schweiß von den Wänden tropfte, trotz niedriger Deckenhöhe die Stagediver durch die Luft flogen (Zuschauer und Musiker, wohlgemerkt) und die Band die Leute im Moshpit um Mäßigung bitten musste, weil ihnen der Platz ausging: Der Ansturm hatte die Einzelteile der Bühne einfach zusammengeschoben. Zwei Alben folgten, USE YOUR BRAIN (1995), und CLAWFINGER (1997), jedoch mit schwindender Wirkung. Danach ward von der Band nichts mehr gesehen oder gehört, obwohl Rap Metal in der Folgezeit mit Kapellen wie Limp Bizkit zu allerhöchsten Chartehren gelangte.
Jetzt plötzlich erscheinen Vokalist Zak Tell, Keyboarder Jocke Skog und die Gitarristen Bard Torstensen und Erlend Ottern im VorProgramm von Rammstein und bringen ein Album an den Start, das den HAMMER-Soundcheck gewinnt. Wie schon in der letzten Ausgabe erläutert, hatte sich die Band zu keinem Zeitpunkt aufgelöst, sondern war seit 1998 damit beschäftigt, ein Studio einzurichten und neue Stücke aufzunehmen. Das Album liegt seit dem letzten Jahr fertig im Schrank, doch Ärger mit der Plattenfirma zwang Clawfinger, sich aus dem Vertrag freikaufen und mit A WHOLE LOT OF NOTHING hausieren zu gehen, bis sie beim Bochumer Label G.U.N. ein neues Zuhause fanden.
Zak und Bard wirken im Gesprach vor dem Münchner Rammstein Konzert sehr entspannt. Vor allem Zak ist ein lockerer, angenehm ironischer Kerl und wie Bard weit vom Typus "Rockstar" entfernt. Große Sorgen über verlorenen Boden im Musikgeschäft scheinen sie sich nicht zu machen, auch wenn ihnen bewusst ist, dass sie ihre Anhängerschaft zurückgewinnen müssen.
Der erste Song auf A WHOLE LOT OF NOTHING, '2 Steps Away', beginnt mit einem Drum&Bass-Rhythmus. Wo kommen diese neuen Einflüsse her?
Zak: "Wahrscheinlich stand einer von uns gerade auf Aphex Twin oder Roni Size, als wir den Song schrieben. Wenn du dir Musik anhörst, wirst du davon beeinflusst."
Habt ihr bewusst versucht, Neues einzubringen?
Bard: "Um ehrlich zu sein. Wir machen keinerlei Plane. Wir fangen einfach an und schauen, wo die Musik uns hinführt."
'Evolution' und Simon Says sind hingegen atmosphärisch, fast schon Ambient-mäßig geworden.
Zak: "Wir werden eben älter, haha. Dabei sind wir eigentlich immer 22. Wir brauchten einen Song, der die Scheibe auflockert. Ich kann mir kein Sepultura-Album am Stück anhören, letzten Endes ist mir das einfach zu viel verdammter Lärm. Deshalb haben wir ein entspanntes Stück auf die Platte genommen, das Raum zum Atmen lässt."
Eben so überrascht es, dass ihr traditionelle Rocksongs von Pink Floyd, Jimi Hendrix und Led Zeppelin für B-Seiten durch den Wolf dreht.
Bard: "Wenn du zwei Jahre an neuen Stücken rumwerkelst, brauchst du mal eine Pause. Wir schnappen uns dann meist ein paar Bier und nehmen irgendeinen Lieblingssong auf."
Zak: "Zwei Stunden später sind wir dann gut angetrunken und haben eine spaßige Version eines alten Schätzchens im Kasten. Danach können wir uns wieder auf die eigentliche Arbeit konzentrieren. Songs zu covern macht Spaß."
Das neue Album scheint die Entwicklung eurer Platten fortzusetzen: Ein Stück weiter weg vom kantigen Rap Metal, hin zu vielseitigeren Songs mit mehr Melodie und Klangexperimenten.
Zak: "Vielleicht. Mir fällt es schwer, da objektiv zu sein. Es muss einen Fortschritt geben - ob er nun gut oder schlecht ist und den Leuten gefällt, steht auf einem anderen Blatt. Grundsätzlich stimme ich dir zu: Auf der Platte gibt es ein bisschen weniger Rap Metal. Unser einziger Plan besteht darin, Songs zu schreiben, zu denen wir entweder lächeln oder kopfnicken - ob nun eine langsame Nummer oder ein Uptempo-Rock-Stück, spielt keine Rolle."
Könnt ihr euch nach der langen Zeit überhaupt noch mit dem Album identifizieren, oder seit ihr im Kopf bereits bei neueren Projekten?
Zak: "Wenn ich so zurückblicke, wünschte ich, ich hätte öfter "Fuck" gesagt. Im Ernst: Das Album fühlt sich noch nicht alt an. Ich bin glücklich, dass endlich mal etwas damit passiert. Dieser ganze Plattenfirmenmist ist so scheiß-langweilig."
Musstest ihr nach der letzten Tour vor immerhin vier Jahren reguläre Jobs annehmen?
Zak: "Wir haben in unserer Karriere ungefähr 1,5 Millionen Platten verkauft, was nicht so gewaltig viel ist. Aber wir hatten Glück und gingen von Anfang an vernünftig mit dem Geld um. Keiner hat uns aufs Kreuz gelegt, wir nehmen kein Kokain, fahren nicht in Limousinen herum oder feiern jeden Tag mit irgendwelchen Playboy-Häschen. Das überlassen wir den Kid Rocks und Limp Bizkits dieser Welt. Meine Hobbies sind Biertrinken, Musik hören und Musik machen. Ich lege sonntags Platten auf, beantworte jeden Tag für ein paar Stunden die Fanpost, gehe mit dem Hund raus, treffe Freunde oder die Band - nichts Besonderes also."
Heutzutage ist Rap Metal überall. Beäugt ihr die anderen Bands und überlegt, wie ihr auch heute noch eine Wirkung erzielen könnt?
Zak: "Wir denken darüber nicht groß nach. Ich fühlte mich auch nie als Teil der Crossover-Szene, weil wir keine traditionellen HipHop-Beats, funky Blues-Metal-Gitarre oder klassischen Homeboy-Rap benutzt haben. Deshalb haben wir nicht viel gemein mit Limp Bizkit und Kid Rock, doch weiter habe ich darüber nicht nachgedacht. Damit will ich aber nicht sagen, dass wir besser sind. Natürlich wäre es großartig, wenn wir jetzt ein großes Comeback erleben würden als die tollen Erschaffer des Stils, um dann haufenweise Platten zu verkaufen und auf die Bahamas umzusiedeln."
Zak, du bist für engagierte Texte bekannt. Diesmal sind die sozialkritischen Aussagen nicht so offensichtlich...
Zak: "Ich nahm mir die Freiheit, nicht so ernst zu sein. Die Texte sind persönlicher und haben eher Individuen als Regierungen oder die Gesellschaft zum Inhalt. Es ist nicht so, dass ich eine Trent Reznor-Periode der Selbsterkenntnis hinter mir habe, doch die Platte wendet sich mehr nach innen als nach außen, auch wenn das wie ein Klischee klingt. Ich habe mich jedenfalls nicht mit größeren persönlichen Dämonen herum schlagen müssen."
Sind dir engagierte Texte denn noch wichtig?
Zak: "Klar. Ich spiele in einer Band und kann so Sachen sagen, die einige Leute hören werden. Warum sollte ich mich aufs Ficken und Essen beschränken?"
Glaubst du denn, dass du mit den ambitionierten Stücken etwas bewegen kannst?
Zak: "Lass es mich so sagen: Es kann nicht schaden. Man kann nie sagen, ob sich einige Leute inspirieren lassen. Aber das ist nie das Ziel gewesen, wir haben uns nie überlegt, jetzt einen Song über Heroin zu schreiben. Es wäre dämlich, wenn man Texte aus diesem Grund verfassen wurde."
Danke für das Gespräch.
Zak: "Kein Problem. Wir müssen das ja jetzt wieder üben."