In der Galerie oben findet ihr Ausrisse aus der Story „Der neue Vampirkult“ aus METAL HAMMER-Ausgabe 01/1998, unten könnt ihr in die Geschichte reinlesen. Die Seiten im Original-Layout und den vollen Text findet ihr in „Das Archiv – REWIND“.
Hört Ihr die Kinder der Nacht, welch‘ süße Musik sie spielen?
„Wir haben diese Ästhetik für Moonspell benutzt, weil es so großartig theatralisch ist. Die Bilderwelt der Vampirgeschichten ist sehr bunt und allen bekannt, so daß sich das Publikum ganz leicht mit dem Gesehenen identifizieren kann.“ So erklärt der Sänger der portugiesischen Band Moonspell, Fernando Ribeiro, die künstlerische Strategie hinter dem Song ‚Vampiria‘, der, obwohl sich die Band sonst kaum mit diesem Thema auseinandersetzt, lange Zeit durch Fernandos effektvollen Auftritt im weiten wallenden Fledermaus-Cape Erkennungszeichen der Moonspell-Shows war. Seit der Veröffentlichung von Bram Stoker’s Gruselklassiker ‚Dracula‘ geistert der blutsaugende Geselle aus Transsylvanien durch die verschiedenen Genres der Unterhaltungskultur. In den Untergrund, vor allem den musikalischen, ist er erst relativ spät eingedrungen.
1981 veröffentlichte die britische Gothic-Band Bauhaus einen Song namens ‚Bela Lugosi’s Dead‘. Diese Homage an den legendären Darsteller der Vampirfilme der Universal-Fimstudios aus den dreißiger Jahren initiierte eine ganz neue Ästhetikvorstellung in der sich damals gerade entwickelnden Gruftiszene, die von nun an stets einen starken vampiralen Anstrich hatte. „1987 war der große Vampir-Boom“, erinnert sich die Lacrimosa-Keyboarderin Anne Nurmi, die damals mit der Band Two Witches und Songs wie ‚Vampire Empire‘ von Finnland aus Akzente setzte. „Das war für uns eine richtige Lebensphilosphie. Ich trug altmodische schwarze Kleider, wir waren nur nachts aktiv und haben vom ewigen Leben und ewiger Liebe geträumt.“
In dem Maß, in dem sich der Heavy Metal aus seinem inhaltlichen Exil befreite, fanden neue Themen Einzug in die Songs der Bands und ihre visuelle Darstellung. Seit einiger Zeit ist dabei auch das Vampirthema nicht mehr wegzudenken. Das fängt mit einzelnen, effektvollen Songs wie ‚Vampiria‘ an, geht über Konzeptalben wie B.L.U.T. von der deutschen Death Metal-Band Atrocity oder GEDANKEN EINES VAMPIRS von Umbra et Imago bis hin zu Musikern, die sich nur diesem einen Thema hingeben: Die Black Metal-Band Cradle Of Filth ist sicher die Bekannteste, aber schon lange nicht mehr die einzige. Ominöse Vampir-Fetischisten wie Vasaria aus New York buhlen mit ihnen um die Gunst der Vampirbegeisterten.
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Dracula statt der bösen Hexe
Wie aber kommt es dazu, daß aus ein paar alten Geschichten, einem zugegeben sehr erfolgreichen, hundert Jahre alten Roman und einem Haufen Leinwandopern ein Mythos geworden ist, dessen Symbolsprache jeder versteht? Und warum wurde daraus erst so spät ein wichtiges Element der Pop- und Jugendkultur? Die Antwort ist leicht zu geben, wenn man eine halbwegs repräsentative Umfrage unter den an diesem Thema Interessierten macht: Fast immer stehen am Anfang Kindheitserinnerungen an Sonntagnachmittage vor dem Fernseher und Filme wie ‚Dracula‘ mit Bela Lugosi oder Christopher Lee. In dem Maß, in dem das Fernsehen die Märchenoma als Unterhaltungsmedium für Kinder ablöste, wurden die klassischen Gruselfiguren der Kindheitserinnerungen (wie etwa die ‚Hexe aus Hansel und Gretel) durch Gestalten wie Graf Dracula abgelöst. „Als Kind habe ich diese Sendungen nur als eine unter vielen wahrgenommen“, erinnert sich Fernando. „Aber während andere Schreckgestalten der Kindheit in Vergessenheit geraten, wenn man heranwächst, hat sich die Erinnerung an ‚Dracula‘ festgesetzt, weil in der klassischen Dracula-Geschichte viele, vor allem sexuelle Themen eingebaut sind, die sich mir erst mit dem Älterwerden erschlossen haben.“ Dem Pädagogen mag es grausen, wenn sich .Ersatzmärchen‘ mit deutlichen erotischen Komponenten in der Vorstellungskraft von Kindern einnisten, aber es erklärt die selbstverständliche Vertrautheit mit den Elementen des Vampirmythos – und vielleicht auch die Selbstverständlichkeit, mit der Jugendliche bereit sind, eine rational gesehen absurde Aussage wie „Ich bin ein Vampir“ zu tätigen.
Expliziter Sex
Vor allem diese heute ziemlich steif wirkende, aber für die sehr prüde victorianische Epoche erstaunliche Erotik hatte einen großen Anteil am Erfolg von Bram Stoker’s ‚Dracula‘. Ende des letzten Jahrhunderts waren Themen wie Ehebruch oder Homosexualität zwar nicht völlig unaussprechlich, aber gerade in dem Maß prickelnd und unerhört, daß es den Lesern gefiel. Stoker’s Monster, der Vampir, der Jagd auf die Ehefrau Jonathan Harkers macht und auch ihn in der eindeutigen Perversion eines Kusses in den Hals beißt, verschlüsselte diese Themen so gut, daß dem Autoren der Ruch des Skandals, der Schriftsteller wie Oscar Wilde immer umgab, erspart blieb. Und trotzdem wurden die Anspielungen von einem Großteil seines Millionenpublikums verstanden. Fast alle Weiterbearbeitungen des Dracula-Themas, vor allem im Kino, strickten hingegen eher am romantischen Deckmantel der armen Kreatur, die nicht sterben kann, abertöten muß, um ihren unersättlichen Hunger zu stillen, und dabei nach der Liebe dürstet, die sie aufgrund ihres monströsen Charakters nicht erlangen kann.
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Der philosophische Blickwinkel
Neben der erotischen Komponente ist es gerade die sehr offene Interpretierbarkeit der einzelnen Bestandteile des Vampirmythos, die ihn so universell künstlerisch verwertbar macht. „Ich glaube, alleine die Unsterblichkeit ist der Inhalt von vielen romantischen Träumen“, mutmaßt Greg Mackintosh. „Der Vampir ist für mich ein Bild dafür. Dieser europäische Mystizismus darum, dieses Gerede von Blutritualen und der ganze damit assoziierte Okkultkram interessieren mich nicht. Vampire gibt es in vielen Kulturen, ich habe gerade ein Buch über den Vampirmythos in Babylonien und später in Indien gelesen: Dort sind die Blutsauger weiblich und werden zurückgeführt auf Lilith, Adams erste Frau.“ Eigentlich jeder, der sich mit dem Vampirthema identifiziert sieht, entwickelt eine philosophische Theorie, die ihn davor bewahrt, als jemand angesehen zu werden, der ein populäres Märchen ein wenig zu ernst nimmt. Dabei kommen die Fakten, die das Gerüst des Mythos bilden, ebenso zum Vorschein wie Abstraktionen. „Ich glaube an psychische Vampire, daran, daß man Macht über andere gewinnen kann, indem man Einfluß über ihre Emotionen gewinnt, ihnen Lust und Initiative absaugt.“ Baron Josephs Aussage ist typisch. Mozart sieht weniger grimmige Gemeinsamkeiten von Mensch und Monster: „Ich habe immer Parallelen zwischen mir und Vampiren gesehen, weil man als extrovertierter Künstler ein Außenseiter in der Gesellschaft ist. Von den .normalen‘ Menschen wird man gleichzeitig verlacht und mit einer gewissen Scheu betrachtet. Mein Streben ist dem eines Vampirs vergleichbar: Ich lebe anders, aber ich suche doch nach Liebe und Anerkennung.“ Für Fernando Ribeiro schließlich ist der Vampir fast ein universelles Symbol: „Er ist jemand, der nur aufgrund einer erotischen Handlung die Kraft für andere Taten erhält, eine große Metapher auf das, was unsere Gesellschaft zusammenhält: Liebe. Gleichzeitig ist er aber ein Parasit. Parasiten werden allgemein als schädlich angesehen, aber nicht jedes .Absaugen‘ von .Energie‘ ist schlecht für das Opfer. Das Saugen von Blut, oder allgemeiner: Energie, ist, wenn man das auf Politik, die Gesellschaft oder die eigenen Beziehung überträgt, eine der Lieblingsbeschäftigungen der Menschheit.“
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