Kippis auf 20 Jahre Tuska! Kippis, zu deutsch „Prost“, auf ein Festival, das dieses Jahr nicht nur wettertechnisch alles bot und im Zeichen des Abschieds von Ville Valo und Co. stand. Das Wort „Kippis“ bekommt auf finnischen Festivals übrigens einen ganz neuen Wortsinn. Aber dazu später.
Das Gelände des Tuska Festivals liegt mitten in Helsinki – früher sogar noch zentraler in einem Park unweit des Hauptbahnhofs, heute drei Metrostationen davon entfernt auf Asphalt. Ein Zeltplatz? Fehlanzeige. Hier torkelt jeder abends in sein eigenes oder auch ein fremdes Bett, meistens aber erst einmal in eine der vielen Bars oder einen Club. Alles kein Problem, denn die Metro fährt nur wenige Minuten vom Festival-Gelände entfernt, Nachtbusse fahren sowieso. Die Stadt ist während des Tuska Festivals außerdem so nett und lässt die Metro etwas länger fahren als sonst – gute Idee.
Besucherrekord beim 20. Jubiläum
Das Festival-Gelände ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Für die einen strahlt es urbanen Charme aus, für die anderen ist es einfach grau und kalt. Auf jeden Fall aber ist das Tuska mit insgesamt 37.000 Besuchern (Rekord in diesem Jahr) zwar Finnlands größtes und bekanntestes Open Air der härteren Klänge, dabei aber immer noch charmant, klein und aufgrund seiner Lage perfekt angebunden. Daher wagen sich auch ein paar junge Christen mit Missionierungsdrang vor das Gelände, um ihre Parolen per Megafon zu verbreiten. Den Festival-Finnen stört das wenig. Er geht einfach vorbei, trinkt weiter und hört Musik. Oder parkt am nächsten Tag seinen Gegenentwurf, ein Satan-Mobil, direkt daneben.
Band-Schatzkiste
Wintersun, Anneke Van Giersbergen, Brujeria, Mayhem und Sabaton – schon der erste Festival-Tag macht klar: Hier wird auf Vielfalt gesetzt, Scheuklappen bitte draußen lassen. Schön auch: Vor allem auf der dritten, der kleinsten Bühne, gibt es ausreichend Möglichkeit, außerhalb des Landes eher unbekannte finnische Bands zu entdecken – Sleep Of Monsters zum Beispiel, die irgendwo zwischen Post Punk, Psychedelic Rock und auch mal einzelnen Metal-Elementen wandern.
Oder Demonztrator, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, vergessene Songs finnischer Thrash- und Speed Metal-Bands aus den Achtziger Jahren aus dem Grab zu holen. Prominenter geht es auf den zwei größeren Bühnen zu: Amorphis ziehen bei wenig sommerlichen 15 Grad und Nieselregen genauso die Leute vor die Hauptbühne wie Apocalyptica mit Metallica-Songs bei prallem Sonnenschein.
Crowdsurfen ist verboten
Mal abgesehen von HIM, die für einen ausverkauften Samstag und Massenbegeisterung wie zu besten Zeiten sorgen, hat das Tuska drei klare Tagessieger. Freitag: Suicidal Tendencies. Vielleicht auch, weil sie die einzige Hardcore-Formation an diesen Festival-Tagen sind und für gänzlich andere Klänge sorgen – und das will kaum jemand verpassen. Aus nicht-finnischer Sicht mutet es allerdings etwas seltsam an, dass die Security herzlich entspannt bleibt. Aber kein Wunder: Crowdsurfen ist hier verboten. Arg gewöhnungsbedürftig bei Suicidal Tendencies – aber nach 30 Minuten vergessen. Dafür stürmen zum letzten Song wie üblich die Zuschauer auf die Bühne, und zwar in Massen.
Gewinner des Samstags: Devin Townsend Project. Die Finnen lieben diesen Typen. Schon bei der Autogrammstunde ist bei ihm mehr los als bei allen anderen Musikern. Beim Konzert später lassen sich dann auch die Hartgesottenen in eine andere Welt mitnehmen. Der Sieg am Sonntag geht ganz klar an Dirkschneider. Hits, Hits und noch mal Hits. Was braucht ein Festival mehr am letzten Tag? Bis dahin hat sich dann auch der Nicht-Finne an die Gepflogenheiten auf dortigen Open Airs gewöhnt. Vor allem, was das Trinkverhalten angeht. Kippis!
Erste-Hilfe-Wagen mit Wein und Sekt
Am ersten Tag läuft es noch wie folgt: Beim Blick auf die Preise wird dem Nicht-Finnen schlecht. Bier 7,50 Euro, Cocktails mit so wohlklingenden Namen wie Gates of Suvilahti oder Valkovenäläinen 11 Euro, ein Weinglas mit 0,1cl Inhalt 7 Euro. Überhaupt: Während in Deutschland auf Festivals keine bis kaum Weinstände zu finden sind, sieht die Sache hier anders aus. Es gibt auch keine Bierläufer, sondern stattdessen einen Erste-Hilfe-Wagen mit Wein und Sekt, den zwei junge Damen durch die Massen ziehen.
Die beste Maßnahme angesichts der Preise lautet: nur mit Karte zahlen und somit sich selbst belügen. Das hilft zumindest bis zum nächsten Blick aufs Konto. Zweite Maßnahme: nach dem Motto „Jetzt ist es auch egal“ gleich 0,2cl Wein für 14 Euro bestellen. Blöd nur, wenn kurz danach Suicidal anfangen und der nette Herr von der Security freundlich den Kopf schüttelt, wenn man sich der Bühne nähern möchte. Darf man gerne machen – aber ohne Getränk.
Trinkende Zaungäste
Denn auf finnischen Festivals gibt es sogenannte Drinking Areas. Nur dort darf Alkohol gekauft und vernichtet werden. Sicher, diese Bereiche sind sehr groß und wohlwollend mit Blick auf die Bühne ausgerichtet, liegen aber doch in gewisser Entfernung. Das führt dazu, dass vor den Bühnen deutlich weniger los ist, als es normalerweise der Fall wäre.
Auf der einen Seite also die Menschen ohne Getränk vor der Bühne – und weiter hinten, schön abgetrennt durch einen Zaun, die Durstigen. Wer das nicht weiß und nicht merkt, dass er einen dieser Getränkevernichtungsbereiche betritt, sich etwas kauft und zurück vor die Bühne will – der hat ein Problem. Da stellt sich dann die Frage:
- Kippis! Und die 0,2cl Wein für 14 Euro exen. Also getreu dem Wort: Kipp-es!
- Das teure Gesöff auf den Asphalt kippen
- Suicidal mit Getränk aus der Ferne sehen
Letzteres ist allerdings keine Option. Und da man 14 Euro nicht einfach verschenkt, ist die Entscheidung klar: auf ex. Kipp-es!
Ville Valos Abschied von den Open Air-Bühnen
Einen Abend später bei HIM wäre angesichts des Wetters schon fast Glühwein angebracht. Nachdem Ville Valo und Co. für dieses Jahr ihre Abschiedstournee angekündigt und das Tuska für den letzten Open Air-Auftritt in ihrer Heimat auserkoren hatten, war der Samstag mit 14.500 Besuchern schnell ausverkauft. Und das nicht nur dank weiblicher Fans, die ein letztes Mal Herrn Valo anschmachten wollten. Nein, das Publikum an diesem kalten Sommerabend ist bunt gemischt.
Und so ein finaler Gig der Lokalheroen zieht auch all jene an, die in den vergangenen Jahren nichts mehr mit der Band anfangen konnten, aber doch irgendwie mit ihr groß geworden sind. Ein letztes Mal in Schönheit und Melancholie sterben – das hat doch was. Und klappt an diesem Abend, beginnend mit ‘Buried Alive By Love’, ganz hervorragend.
Coole HIM-Performance
Die Mannen von HIM sind zwar ein wenig in die Jahre gekommen, Linde und Migé leicht ergraut, aber die Musik klingt wie einst. Nur mit dem Reden hat es Ville an diesem Samstag nicht so sehr. Macht nichts, somit bleibt mehr Zeit für Hits. Und sowieso: wie er dasteht, ein bisschen lasziv, ein bisschen Ihr-könnt-mich-mal-Attitüde, leicht gelangweilt wirkend, das Mikrofon in gewohnter Manier sehr weit unten greifend – immer noch dieselbe coole Sau wie früher.
Oder, besser gesagt: WIEDER die coole Sau von einst, denn zwischendurch war das nicht immer so. Später wird er seine Schweigsamkeit noch erklären: „Sorry, dass ich so still war. Das ist etwas Besonderes hier, ich bin leicht nervös. Auch meine Familie und Freundin sind hier.“
23 Songs geben HIM an diesem Abend zum Besten, vom ersten bis zum letzten Album. ‘Your Sweet 666’, ‘Resurrection’, ‘The Sacrament’, ‘Tears On Tape’, ‘Stigmata Diaboli’, ‘It’s All Tears’, ‘Poison Girl’ und Billy Idols ‘Rebel Yell’ sind darunter. Am schönsten gestorben wird dann mit ‘Gone With The Sin’, dem unvermeidbaren ‘Join Me’, dem wunderbaren ‘In Joy And Sorrow’ und ‘The Funeral Of Hearts’.
Aber ein ganz bestimmter Song fehlt bis dahin noch schmerzlich – er kommt mit Feuerwerk als finaler Todesstoß: ‘When Love And Death Embrace’.