Was war das Verrückteste, das ihr jemals gemacht hast?
Justin Sane alias Justin Geever (Gesang, Leadgitarre): Einfach die Entscheidung zu treffen, wir könnten eine Band starten, Songs schreiben und Leute würde das ernsthaft gut finden. Auf eine gewisse Art und Weise ist es ausgefallen zu glauben, jemanden könnte das interessieren. Dann findet sich aber doch jemand und das ist unglaublich; wie Musik einfach diese Fähigkeit hat, Menschen zusammen zu bringen und zu verbinden; Menschen mit den gleichen Wertvorstellungen, die an dasselbe Glauben und dasselbe auf der Welt bewirken wollen.
Chris #2 alias Chris Barker (Gesang, E-Bass): Vielleicht war das Verrückteste ein Gig, den wir einmal in Spanien gespielt haben. Es war ein Festival und wir waren nach Slayer dran. Das war seltsam! Wieso sollte uns das jemand antun?
Was war der größte Fehler, den ihr in eurer Karriere bisher begangen habt?
Chris: Ich glaube, wir machen die ganze Zeit Fehler. Wir haben aber weder einen Fehler gemacht, den wir nicht untereinander diskutieren und beheben konnten, noch einen, der uns dermaßen in Schwierigkeiten gebracht hat und den wir rückblickend nicht als lehrreich empfanden. Wenn wir einen Song schreiben, ist es mir immer wichtig, die am besten mögliche Version zu schaffen, sei es in Bezug darauf wie lang der Song ist oder seien es Dinge, die wir darin sagen und kreieren. Das sind Dinge, die wir jedes Mal wieder diskutieren sollten. Vielleicht war es ein Fehler in der Vergangenheit zu glauben, dass wir nichts falsch machen könnten und dadurch nicht genug Aufwand in unsere Kunst gesteckt haben. Aber deswegen macht man weitere Alben.
Justin: Das Interessante daran ist, wenn man als junge Band, Musik kreiert, fühlt sich jede Entscheidung nach der wichtigsten an. Und alles ist von Bedeutung. Das geht dann manchmal soweit, dass sich alle in der Band gegenseitig hassen, weil jeder etwas anders machen möchte. Aber mit der Zeit findet ,am heraus, dass es im Grunde wirklich egal ist. Angenommen es bietet sich eine Gelegenheit und zwei Leute in der Band wollen diese nutzen, zwei aber nicht und es gibt Streit. Im Endeffekt ist das unwichtig. Wenn man eine Band ist, die hart arbeitet und das Ziel hat etwas bestimmtes zu erreichen, dann bieten sich andere Gelegenheiten. Fehler passieren und Dinge können als Fehler wahrgenommen werden. Aber das ist nicht das Ende der Welt und man muss einfach weitermachen.
Chris: Ein wichtiger Teil, den die Frage nicht beinhaltet ist: Was hast du daraus gelernt? Und die Antwort: Man kann nein sagen. Man muss nicht jede Tournee mitmachen und jeden Deal unterschreiben. Glaub an dich selbst und typischerweise bieten sich neue Möglichkeiten.
Was war bisher der Höhepunkt eurer Karriere?
Justin: Man muss sich immer im Kopf halten, dass wir eigentlich nur vier Kids aus Pittsburgh, Pennsylvania sind. Viele Leute haben von dem Ort nie gehört oder wissen nicht, wo er ist. Für uns war es schon ein Meilenstein aus Pittsburgh rauszukommen und einen Gig in einer Nachbarstadt zu spielen. Als wir das erste Mal nach Europa kamen, war das unglaublich für mich und das hat sich eigentlich nicht groß geändert. Jedes Mal, wenn wir weit weg von zu Hause spielen, sei es in Asien oder wo auch immer, dann ist das für mich immer noch ein Meilenstein, den ich kaum begreifen kann. Wir hatten außerdem nationale Fernsehauftritte in verschiedenen Länder und in der USA. Die Tatsache, dass wir in der Lage sind, sowas zu machen, ist für mich großartig. Ich sehe das nicht als selbstverständlich.
Chris: Ich liebe die gesamte europäische Festival-Welt und habe so viele gute Erinnerungen daran, in neue Situation zu gelangen und eine großartige Show zu spielen und Leute kennenzulernen, die man andernfalls nie getroffen hätte. Das ist immer etwas Tolles; mit einer einem unbekannten Person zu sprechen. Wir versuchen immer neue Leute zu finden und mit ihnen über Seximus, Rassismus, Homophobie und Faschismus zu reden und gegen diese Dinge anzukämpfen. Leute sind vielleicht bei einem Konzert, um nur zu feiern und anschließend überdenken sie sich selbst und was sie so tun mehr. Das empfinde ich immer als sehr erfolgreich.
Was war euch in eurer Musik immer wichtiger, die musikalische Seite oder die politische?
Chris: Immer die politische! Wir nehmen manchmal Lieder von den Aben, die der Hörer musikalsich vielleicht als besser gelungen empfinden würde, wenn es stattdessen einen Song gibt, bei dem uns der politische Inhalt wichtiger ist. Wir sind nicht hier, um zu rocken. Wir sind hier, um zu arbeiten. (lacht)
Jedes Statement ist ein Anti-Trump-Statement
Die Lieder eures neuen Alums 20/20 VISIONS haben fast durchgehend einen sehr aufgeweckten , fröhlichen Klangcharakter, aber ihnen liegt doch so oft heftiger Tobak als Thema zugrunde. Wie passt das für euch zusammen?
Chris: Ich denke, dass die beiden Aspekte gemeinsam funktionieren müssen. Klar, es sind schwere Zeiten. Ich meine, Menschen sterben, es gibt Kinder in Käfigen entlang der Grenzen der USA in Mexiko. Wir befinden uns in einer Zeit der Geschichte – vor allem jetzt, wo wir gerade das neue Jahrzehnt erreichen – in der wir eine Chance haben, unsere Zukunft zu gestalten. Wir sollten daher auch Optimismus transportieren. Deswegen die Hoffnung in der Musik. Aber wir nicht gleichzeitig auch falsche populistische Ansichten, wie Donald Trump sie äußert, hinterfragen würden, wenn wir Neoliberalisus und Globalisierung nicht infragestellen, uns nicht gegen die AFD oder Boris Johnson stellen mit unserer Kunst, dann würden wir uns unserer eigentlichen Intension gegenüber nicht ehrlich verhalten. Ich denke, deswegen ist das Politische auf dem Album so spezifisch auf das Jetzt ausgerichtet und der Sound trotzdem so hoffnungsvoll.
Justin: Einige der Lieder sind thematisch heftiger als andere. Wir leben in Zeiten, die überwältigend und erdrückend sind. Das Ziel war aber, sich dem gewachsen zu fühlen und hoffnungsvoll zu sein und daran zu glauben, dass Dinge besser sein können. Selbst wenn das Thema, so wie in ‘Christian Nationalist’, in dem wir von einer wirklich hasserfüllten kontroversen Gruppe von Menschen reden, ein heftiges ist, soll der Song trotzdem augeweckt sein und Menschen Kraft geben. Es ist nicht alles überwältigend. Ich will, dass Leute diesen Song vor sich hinträllern und dann nachdenken, worum es darin geht und gleichzeitig aber in der Lage sind, sich gut zu fühlen.
Chris: Unsere liebsten Bands sind Gruppen wie The Beatles und The Clash. Ich für meine Teil mag Popmusik. Ich möchte ein Teil der Lieder sein, die Menschen singen, wenn sie die Straße entlanglaufen und ihren Kopf nazu bewegen. Es ist nur eben so, dass unsere Songs eine sehr spezifische Message haben, sodass man, wenn man sie im Kopf hat, auch immer denkt: ‘Oh okay, etwas passiert in der Welt’.
Ihr sprecht sehr verschiedene Themen auf eurem Album an. Aufs Cover hat es trotzdem Trump geschafft. Würdet ihr sagen, es ist speziell eine Anti-Trump-Platte?
Chris: Ich glaube jedes politische Statement, dem ich mich annehmen kann, ist als Anti-Trump-Statement aufzufassen. Und Leute erwarten von einer Band wie Anti-Flag, dass sie ein Anti-Trump-Album machen. Anstatt davor wegzulaufen, nehmen wir uns dem lieber an. Als globaler Faschismus am Aufsteigen war, als Donald Trump seine Ablenkungspolitik nutzte, um seine Macht zu erhalten, sagten wir ‘nein’ dazu. Das ist im Grunde, was es mit diesem Cover auf sich hat. Der Opener ‘Hate Conquers All’ bezieht sich spezifisch darauf. Der Rest des Albums wurde dann eher zukunftsorientiert, was vielleicht etwas untypisch ist für Anti-Flag. Wir schauen mehr voraus und sagen: ‘Wir können diesem Pfad weiter folgen oder wir können einen neuen wählen, der hoffentlich zu einer sozial, ethnisch und ökonomisch höheren Qualität führt.
Justin: Genau, und wir wir bieten quasi eine Idee oder Vorstellung an, wie man dorthin gelangt.
🛒 20/20 VISIONS bei AmazonWer Anti-Flag live sehen will, kann das bei ihrer derzeitigen Tournee tun:
- 17.1. – (AT) Graz, PPC
- 18.1. – (AT) Wien, Flex
- 21.1. – Berlin, SO36
- 22.1. – München, Backstage Werk
- 23.1. – Nürnberg, Löwensaal
- 24.1. – Chemnitz, Talschock
- 28.1. – Hamburg, Fabrik
- 29.1. – Köln, Essigfabrik
Außerdem sind Anti-Flag am 20. Januar im Berliner Wellblechpalast mit von der Partie. Dort findet das Charity-Event “An Evening of Charity Hockey and Punk Rock” statt, zu dem Hockey is Diversity einlädt. Türen öffnen um 18:30 Uhr. Der Eintritt ist frei, mit Spendenvorschlag. Neben dem Spiel erwartet die Zuschauer auch eine akustische Performance der Band.