Tankard: Die Listening Session von PAVLOV’S DAWGS

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40 Jahre und kein bisschen leise – die hessischen Thrasher TANKARD bringen mit PAVLOV’S DAWGS nicht nur ihr 18. (!) Album heraus, sondern haben auch ein paar Überraschungen in petto. „Gude, Bier gibt’s drin“, empfangen Chefin Gabi und ihre Jungs die Presseschar und Freunde von Tankard im Fan-Haus Louisa des Frankfurter Fan-Projekts – ein uriges Vereinsheim direkt an der Bahnlinie, mit von Ultra-Aufklebern übersäter Sanitärabteilung.

Es gibt Bier, Ebbelwoi und Hausmannskost nebst einem Gespräch mit Bassist Frank über den Umstand, dass heute nicht mehr alles schlecht ist, was im Supermarkt als Fleischalternative verkauft wird. Der Mann muss es wissen, hat er doch als indoktrinationsresistenter Jungspund regelmäßig bei den Hare-Krishna-Mönchen gespeist, wo man für einen kleinen Taler einen leckeren, fleischlosen Snack bekam. Der Taschengeldzweck heiligt eben die Mittel.

Abfahrt

Nach einer Begrüßung durch Tankard-Manager Buffo und Labelboss Flori gibt der ebenfalls für die Präsentation aus dem Troisdorfer Gernhart Studio angereiste Produzent Martin Buchwalter (unter anderem Destruction, Accu§er und Suidakra) Feuer auf die von Sänger Gerre mitgebrachten Boxen, und der erste Eindruck ist: wuchtig. Martin hat bei seiner zweiten Produktion mit den Hessen den Sound des Vorgängers ONE FOOT IN THE GRAVE noch einmal übertroffen und alles noch dicker, präsenter und differenzierter gezaubert. Gerre merkt dazu trocken an: „Ja, wir haben wirklich einen Bassisten!“

Tankard

 

Tracklist PAVLOV’S DAWGS:

  1. Pavlov`s Dawg
  2. Ex-Fluencer
  3. Beerbarians
  4. Diary Of A Nihilist
  5. Veins Of Terra
  6. Momento
  7. Metal Cash Mashine
  8. Dark Self Intruder
  9. Lockdown Forever
  10. On The Day I Die

Das neue Tankard-Album ist verdammt vielschichtig. Ebenso vielschichtig sind die ersten Eindrücke, welche die neuen Songs bei den Anwesenden hinterlassen. Davon abgesehen, dass die Basis natürlich immer noch urwüchsiger, roher Thrash Metal ist, fallen die vielen eingestreuten Nuancen auf, die dem Album ein hohes Maß an Abwechslungsreichtum bescheren. Da ist die kontinuierliche, mit Motörhead-Stoik durchgezogene Doublebass-Arbeit von Drummer Olaf. Da ist der bereits erwähnte, äußerst präsente Bass von Frank, die blitzschnell zwischen simpel und komplex changierenden Riffs und die mitunter gar epischen Leads von Gitarrist Andy (die manchmal einen unglaublich warmen Ton mit … AND JUSTICE FOR ALL-Vibe hervorbringen).

Und die Vocals von Gerre, die auf den ersten Eindruck etwas tiefer als früher klingen, weniger hektisch, aber dennoch melodisch genug sind, um trotz aller Doublebass für die nötigen Hooks in den Refrains zu sorgen. „Ich höre auch privat Musik, die extrem hart und schnell ist, aber ich brauche da irgendwo eine Melodie, die das Ganze eingängig macht. Und genau so mache ich seit 100 Jahren Musik mit Tankard. Der Refrain muss eingängig sein. Ich wundere mich wirklich, dass einige Leute das Album düster finden – ich finde, das ist das lebensbejahendste Album, das Tankard je gemacht haben“, sorgt Gerre für Gelächter.

‘Diary Of A Nihilist’ wiederum ist so hart (Wer da kein innerliches „Slayer!“ grölt, hat den Thrash Metal nie geliebt!), dass die neben dem Autor sitzende Dame nur ein erstaunt-entgeistertes „Wow, was für ein Brett!“ hervorbringt. Vor ‘Dark Self Intruder’ erwähnt Gerre, dass es diesen demnächst im Erotikfachhandel zu kaufen gibt – keine Albumpräsentation ohne anzüglichen Witz! Einen „offensichtlichen“ Bier-Song gibt es auch, nämlich das bereits veröffentlichte ‘Beerbarians’ mit der köstlichen Wortkreation „cosmoproletarians“ – doch dazu gleich mehr.

Tankard

Eisern durchhalten

Dank Corona mussten auch Tankard ihre Terminpläne umstrukturieren. „Es geht ja ums Momentum. Wir wollen nicht irgendwas rausbringen, sondern voll dahinterstehen. Die Platte sollte eigentlich schon 2019 herauskommen, jetzt ist es drei Jahre später. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, wir können ja nicht alle zwei Jahre ein neues Album herausbringen. Okay, könnten wir, aber dann wäre es halt irgendwas. Aber wir müssen ja nun mal dahinterstehen. Ich glaube, meine Band liebt mich nicht gerade dafür, aber ich bin auch ein Korinthenkacker – das geht zum Beispiel schon beim Booklet los, das muss was für die Ewigkeit sein“, erklärt Gerre den ungebrochenen Qualitätsanspruch der Band.

Was nach 40 Jahren aber auch nicht einfacher wird, wie er unumwunden zugibt: „Nein, es wird immer schwieriger, da muss man ehrlich sein. Es ist dem Alter geschuldet, wir haben alle unsere Jobs und die anderen Jungs ihre Familien. Da kann man nicht einfach so nebenbei eine Platte rausschütteln, da muss man viel Gas und Energie reinstecken“, wie auch Gitarrist Andy bestätigt: „Es ist zeitaufwändig, und diesen Freiraum muss man sich erst mal schaffen. Gerre kommt für die Vorproduktion in meinem kleinen Heimstudio zweimal pro Woche zu mir. Früher habe ich meine Kinder einfach in einen Wäschekorb danebengelegt, aber mittlerweile hüpfen sie wild durch die Gegend. Das wird nicht leichter.“

Vor allem, wenn aus den Wäschekorbzwergen mittlerweile mehr oder weniger schwierige Teenager geworden sind. „Ich habe 14-jährige Zwillinge. Mein Sohn findet das gut, aber meine Tochter ist voll in der Pubertät und findet alles, was ich mache, scheiße. Das ist dann alles peinlich. Gestern kam sie von der Klassenfahrt zurück, und ich konnte sie nicht abholen, weil ich noch auf der Arbeit war. Abends sagte sie dann zu mir: ,Danke, Papa. Danke, dass du mich nicht abgeholt hast, das wäre so peinlich gewesen‘“, erzählt Andy, dessen Tochter wohl völlig egal ist, dass der Papa in einer legendären Band spielt und vor Kurzem mal eben so einen Iron Man (!) absolviert hat. Gerre stellt jedoch klar, dass alle in der Band das große Ziel nicht aus den Augen verlieren: „Aber der ganze Schweiß und die ganze Arbeit sind dann gerechtfertigt, wenn das Ding fertig ist!“

 

Bier ist (doch nicht) alles

Apropos Iron Man – den muss man erst mal schaffen. Vor allem dann, wenn man in einer Band spielt, die fast seit Anbeginn der Zeit das „Alcoholic Metal“-Image pflegt – so war immerhin das zweite Demo von 1985 betitelt. „Ich kann abends einen trinken, und zur Not am nächsten Tag 200 Kilometer Fahrradfahren. Aber das wird mit dem Alter nicht besser. Vor dem Iron Man-Rennen habe ich bestimmt zwei oder drei Tage keinen Alkohol getrunken“, sorgt Andy für Gelächter. Genervt sind Tankard von ihrem Image aber nicht, wie Gerre erklärt: „Der Titel des Demos war ein Spaß, aber mit Albumtiteln wie CHEMICAL INVASION oder THE MORNING AFTER haben wir auch alles für dieses Scheißimage getan. Auch wenn wir das Mitte der Neunziger mal versucht haben, kommen wir nicht mehr davon weg.

  Insofern kokettieren wir seit langer Zeit damit und sehen das immer mit einem lachenden Auge. Damit muss man irgendwie leben, wir haben uns das ja auch selbst eingebrockt. Wenn uns Menschen immer nur auf Bier reduzieren, ist das halt so.“ Kollege Frank sieht das Ganze noch einen Ticken differenzierter: „Es ist sehr ambivalent. Einerseits kokettieren wir damit, es gab uns damals ja auch einen richtigen Schub. Andererseits ist es blöd, wenn jemand ,Alcoholic Metal‘ damit gleichstellt, dass wir ja nichts können würden. Das gefällt mir dann nicht, denn das eine hat ja mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Wir haben ja auf unseren tausend Alben auch nur einen geringen Anteil an Bier-Songs, der Rest war immer sozialkritisch und in die Zeit passend.

Das beachtet dann keiner. Wie ich schon vor Jahren sagte: ,Ich habe noch nie eine Jungfrau geschlachtet und noch nie einen Schwertkampf ausgefochten, insofern singe ich lieber über die Sachen, mit denen ich mich auskenne. Ganz einfach.‘“ Obwohl PAVLOV’S DAWGS auf seine Art erwachsener, ernsthafter und reifer klingt, geizt die Band nicht mit ihrem typischen Humor, der bei jeder Gelegenheit aufblitzt. Sei es, dass die Anmerkung eines Kollegen, dass das Album immerhin nicht so düster sei wie norwegischer Black Metal, für schallendes Gelächter sorgt, oder Andys Hinweis, dass ‘Beerbarians’ mit einem Manowar-Text nicht mehr so lustig klingen würde – Gerre schiebt die Schuld für die Wahl der Single auf die Plattenfirma, obwohl er den Song am liebsten von der Platte gestrichen hätte. Bei den Jungs kann man sich manchmal nicht ganz sicher sein, was ernst gemeint ist und was nicht.

Tankard

 

Neue Tankard-Heimat mit alten Kameraden

Ernst wurde es jedoch, als es zu den großen Umstrukturierungen bei der ehemaligen Plattenfirma Nuclear Blast kam, was schlussendlich dazu führte, dass Tankard nun bei Reaper Entertainment unter Vertrag stehen, also wieder bei ihren alten Ansprechpartnern gelandet sind. „Nach der ganzen Umstrukturierung kannten wir kaum noch jemanden und haben dann freundlich um eine Auflösung des Vertrags gebeten, und dem wurde auch zugestimmt. Da lassen die uns einfach so aus dem Vertrag raus, obwohl wir die geilste Band auf dem Label waren“, lacht Gerre, um dann anzufügen: „Insofern alles gut, aber für uns ist es eben auch wichtig, dass wir mit Leuten zusammenarbeiten, die wir kennen, die uns lieben und die wir lieben.

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Ich bin froh, wenn wir nicht irgendwo Nummer 109 sind und zwei Wochen brauchen, um jemanden zu erreichen. Wir brauchen Herzblut.“ So zeichnet Gerre etwas überspitzt den Unterschied zwischen einem großen und einem kleinen Label nach. „Wir sind in ständigem Austausch und regeln alles auf kleinem Dienstweg. Der Flori muss sich dann mit meinen spinnerten Ideen auseinandersetzen. Ich habe ja manchmal echt wahnsinnige Ideen“, grinst der Sänger, während Gitarrist Andy noch einen draufsetzt, wenn es um einen guten Kontakt zu seinem Labelboss geht. „Nuclear Blast war auch gut für uns, aber da hatten wir eben auch noch unsere direkten Ansprechpartner.

Aber wenn ich jetzt mal fünf Wochen Sommerurlaub machen will, fahre ich einfach zum Flori. Der grillt jeden Abend für mich, macht mir ein Bier auf und freut sich, dass ich da bin“, lacht Andi, während der so Hochgelobte ob der Langzeitbesuchsandrohung dezent mit den Augen rollt. In der Zwischenzeit verabschiedet sich Drummer Olaf, um die nächste Bahn zu bekommen. Gerre: „Wieso gehst du schon heim?“ Olaf: „Na ja, ich bin 54 Jahre alt.“ Gerre: „Bist du zufrieden mit deinem Drumming?“ Olaf: „Ja, Stand jetzt.“ Gerre: „Olaf ist der Kommunikator in der Band, eigentlich sollte er alle Interviews geben.“ Frankfurter Humor in Reinkultur.

Tankard

Emo-Chaos in Spanien

Da Gerre mit dem Vorschlag, als „Hessen’s finest“ eine Kollaboration mit Rapper Haftbefehl zu starten, nur partiell etwas anfangen kann, fragen wir den Fußballverrückten doch lieber noch nach einer Zusammenfassung seiner Eindrücke der verrückten Reise, die Tankard mit der Frankfurter Eintracht hinter sich gebracht haben. Am Ende hat die Eintracht nicht nur die Europa League gewonnen, sondern haben Tankard auch vor Tausenden Fans die Vereinshymne ‘Schwarz-weiß wie Schnee’ auf dem Fan-Fest vor dem Finale in Sevilla gespielt, was schlussendlich zu einer Neuaufnahme des Songs für eine kommende EP geführt hat.

„Das ist ein Hit für die Ewigkeit. Wenn ich irgendwann mal abdanke, wird mir das durch den Kopf gehen. Der Song läuft seit 2006 beim Einlaufen der Eintracht – was für eine Ehre. Als Frankfurt-Legende Jürgen Grabowski gestorben ist, waren wir beim Achtelfinale gegen Betis Sevilla. Da klingelte das Telefon und der Hessische Rundfunk und die Bild-Zeitung wollten wissen, was ich zu seinem Tod sagen würde. Der Pressesprecher von Eintracht Frankfurt wollte auch ein Statement. Ich lag total zerstört in meinem Hotelzimmer und habe irgendwas in mein Handy getippt“, erzählt Gerre, und dass er Jürgens Witwe die Neufassung der EP mit einem handgeschriebenen Brief schicken werde.

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„Das Fan-Fest war für mich so extrem emotional, ich bin seit 1975 Eintracht-Fan. Und plötzlich singen Zehntausende ‘Schwarz-weiß wie Schnee’ mit. Ich war vor dem Finale schon ein emotionales Wrack, aber nach dem Auftritt war ich wirklich total durch. Selbst während des Spiels war ich total durch, ich saß paralysiert da und dachte nach dem 1:0, das Spiel wäre gelaufen, bei dieser Hitze würde niemand mehr den Ausgleich schießen. Es war Wahnsinn, einfach nur emotionaler Irrsinn.“ Passt doch gut zu der Metal-Achterbahn, auf der Tankard seit 40 Jahren fahren. Anschließend geht es noch auf ein paar vegane Schaumsüppchen in die Metal-Kneipe Speak Easy. Tankard sind halt auch ein Traditionsverein.


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(c) Thomas Strater
(c) Tankard
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