Das Sørveiv Festival
Spricht man über Musik aus Skandinavien kommt bei der schieren Flut an hochwertigen Künstlern, die große Teile der Szene geradezu überschwemmt, oft die Frage nach dem dortigen Trinkwasser auf. Was auch immer dahinterstecken mag, eine geballte Dichte solch musikalischer Trinkwasser-Freunde findet sich jedes Jahr im südlichsten Süden von Norwegen ein. Dann nämlich steigt das Sørveiv in Kristiansand, ein Showcase-Festival, das dieses Jahr in die fünfte Runde geht und dessen Fokus darauf liegt, musikbegeisterten Fans, aber auch der hiesigen Musikindustrie,die heißesten Newcomer aus Skandinavien näher zu bringen. Während das Tagesgeschehen von Seminaren, Experten-Panels, Vinyl-Messen und Musikquizrunden bestimmt wird, verteilen sich an zwei Abenden rund 40 Bands auf insgesamt sieben Konzertlocations, darunter verschiedene Bars und Clubs, aber auch ein altes Kino und Theater. Alle Austragungsorte sind zudem nur einen Katzensprung voneinander entfernt, was das Barhopping selbst bei schlechtem Wetter äußerst angenehm gestaltet.
Scheuklappen darf man aber getrost zu Hause lassen, das musikalische Spektrum von Sørveiv ist nämlich an keinerlei Genregrenzen gebunden und reicht von sanften Folk-Klängen, über modernste Electropop-Sounds bis hin zu brutalstem Grindcore-Geknüppel und schwarzmetallischer Raserei. METAL HAMMER hat die hart rockende Zunft an nordischen Bands hier für euch zusammengefasst:
Andre Holstad And The Saints
Es ist Freitgabend, es ist dunkel und es regnet, perfekte Rahmenbedingungen für Andre Holstad And The Saints, um ihre Leidensgeschichten in der gemütlichen Charlies Bar unters Volk zu bringen. “What do you do when you wake up to find that your whole life is based on lies?” ist nur eine der vielen ausweglos erscheinenden Fragen mit der sich der Rocker aus Oslo in musikalisch höchst eindringlicher Form auseinandersetzt. Unter anderem auch als sogenannter “Claustrophobic Rock“ betitelt, ist bittersüße Melancholie mit bevorzugtem Hang zu lyrischen Hoffnungslosigkeit hier klar die vorherrschende Stimmungslage. Die Single ‘Tragedy‘ seines aktuellen Outputs AHATS oder ‘Darling‘ des Erstlings COUNTING BACKWARDS seien hier als gute Beispiele angeführt. Dazwischen blitzen immer wieder The Doors mit dem gewissen Goth’n’Glam-Anstrich durch, der bei schnelleren Nummern auch dezente Surf Rock-Anleihen bereithält. Eine durchaus reizvolle Mixtur, mit der Andre Holstad And The Saints hier aufwarten und das Publikum begeistern.
Rendezvous Point
Selten zeigt sich eine Band live von einer solch anderen Seite, als auf Platte. Mit ihrem starken Debüt SOLAR STORM sorgten Norwegens Rendezvous Point erst kürzlich auf Europatour mit Leprous schon für Furore. Auf dem Langeisen konnte man den Fünfer, der unter anderem aus Mitgliedern von Borknagar, ICS Vortex oder eben Leporus besteht, noch guten Gewissens als cineastisch angehauchte Progressive Rock Band bezeichnen, was sicherlich auch Geirmund Hansens äußerst variablem Gesang geschuldet ist. Im proppenvollen Rockschuppen Onkel Aksel sieht die Welt der Lokalmatadoren aber schon wieder ganz anders aus: Hier rückt die Saitenfraktion deutlich energischer, aber auch etwas zu Lasten der Keys, in den Vordergrund, wodurch der generell sehr moderne Prog-Sound deutlich metallischere Züge annimmt. Dargeboten in fachlicher Perfektion kreieren sie mit ihren vielschichtigen Songs wie ‘Wasteland‘ oder ‘Para‘ von der ersten Sekunde an eine fesselnde Stimmung. Ob die merklich härtere Ausrichtung reine Tagesform, oder bewusstes Kalkül der Band ist, bleibt fraglich. Fakt ist aber, dass beide Seiten absolut zu überzeugen wissen.
Orkan
Prädikat traditioneller Black Metal aus dem Land, der das Genre hervorgebracht und geprägt hat wie kein anderes? Genau das liefern Orkan. Damit könnte eigentlich schon alles gesagt sein, die gestandenen Herren verlassen sich aber keinesfalls auf das klassische “Svartmetall“ ABC aus wüsten Blast Beats, grimmigem Gekreische und finsterem Auftreten. Nein wirklich stark agieren sie immer dann, wenn sie aus den gegebenen Genrekonventionen ausbrechen und ihre Raserei epischeren, selten gar dreckig rockenden Passagen weichen lassen. Leider dringen diese Einflüsse aufgrund des gnadenlos übersteuerten Soundbreis nur selten bis zum Hörer durch. Ein Grund mehr also, warum sich vor allem Fans des norwegischen Finsterstahls das neue Album LIVLAUS unbedingt einmal zu Gemüte führen sollten.
Alfahanne
“Bringing back the danger to rock music“, so das erklärte Ziel der Schweden von Alfahanne. Dieses Vorhaben gelingt ihnen am späten Abend ohne wenn und aber, denn ihr extremes Auftreten kratzt nicht selten am Wahnsinn, auch wenn das Genie bekanntermaßen nicht weit davon entfernt liegt. Grob umrissen fühlen sich Alfahanne wie Kvelertak auf einem tiefschwarzen Horrorpunk-Trip an… und eben eine ganze Spur unberechenbarer. Noch während des Intros räumt Schlagzeuger Niklas Åström auf dem Weg zur Bühne erstmal einen Zuschauer aus dem Weg und bringt sich in die entsprechende Stimmung. In seinem Fall heißt das: Er schäumt geradezu vor Wut, geht immer wieder stampfend auf und ab, brüllt herum und bedient sich seines Haarspray-Flammenwerfers. Die Aufmerksamkeit ist ihnen damit unweigerlich gesichert. Aber auch musikalisch lassen sich die vier Rebellen kaum in ein Genre-Korsett zwängen, wie ihr aktuelles Album BLOD ELD ALFA beweist. Punk, Black Metal, schmutzigster Rock’n’Roll, ja sogar Classic Rock ist ihnen nicht unbekannt. Im Umkehrschluss heißt das für Alfahannes Showcase 30 intensive Minuten voll volltätowierter Gitarrenmusik mit mächtig Attitüde.
Kindred Fever
The White Stripes waren Vorgestern, Kindred Fever stehen für eine neue Generation von Power-Duos im Stile von Powder For Pigeons oder The Picturebooks. Die Verbindung zwischen Sänger/Gitarrist Jarle Langåker und Schlagzeugerin Linn Sofie Hagen Olsen ist allerdings eine ganz Besondere: Die erste Probe im Jahr 2012 markierte gleichzeitig das erste Aufeinandertreffen der beiden überhaupt. Während der Show merkt man von dieser noch recht jungen Liaison aber rein gar nichts. Immer wieder tauschen sie Blicke aus, grinsen sich an und ergänzen sich nahezu perfekt, als hätten sie nie etwas anderes getan. Diese Chemie lässt das charmante Gespann zu Höchstform auflaufen und überträgt sich rasend schnell auf die gut 300 Anwesenden im Club Kick. Derb rockende Nummern á la ‘Ready To Die‘ oder dem fast schon kompromisslosen ‘Machine‘ lassen zudem den Anschein erwecken, hier stünde mindestens eine gestandenes Quartett auf der Bühne. Zu ‘Step Into The Light‘ überrascht Linn sogar mit stimmungsvoller Trompeten-Untermalung ehe sie wieder in die Felle ihres Schlagzeugs drischt. Manchmal benötigt es eben doch nur zwei Musiker mit Herzblut, um das Publikum an die Wand zu spielen.
Astrosaur
Zu den größten Überraschungen des Festivals zählt sicherlich der umjubelte Auftritt des jungen Trios Astrosaur. Instrumentaler Post Rock würde der Band nichtmal im Ansatz gerecht werden. Die Einflüsse, die Einzug in ihre Soundlandschaften halten, sind schlicht zu vielfältig. Mal sphärisch abdriftend, mal ausufernd jazzy, mal bluesig jammend, mal dynamisch zurückhaltend, mal heavy doomend, sogar alte Mastodon und The Ocean-Querverweise zum Instrumental-Meisterwek PELAGIAL lassen sich ausmachen. Während der meist überlangen Kompositionen passiert einfach unglaublich viel, trotzdem schaffen es die Norweger einen musikalischen Sog aufzubauen und Geschichten mit Höhen und Tiefen zu erzählen. Sicher kein leichtes Unterfangen ohne lyrische Komponente. Hinzu kommen extra auf die Musik zugeschnittene und meist abstrakt wirkende Leinwand-Projektionen, auf sonstigen Einsatz von Lichtern wird außer zweier blauer Spots komplett verzichtet. Gelegenheiten zum Applaudieren gibt es zwar aufgrund des gekonnten Ineinandergreifens der Songs nicht viele, diese fallen dafür dann aber umso euphorischer aus. Freunde experimentierfreudiger Instrumentalmusik sollten diese Band auf jeden Fall auf dem Radar behalten.
Beaten To Death
Wenn mal wieder gefühlt 20 Songs in 30 Minuten gezockt werden, kann es sich ja eigentlich nur um Muttis Lieblingsgenre Grindcore handeln. Richtig, denn Beaten To Death holen zum kollektiven Totschlag aus. Erbarmungsloser als dieser durchgeknallte Fünfer geht es kaum. Die Ohren bluten, die Intensität ist fast unerträglich. Und dennoch stehen hier absolute Ursympathen auf der Bühne, die einfach Bock haben, zusammen Krach zu machen. Allen voran Schreihals Anders ist absolut nicht zu bändigen und wütet die meiste Zeit lieber vor als auf der Bühne herum. Zweifellos ist die Musik an Aggression quasi nicht zu überbieten, Klaumauk-Grindcore wie bei den Excrementory Grindfuckers braucht man sowieso nicht zu erwarten, dennoch schwebt bei Beaten To Death stets dieses gewisse Augenzwinkern mit. Songs wie ‘Menstrubation‘, ‘Papyrus Containing The Spell To Summon The Breath Of Life Enshrined In The Collected Scrolls Of Sheryl Crow’ (definitiv ein Anwärter auf den Songtitel des Jahres) oder ‘Don’t You Dare To Call Us Heavy Metal’ aus dem aktuellen Album UNPLUGGED zeugen von einer durchaus humoristischen Seite. Dazu schaffen sie es neben dem absoluten Abriss auch noch völlig Grind-atypische Indie-Melodien einzuflechten, die im ersten Moment herrlich deplatziert wirken, nur um dann wieder genial vernichtet zu werden. Diese mit Abstand extremste Band des ganzen Festivals spricht natürlich nur einen erlesenen Kreis an Zuhörern an, der feiert die Band aber völlig zurecht ab.