Slayer-Fans und Freunde der kompromisslosen Thrash-Härte spitzt die Ohren und kramt in euren Platten-Sammlungen. Heute liegt äußerst bittere Süße in der Luft. Und wir sollten diesen emotionsbelasteten Tag nutzen, um einen entschiedenen Blick in die Vergangenheit zu richten. Vor genau 20 Jahren, am 11. September 2001, trugen sich zwei einschneidende Ereignisse zu, die öffentlich fassungsloses Entsetzen hervorriefen.
Insbesondere ging das Datum 9/11 aufgrund der Terroranschläge in den USA als Tragödie in die Geschichte der Menschheit ein. Die Flugzeugentführungen unter der Leitung Osama Bin Ladens forderten knapp 3.000 Menschenleben, während die Welt live dabei zusah. Zeitgleich veröffentlichten die amerikanischen Thrash Metal-Könige Slayer, die unter anderen zu den sogenannten „Big Four Of Thrash“ zählen, ihr neuntes Studioalbum mit dem schockierend akkuraten Titel GOD HATES US ALL.
Ist der Fleck auf der Bibel ein Fleck auf der Weste?
Nicht allein der Titel stellt eine Verbindung zu den terroristisch motivierten Anschlägen her. Auch der Inhalt der Platte enthält, wie bereits gewohnt, blutrünstiges graphisches und lyrisches Material. Was nach außen als maßlose Provokation interpretiert werden kann, birgt im Inneren eine viel profundere Bedeutung. GOD HATES US ALL sollte außerdem ursprünglich am 10. Juli 2001 erscheinen.
Wie es Slayer schon häufiger passierte, verzögerte sich der Release. Diesmal wurden Gründe wie ein Wechsel des Vertriebs, Zweifel am Audio-Mixing sowie ein Dilemma um das kritisch beäugte ursprüngliche Album-Cover angeführt. Das Original-Design zeigt eine christliche Bibel, die mit Nägeln gespickt und mit Blut bedeckt ist. Das Wort „Slayer“ ist eingebrannt. Aus Sorge, das Album ließe sich mit solch einem Titelbild nicht ausreichend verkaufen, verdeckte man es mit einem alternativen Slipcase-Cover.
Trotz minimalistischem, eher Slayer-untypischem Design und dem prekären Release-Datum feierte GOD HATES US ALL internationale Riesenerfolge und zählt mittlerweile zu den Metal-Kult-Alben dieses Jahrhunderts. Erstmalig erreichten Slayer Platz 28 der amerikanischen Album-Charts Billboard 200. Trotzdem gilt Slayers 1986 erschienenes REIGN IN BLOOD (Gold) bis heute als erfolgreichstes Werk der Gruppe.
Ein „Angriff auf Religion, Selbstgefälligkeit und Konformität“
Um sich von anti-religiösen Mutmaßungen zu distanzieren, erklärte Gitarrist Kerry King, der maßgeblich für den lyrischen Inhalt zuständig war, folgendes: „Ich wollte auf jeden Fall mehr Realismus hineinbringen, mehr Tiefe. GOD HATES US ALL ist keine antichristliche Phrase, sondern vielmehr eine Idee, mit der sich viele Menschen im Alltag identifizieren können. Heute lebst du dein Leben und dann wirst du plötzlich von einem Auto angefahren oder dein Hund stirbt, und du denkst dir: ‚Gott hasst mich heute wirklich.‘“
Bei genauerer Betrachtung des Inhalts, der sich im scheppernden, turbulenten Sound der Platte widerspiegelt, wird die Gott-Kritik jedoch unmissverständlich klar. Bereits im Opener ‘Disciple’, der am Rande bemerkt eine Grammy-Nominierung erhielt, wird die Rolle des „allmächtigen Herrn“ in Frage gestellt. Wieso lässt Gott Taten wie Selbstmord und Terrorismus zu, wenn er den Menschen Schutz bieten soll? Slayer beantworten diese Frage mit dem Albumtitel, der einem Zitat aus dem Opening-Track entspringt. Gott hasst uns eben alle. Loudwire Online bezeichnet GOD HATES US ALL als „gnadenlosen Angriff auf Religion, Selbstgefälligkeit und Konformität, der als eine der bösartigsten, reuelosesten Veröffentlichungen der Band bis heute gilt“.
Gott sende Tod
Auch in ‘God Send Death’, ‘War Zone’, ‘Exile’ oder ‘Payback’ fällen Tom Araya und Co. harsche, gesellschaftskritische Urteile. Immer wieder wird gegen politische und soziale, strukturelle Unterdrückung protestiert. GOD HATES US ALL soll die Folgen einer hirngewaschenen, unterjochten Welt aufzeigen. So thematisieren Slayer in ‘Cast Down’ beispielsweise einen unter dem gesellschaftlichen Druck gebrochenen Menschen, der einer Drogensucht verfällt. Mit diesem Song schlagen Slayer erstmalig einen etwas angepassteren Ton an. Auch ‘Threshold’ und ‘Bloodline’ gehören zu den melodischeren Titeln des Albums, ohne dabei an Härte einzubüßen. Mit abgehackten Riffs und doch dynamischer Melodie wird der moderne Slayer-Sound geboren. Irgendwo zwischen Thrash, Speed und Groove treten die Kalifornier ihrer Zuhörerschaft ordentlich in den Arsch. Zu ‘Bloodline’ veröffentlichten sie außerdem eines der wenigen Musikvideos der Band.
Fucking Slayer – ihr wisst, wie das geht
Auch wenn es sich mit dem Release-Datum um einen Zufall handelte, war GOD HATES US ALL genau das richtige Album, das an einem solchen Tag erscheinen musste. Auf düstere Weise hielten uns Slayer den Spiegel vor. Und noch heute ist die Botschaft der Platte von tagesaktueller Relevanz. Dass es Terror, Morde, Unterdrückung und Hassverbrechen gibt, ist kein Geheimnis. Dieser Wahrheit ins Auge zu blicken, ist unvermeidlich. „I reject all the biblical views of the truth“ („Ich lehne alle biblischen Wahrheitsansichten ab”), heißt es in ‘New Faith’. Während viele versuchen, konservative Traditionen, repressive Konventionen und archaische Werte aufrecht zu erhalten, sollte es wichtiger sein, zu hinterfragen – so wie Slayer es durch ihr künstlerisches Schaffen taten. Dass Rebellion so gut klingen kann, haben die Thrasher nicht zum ersten Mal bewiesen. Applaus an eine grandiose Platte, die es Wert ist, in Ehren gehalten und vor allem heute in voller Lautstärke aufgedreht zu werden.
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