Berlin gibt sich gerne dem Duktus des kulturell Herausragenden hin – da passt es wie die Harfe ins Orchester, dass sich ex. System Of A Down Sänger Serj Tankian den historischen Admiralspalast ausgesucht hat, um ein Konzert mit Seltenheitswert zu spielen: Er führt sein erstes Solo-Album ELECT THE DEAD (2007) komplett umarrangiert für klassische Instrumente auf. Er selber gibt den Frontmann des Orchesters, wie sich versteht. Mit diesen Auftritten bereist der Sänger momentan die Welt – und spielt dabei auch schon ein paar Songs des neuen Albums IMPERFECT HARMONIES, das August / September 2010 erscheinen soll.
Vor dem Admiralspalast der erwartet ungewohnte Anblick: Gothic-Mädels stellen sich mit Metaller-Kids in einer Reihe an, armenische Landsleute freuen sich auf Serj und ein paar Anzüge sieht man auch. Im ehrwürdigen Kulturpalast suchen sich volltätowierte Biker ihre Sitze, während Andere noch diskutieren, wer auf wessen Platz sitzt. Kultur hat schließlich vorgeschriebene Sitzordnungen.
20.15 wird das Orchester begrüßt – und zwar wie Fußballstars im Stadion, während Serj Tankian selber wie der große Zeremonienmeister empfangen wird, als den er sich heute auch zeigt. 75 Minuten lang wird er Songs seiner beiden Solo-Alben spielen. Ohne E-Gitarre. Ohne Schlagzeug im Metal-Sinne. Mit klassischen Instrumenten. Das ist nicht Rock’n’Roll im gewohnten Live-Sinne, denn es gibt nur wenig Bewegung und nur eine spartanische Licht-Show, funktioniert aber mindestens bei drei von vier Songs hervorragend.
Manche der ELECT THE DEAD Songs sind noch zu sehr für eine Rock-Band geschrieben, also im Strophe/Chorus/Strophe-Korsett gefangen, und zu verzaubern klassisch instrumentiert nur bedingt, doch das ist die Ausnahme. Gerade ‘Money’, ‘Lie Lie Lie’ und vor allem ‘Honking Antelope’ funktionieren ganz hervorragend. Die neuen Songs wie ‘Gate 21’ oder ‘Borders Are’ mit seinem fast schon The Doors mäßigen Gedicht-Vortrag sind explizit für die große Inszenierung entworfen unde werden entsprechend abgefeiert und final nur durch den ELECT THE DEAD Hit ‘Empty Walls’ als Zugabe getoppt.
Keine Vor-Band, knapp 50 Euro Eintritt, nur fast jeder Song hat gezündet – war es das wert? Ja, war es. Die Grenzen zwischen unterschiedlichsten Zuhörer-Gruppen sprengte Serj Tankian ebenso leicht, wie die zwischen Rock, Jazz, Musical, Dance und natürlich Orchester-Musik. Damit schaffte er im Handstreich, was er im neuen Song ‘Borders Are’ explizit fordert: Grenzen zu ignorieren. Deswegen geht wirklich niemand enttäuscht nach Hause. Und ganz nebenbei bekommt der sympathische Sänger im weißen Anzug auch noch den lautesten Applaus, den man in Berlin bei einem Auftritt nur kriegen kann. Lag es daran, dass endlich mal ein „Rock“-Konzert in einem Konzertsaal mit toller Akustik statt fand? Eigentlich egal, der Abend rundum großartig.
Tobias Gerber
Die Setlist gibt es unten, Bilder vom Gig in Hamburg 2008 findet ihr oben in der Galerie
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Setlist
‚Feed Us‘
‚Sky Is Over‘
‚Lie Lie Lie‘
‚Money‘
‚Baby‘
‚Blue‘
‚Gate‘
‚Peave Be Revenged‘
‚The Charade‘
‚Honking Antelope‘
‚Saving Us‘
‚Disowned Inc.‘
‚Elect The Dead‘
‚Falling Stars‘
‚Beethoven’s Cunt‘
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‚Empty Walls‘