Den 2021 vollzogenen Sprung vom untergründigen Geheimtipp auf ausgewählte Bühnen (im deutschen Raum etwa beim Dark Easter Metal Meeting 2024) haben der ungarische Komponist und Multiinstrumentalist Tamás Kátai sowie seine stilistisch schwer greifbare, seit 1998 aktive Ausnahmeformation geschafft. Ob sich das zwölfte Studiowerk als Reaktion auf die endlich hautnah erlebte Live-Energie werten lässt? Unklar – große Teile des Albums stammen jedoch aus der Zeit vor dem Vorgänger ALFÖLD (2023) und lassen derartige Schlüsse zu. Puristischen Black Metal gibt es bei Thy Catafalque selbstredend nicht zu hören, doch insbesondere die drei Stücke nach dem folkloristischen Einsteiger ‘Piros Kocsi, Fekete Éj’ fallen durch überraschend dominante schwarzmetallische Ausbrüche mit harschem Gesang auf – von ‘Mindenevö’ bis inklusive ‘Világnak Világa’ klingt XII: A GYÖNYÖRU˝ ÁLMOK EZUTÁN JÖNNEK richtig stark und mitreißend.
Danach entwickelt sich die Platte zu einer stets wandelbaren Mischung aus Folk, Jahrmarktmusik und Electro-Exkurs, die zwischenzeitlich weniger auf harte Gitarren als vielmehr klangliche Experimente und Vielfalt setzt (mehr Gäste wirkten bei Thy Catafalque nie zuvor mit): Es ertönen diverse – auch sprechende oder im Chor singende – Stimmen und Sprachen, Instrumente wie Bouzouki, Violine, Cello, Klarinette, Trompete, Saxofon und so fort, aber auch elektronische Einflüsse (sehr dominant in ‘Vakond’ und ‘Ködkiraly’, das sich jedoch dräuend entwickelt). ‘Aláhullás’ begehrt bitterböse auf, während der Titel-Track mit feierbaren Tanzrhythmen packt und die Ungarn als Bonustrack das kaum weniger stimmungsvoll dargebotene Cover ‘Babylon’ der ungarischen Rock-Band Omega kredenzen. Dass all das auf ein Album (und dabei sogar irgendwie zusammen-)passt, erstaunt, macht dem Genre-verweigernden, im besten Sinne avantgardistischen Anspruch des Künstlers aber einmal mehr alle Ehre.
🛒 XII: A GYÖNYÖRU˝ ÁLMOK EZUTÁN JÖNNEK bei AmazonKein Stück klingt wie das andere, und nie bewegen sich Thy Catafalque in tradierten Hörmustern – überall lauern Überraschungen und öffnen sich neue Pfade in ganz andere musikalische Welten. Dass sich ein derart unstandardisierter Grenzgang an der Spitze des Soundchecks festsetzen kann, mag verwundern, spricht jedoch für das Bedürfnis nach echter Kunst und dem wahrlich Unerwartbaren in einem Release-Monat, der vor Mittelmäßigkeit (und Schlimmerem) nur so platzt. Stiloffene Black-Metaller kommen bei den genannten Stücken auf ihre Kosten, Wagemutige lassen sich auf die komplette Reise ins Ungewisse ein. Es lohnt sich, wenn auch ganz bestimmt nicht für alle gleichermaßen.
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