Wenn du vor eine Wand rennst, benutze deinen Kopf – und sei es, um sie damit einzuschlagen, wenn dir nichts anderes einfällt. Diese Botschaft ist so etwas wie die DNS, die Primordials kreativen Blutkreislauf bestimmt.
Diese DNS hat die Band aus dem musikalischen Tal der Tränen, welches das beängstigend düstere, letzte Werk THE GATHERING WILDERNESS darstellte, herausgeführt. TO THE NAMELESS DEAD macht so ziemlich alles anders und ist doch – oh Wunder der DNS – genau das, was diese irische Band so einzigartig macht.
Wo zuletzt Billy Anderson für eine entrückte, fast archaisch in die Achtziger zeigende Produktion sorgte, verhalf ihnen nun Chris Fielding zu einem dominanten, warmen, analogen Sound, der die Glut in Riffs und Rhythmen neu anfacht.
Wo zuletzt in Alan Averills Stimme Verzweiflung durchklang, zeigt sie sich jetzt nur noch in sporadischen, effektvollen Mollwendungen in der – man muss es so bezeichnen – gebrüllten Rezitation seiner Lyrik.
Und wo sich Gitarren zuletzt oft bedingungslos der Erdanziehung unterwarfen, erheben sie sich auf dem neuen Album wie eine Naturgewalt: mal verhohlen, akustisch vibrierend, mal mit der vollen Kraft explodierender Amps.
Dass ihnen auch doomige Klangwalzen liegen, konnten Primordial auf THE GATHERING WILDERNESS beeindruckend zur Schau stellen – doch der Furor, der IN THE NAMELESS DEAD auszeichnet, ist es, der die Essenz der Originalität dieser Band ausmacht.
Zuletzt war dieser auf STORM BEFORE CALM in annähernd so ehrfurchtgebietender Größe zu hören. Viel wurde geschrieben über das Irische in Primordials Musik, über die folkloristischen Klangfarben, Simon O’Laoghaires eigentümliches Trommelspiel – aber wer dieser Band mit der Formel „Black) Metal plus Folk“ auf den Grund gehen will, kommt nicht weit. Denn beide Stilistiken haben ein Song-Verständnis, das Primordial nicht teilen: Es gibt sie nicht, die Mitsing-Refrains im klassischen Sinn, oder die bierseligen Avancen an das Wir-Gefühl, die Folk-Elemente im Metal so oft suggerieren.
Primordial gelingt es in ihren besten Momenten, eine fast Ambient-mäßige Stimmung in all dem Toben aufzubauen, die wie der Moment der Erkenntnis des Menschen im Angesicht der Natur wirkt – der Erkenntnis, Teil von etwas unsagbar Machtvollem und inhärent nicht Kontrollierbarem zu sein.
Dieses Bild setzt Alan Averill in seinen Texten in scharfen Kontrast zu dem menschlichen Konstrukt, das an die Stelle der Natur getreten ist: die Nation. Namenlose Tote produzieren sie beide; die Frage, für wen es sich mehr lohnt, sich den Kopf an einer Wand zu Brei verarbeiten zu lassen, beantworten Primordial nicht explizit – obwohl Song-Titel wie ‘Empire Falls’ oder ‘As Rome Burns’ eine gewisse Präferenz erkennen lassen. Doch wer beim Headbangen zu diesen urgewaltigen Hymnen an die Freiheit (der Gefühle, des Handels, der Entscheidung, wann und für wen man ins Gras beißt – sucht es euch aus) wie ich in gefährliche Nähe zu den bröseligen Betonbegrenzungen seiner eigenen, privaten Welt gerät, spürt, worum es hier geht – spürt und weiß es. Und das ist nun wirklich das Höchste, was Musik leisten kann!
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