Kopfhörer auf! Denn was Nightwish hier kredenzen, funktioniert nur bei konzentriertem Zuhören – zumindest in den ersten vier, fünf Runden. HUMAN. :II: NATURE. geizt mit vordergründigen Hits der Marke ‘Élan’ oder ‘Alpenglow’, um die Vergleiche auf das Vorgängeralbum ENDLESS FORMS MOST BEAUTIFUL zu beschränken. Und das, obwohl viele der neuen Stücke weniger auf pompösen Orchester-Parts fußen, sondern wie lange nicht mehr auf dem Gesang. Selbst in anspruchsvollsten Passagen zeigt sich Floor Jansen facettenreich wie nie, bezirzt mit leisen Tönen (‘Procession’), gibt sich kraftstrotzend und laut (‘Noise’) und trumpft in an die Tarja-Ära erinnernden operesken Sphären (‘Shoemaker’) auf. Öfter als Marko Hietala ergänzt diesmal Troy Donockley das Stimmen-Triumvirat, was den Folk-Faktor stellenweise merklich erhöht und die außerweltlichen Kompositionen angenehm erdet.
Dass das neunte Album trotzdem etwas für Entdecker ist, liegt einerseits an den dichten, vielschichtigen Arrangements, und andererseits daran, dass vielen Nummern die schnell zündenden Hooks abgehen. ‘Noise’, ‘How’s The Heart’ und Troys Folk-Sternstunde ‘Harvest’ mögen zu den Ausnahmen gehören, die einem das Eintauchen in Tuomas Holopainens Welt erleichtern; bis das tänzelnde ‘Shoemaker’, das urgewaltige ‘Tribal’, das verspielte ‘Pan’ oder gar ‘Endlessness’, das doomige Finale der ersten Disc, sich festhaken, dauert es aber eine Weile. Dann jedoch entfalten sie eine emotionale Tiefe und kompositorische Wucht, die einen erschaudern lassen kann. Dass das erst recht für die mehrteilige, (weitgehend) instrumentale Symphonie auf der zweiten Disc gilt, versteht sich von selbst – das bewegende Finale belohnt die Reise allerdings.
🛒 HUMAN. :II: NATURE. bei AmazonIm Direktvergleich bleibt ENDLESS FORMS MOST BEAUTIFUL packender. Nichtsdestotrotz stellen Nightwish mit diesem mutigen und ambitionierten Doppelalbum unter Beweis, dass sie die unangefochtene Speerspitze des Symphonic Metal darstellen. Erst im Rückblick, nachdem man weltentrückt die Kopfhörer abnimmt, erkennt man, dass der Eröffnungs-Track ‘Music’ durchaus als Anleitung für HUMAN. :II: NATURE. zu verstehen ist: „Deepening the listening, losing yourself to the endless symphony.“
Nightwish liefern mit HUMAN.:II: NATURE. ein Meisterwerk, das dem Hörer jedoch einiges abverlangt. Keine Note und kein Wort scheinen zufällig, jede Sekunde hat Tuomas Holopainen exakt geplant, den Bombast stellenweise zurückgeschraubt und die Stimmen seiner Kollegen so gekonnt in Szene gesetzt wie nie zuvor. Was Floor Jansen liefert, ist nicht von dieser Welt. Das Album braucht Zeit; und davon viel. Wer ihm diese gewährt, den erwartet ein Universum voller Schönheit und ganz großer Emotionen. Lisa Gratzke (6,5 Punkte)
Mit 82 Minuten ist die neue Nightwish-Platte durchaus eine Herausforderung. Vom einstieg-erleichternden Auftakt ‘Music’ bis zum theatralisch tollen ‘Endlessness’ gestaltet sich die lange Reise, deren Stationen perfekte finnische Beiträge zu einem imaginierten Eurovision Song Contest des Symphonic Metal genauso wie Folk-Verschnaufpausen und erhabene E-Musik-Vignetten beinhaltet, stilistisch unterhaltsam facetten- wie musikologisch lehrreich. Wann wenn nicht jetzt hat man schon mal die Zeit, sich in solch ein Epos hineinzulegen? Frank Thiessies (5,5 Punkte)
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