„Eine gut erzählte Geschichte macht aus Ohren Augen“, sagt ein chinesisches Sprichwort. In dieser Hinsicht gehören Iron Maiden seit über 30 Jahren und Alben wie THE NUMBER OF THE BEAST (1982) oder POWERSLAVE (1984) zu den größten metallischen Illusionisten. Ihr letztes Album THE FINAL FRONTIER (2010) enttäuschte mich trotzdem auf voller Linie.
Progressiv waren die Briten immer, aber hierbei hatten sie all jene Wendungen vermissen lassen, welche eine Story wirklich memorabel werden lassen. Wie viel aufregender hingegen THE BOOK OF SOULS klingt – und das, obwohl dieses Doppelalbum bezüglich der Spielzeit alles toppt, was bislang unter dem Namen Iron Maiden als Studioscheibe erschienen ist! Nicht selten sieht man sich in die achtziger Jahre zurückversetzt, als die Musiker mit SOMEWHERE IN TIME (1986) oder SEVENTH SON OF A SEVENTH SON (1988) kreativ positiv über die Stränge schlugen.
Neben schlicht grandiosen Stadionhymnen (der Opener ‘If Eternity Should Fail’, der Titel-Song oder ‘The Red And The Black’ seien nur stellvertretend genannt) und den berühmten magischen Tonfolgen gibt es auch kleine musikalische Überraschungen zu entdecken (‘Speed Of Light’ klingt zu Beginn wie eine Guns N’ Roses-Nummer von 1987, ‘Empire Of The Clouds’ hätte auch von Queen in den Siebzigern konzipiert werden können). THE BOOK OF SOULS dreht am großen Rad der band-eigenen Historie, wirkt trotzdem frisch und musikalisch absolut komplett. Wie viele Bands haben bislang eigentlich versucht, den Männern um Steve Harris in Sachen Melodieverständnis und Zwillingsgitarren auf Augenhöhe zu begegnen?
Alles vergebens, in dieser Liga sind Iron Maiden auch 2015 weiterhin ungeschlagen. Wer hier nicht alle zwei Minuten die Luftgitarre einstöpselt und sich vorm Spiegel als vierter Gitarrist bewirbt, ist metallisch ein hoffnungsloser Fall. Der Prunk an Variationen, welche diese Band um ein Grundthema baut, übertrifft noch immer jede Vorstellungskraft. Das spielerisch leichte Element, das diese acht-, zehn- oder 13-minütigen Monster auszeichnet, macht THE BOOK OF SOULS über die gesamte Spiellänge zu einer überaus spannenden und unterhaltsamen Angelegenheit, zumal auch der Sound nicht nur prachtvoll, sondern endlich wieder druckvoll aus den Boxen dringt. Nun gut, ob das Dickinson-Epos ‘Empire Of The Clouds’ nicht auch in 14 statt 18 Minuten hätte erzählt werden können, lassen wir jetzt mal dahingestellt. Dies beraubt die längste aller bisherigen Maiden-Kompositionen aber nicht ihrer Magie.
In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeitsspanne bei etwa 30 Sekunden liegt, stellen Iron Maiden einen absoluten Anachronismus, ein Überbleibsel der Musikgeschichte dar. Aber von diesen kauzigen Typen erfährt man eben manchmal die besten Geschichten.
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