Tom S. Englund leidet – doch er tut dies so wunderschön und produktiv wie kaum ein anderer Künstler im Metal-Bereich. Und so erscheint ziemlich genau zwei Jahre nach A HEARTLESS PORTRAIT (THE ORPHEAN TESTAMENT) schon wieder ein neues Werk seiner Formation Evergrey, das im hochemotionalen, aber doch anschmiegsam-wohligen Bereich zwischen Progressive- und Power Metal daheim ist und mit ‘Falling From The Sun’ sowie ‘Misfortune’ überaus beschwingt und kraftvoll beginnt. Fragilere Passagen offenbaren der Beginn des mittig mit Chören ausgestatteten, später düsteren ‘To Become Someone Else’ sowie die orchestrierte Gänsehautballade ‘Ghost Of My Hero’, während der man den vom Leben gebeutelten Protagonisten am liebsten in den Arm nehmen möchte.
Als herausragendes Stück der an Highlights keineswegs armen, perfekt aufgebauten Platte entpuppt sich das von Keyboard und Hammondorgel gesäumte ‘Say’, das schon jetzt irre Lust auf die beseelte Live-Darbietung von Gitarrist Henrik Danhage macht, aber auch von der durchweg tollen Stimme des Frontmanns profitiert. Harte Konkurrenz kommt von den Hymnen ‘One Heart’ und ‘Our Way Through Silence’ sowie dem Hörgenuss ‘The Night Within’, während ‘We Are The North’ und das (eher unauffällig) von Katatonias Jonas Renkse sowie Englunds Tochter Salina unterstützte ‘Cold Dreams’ düsterere und härtere Saiten aufziehen. Diese Tugend gehört zu den herausragenden aktuellen Stärken der Formation: Die Schweden schaffen es, große Gefühle, Melodiösität und musikalischen Anspruch in Kombination mit harten Riffs und brodelnden Hooks derart gekonnt darzubieten, dass es nie seicht klingt oder gar langweilt.
🛒 THEORIES OF EMPTINESS bei AmazonStattdessen sitzt jede Sekunde, berührt jeder Ton und entdeckt man immer wieder neue Seiten am kreativen Feuerwerk, das auf über 50 Minuten abgefackelt wird. Man kann mitnichten behaupten, Evergreys vorherige Werke seien schwach oder gar gefühlsarm gewesen – das von einer erklärenden und den Titel philosophisch einordnenden Sprachkulisse beschlossene THEORIES OF EMPTINESS hebt das Schaffen der Schweden jedenfalls auf ein ganz neues Niveau und enthält keinen einzigen Füller, sondern verzückt von vorne bis hinten und fährt (nach ESCAPE OF THE PHOENIX von 2021) vollkommen zu Recht Evergreys zweiten Soundcheck-Sieg ein. Bleibt abzuwarten, wie lange der (vorläufige?) Höhepunkt anhält – dass danach kreative Leere herrscht, ist jedoch nicht anzunehmen.
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