Zwei Jahre nach dem am Ende von Deus Ex: Human Revolution nicht mehr aufzuhaltenden „Aug-Incident“, bei dem kybernetisch verbesserte Bürger durch einen ferngesteuerten System-Aussetzer Amok liefen ist die Welt zwischen “Naturals” und ”Augs” gespalten. Es herrscht eine „mechanische Apartheid” – Augs sind Bürger zweiter Klasse und die Opfer einer Segregation, die über Repression und Ausgrenzung bis hin zu der Beschneidung elementarer Menschenrechte reicht.
Auch Protagonist Adam Jensen ist davon betroffen: Als stark augmentierter Agent einer Spezialeinheit von Interpol ist er zunächst einer Gruppe von Waffenschiebern und Terroristen auf der Schliche, bevor er erneut in das Netz einer großangelegten Verschwörung gerät, nach der initiale Einsatz in Dubai in einem wüsten Schusswechsel mit maskierten und augmentierten Terroristen endet. Und dann wird auch noch ein Sprengstoffanschlag just in dem Moment auf einen Bahnhof verübt, als Jensen nach Prag zurückkehrt. Steckt Interpol da etwa selbst mit drin?
Adam Jensen zwischen den Fronten
Als Doppelagent für ein Hacker-Netzwerk nimmt Jensen im Prag des Jahres 2029 die Spur auf. Ohne zu viel verraten zu wollen: Ähnlich wie der Vorgänger setzt auch Mankind Divided auf Handlung, in deren Zentrum ein weltumspannendes Ränkespiel steht. Das ist spannend, doch Deus Ex brilliert an anderer Stelle: in der kleine und subtilen Inszenierung!
Denn das Hauptmotiv des grandiosen Schauplatzes Prag, der, Serien-untypisch, nur sehr selten verlassen, ist die Spaltung der Gesellschaft. Jensen erfährt das rabiate Vorgehen der Polizei, die Repression und die Diskriminierung am eigenen Leib. So muss er sich z.B. von Polizisten herumschubsen lassen, wenn er nicht die vorgesehenen, heruntergekommenen U-Bahn-Wagen für Augmentierte am Ende des Zuges nutzt – und der Spieler kann sich durch kleine Handlungen wie die Wahl des Einganges für Widerstand oder Akzeptanz entscheiden. Zudem sind auch die zahlreichen Nebenquests mit ihren Interessanten Figuren und teils brutalen Entscheidungen spannend aufgebaut und hervorragend erzählt.
Ein hervorragender Schauplatz
So muss ich zum Beispiel in einer Szene entscheiden, welchen Bürger ich mit gefälschten Dokumenten vor den Fängen der Sicherheitskräfte retten kann – und welchen nicht. Jede Handlung hat zudem Auswirkungen auf bestimmte Erzählstränge und Reaktionen meiner Auftraggeber – selbst wenn diese nur subtil sind. So reagiert z.B. der Interpol-Forensiker, dem ich Beweise aus dem von der lokalen Polizei abgesperrten Bahnhof besorge, deutlich weniger positiv, wenn ich die Beamten Blei habe schmecken lassen, anstatt vorsichtig und gewaltlos vorzugehen.
Auch der Schauplatz, in dem man große Teile der rund 25 Stunden Spielzeit verbringt, überzeugt durch seine Details. Viele Gebäude sind (mehr oder weniger legal) begehbar und es gibt ein großes Kanalisations-Netz unter den Straßen, in denen halbseidene Gestalten herumlungern. Überall erzählt die Umgebung mit herumliegenden Daten-Cards kleine Geschichten. Versteckter Alkohol in einer Arztwohnung oder Verstecke von Widerstandsgruppierungen schaffen ein gutes Gefühl für die zerrissene Stadt, die von dem Aug-Incident besonders betroffen war. Prag erinnert in seiner generellen Anlage an City 17 aus Half-Life 2 – und das ist ein Kompliment!
Spielerische Spitzenklasse
Spielerisch nimmt das neue Deus Ex den Faden von Human Revolution beinahe nahtlos auf. In der Ego-Perspektive streift man durch Prag – einzig wenn man Deckung sucht wechselt die Ansicht in die Schulterperspektive. Die Möglichkeiten sind dabei vielfältig, denn die meist sehr weitläufigen Schauplätze bieten oftmals eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Auseinandersetzung zu vermeiden – oder zu suchen. Schleiche ich durch Lüftungssystem, nutze ich meine Hacking-Fähigkeiten um die Sicherheitssystem für meine eigenen Zwecke zu nutzen oder zücke ich das Sturmgewehr und suche die direkte Konfrontation?
Jeder Weg hat Vor- und Nachteile und durch die überarbeitete Waffenmechanik (jedes Schießeisen kann mit einer Vielzahl von Aufsätze und Munitionsarten versehen werden, außerdem fühlt sich Zielen und Schießen deutlich besser an als vorher) sind auch Schießereien endlich richtig spaßig.
Augmentierung für jeden Stil
Auch die Schleichmechanik funktioniert gut: Wachen reagieren auf ausgeknockte Kollegen und suchen Räume gezielt nach Eindringlingen ab, wenn man etwas zu unvorsichtig vorgegangen ist. Allerdings lässt sie sich auch teils etwas zu leicht austricksen und ignoriert verschwundene Kollegen.
Für jeden Spielstil stehen zudem einige “Augmentierungen” zur Verfügung, mit denen der Spieler seinen Weg vereinfachen kann. So gibt es von der Möglichkeit sich unsichtbar zu machen über umfangreiche Verbesserungen der Hacker-Fähigkeiten (Hacks laufen nach wie vor über das verhältnismäßig komplexe Minispiel ab, das auch schon aus dem Vorgänger bekannt ist) bis hin zu Tasern im Handgelenk viele Varianten, um sich unliebsamer Sicherheitskräfte zu entledigen.
Ausgewählt und verbessert werden diese Augmentierungen in einem Fertigkeitenbaum, der ähnlich funktioniert wie bei einem Rollenspiel und der Praxispunkte benötigt. Diese werden über Erfahrungspunkte freigeschaltet, die man für jede gelungene Aktion erhält. Eine elegante Lösung, die motiviert!
Technisch zweischneidig
So sehr Mankind Divided aber erzählerisch und spielerisch überzeugt, so sehr schwankt die Leistung im technischen Bereich. Während die Dawn Engine im großen und ganzen eine durchaus stimmungsvolle schafft und viele Lichtstimmungen stark einfängt, sind Oberflächen oftmals verwaschen und das Gesamtbild etwas zu statisch.
Auch die Gesichtsanimationen sind wächsern und Haare wirken unangenehm künstlich und steif. Zudem neigt die PS4-Version im Test vor allem in Prag zu störenden Rucklern, auch wenn der Spielfluss selbst nie wirklich in Gefahr ist. Dennoch: Angesichts der spielerischen Qualität sind das eher Peanuts!
Fazit
Deus Ex Mankind Divided überzeugt vor allem durch seine kleinen Geschichten, seinen toll entworfenen Schauplatz und seine Spielmechanik, die, kurz nach Deus Ex, zu den besten der gesamten Reihe gehören dürften. Die Hauptgeschichte ist zwar interessant, der eigentliche Star ist aber die subtil eingewobene, überall ersichtliche Spaltung der Gesellschaft, die, ganz nebenbei, auch einen bitter-aktuellen Kommetar zur aktuellen Weltlage darstellt. Technisch ist Mankind Divided ein zweischneidiges Schwert, dessen spielerische Vorzüge aber klar überwiegen. Ein würdiger Nachfolger für das starke Human Revolution!
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