Es ist schon erstaunlich: Da macht dieser Øystein G. Brun seit fast 17 Jahren dieses Ding namens Borknagar, schafft es dabei immer wieder, unfassbar gute Musiker um sich zu scharen, legt erst 2010 mit UNIVERSAL ein Album hin, bei dem hier in der Redaktion schon ziemlich kollektiv die Kinnladen auf Halbmast gingen, und dann so was: URD bläst seinen Vorgänger vom ersten Ton an aus den Socken. Dreimal wird ‘Epochalypse’ angezählt, dann steht da buchstäblich eine Wand von einem Riff vor dir.
Und dann beginnt das, was dieses Album so wundervoll macht – die Gesangsmacht, die da heißt: Vintersorg, ICS Vortex und Solefalds Lazare. Borknagar hatte immer fantastische Sänger (man denke nur an Garm), aber noch nie drei von diesem Kaliber, die alle zugleich ins Geschehen eingreifen. Damit bieten sie den entfesselten, wirbelnd sich verwebenden, markant folkig klingenden Riffs von Øystein einen würdigen Konterpart. Song Nummer zwei, das schon vorab bekannte ‘Roots’, zeigt dann, dass auch die alte Schroffheit – immerhin reden wir hier von Black Metal-Wurzeln – noch ihren Platz im Soundspektrum von Borknagar hat. Oder wieder, wenn man Øystein glaubt: Für ihn ist URD eine Rückkehr zur „nordischen Nabelschau und Naturbetrachtung“, und tatsächlich zeichnet sich URD bei aller Komplexität durch organische Melodieführung aus und bei aller extravaganten Inszenierung durch schlichte Schönheit.
Gleichzeitig ist die Bandbreite enorm: Fliegende Metal-Fetzen treffen auf reine Prog-Nummern wie ‘The Beauty Of Dead Cities’, das gegen Ende, nicht nur weil Lazare den Gesang übernimmt, wie ein Solefald-Trip daherkommt. Tatsächlich ist URD für mich Prog Metal, nicht im Sinne einer alles, was sich an musikalischen Fragen stellt, erschlagenden Genreschublade, sondern als Anspruch an den Hörer. Schnelle Befriedigung à la „Ich hab jetzt Bock auf Black Metal“ gab es von Borknagar seit THE OLDEN DOMAIN (1997) nicht mehr, insofern ist das vielleicht eine verspätete Feststellung, aber URD stellt für mich so vieles in ein neues Licht, was ich an dieser Band mag – und lässt mich vieles neu schätzen, was ich anzweifelte. Etwa Vintersorgs klassische, manchmal fast Musical-artige Melodien oder die phasenweise beinahe abgeschmackten Schmachtarrangements. (Klavier? Logisch. Temperiert gerupfte Akustikklampfe? Auch. Streicher? Her damit!) Sie funktionieren – wenn man akzeptiert, dass Øystein und seine Gang nicht für meinen selektiven Geschmack ihre eigentümlichen Songs anrühren, sondern diesmal (und endlich!) das ganz große Album in Angriff genommen haben.
Hier wird alles eingesetzt, um (fast) jeden Song zum verdienten Höhepunkt zu kitzeln, und gerade das macht URD so ungemein beeindruckend. Keine Ahnung, wie erfolgreich das jetzt werden kann, aber URD ist klar das beste Borknagar-Album bisher. Man kann sich richtig vorstellen, wie Øystein bei Jens Bogren im Fascination Street Studio saß, sich den finalen Mix anhörte und in seiner ruhigen, unaufgeregten Art nickte. Denn er weiß, was er hier fabriziert hat, und das ist das Wichtigste, was nach 17 Jahren bei so einer Nabelschau herauskommen kann.
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