Bandchef Michael Amott zufolge hat sich die Philosophie seiner Band seit der Gründung im Jahr 1996 nicht sonderlich geändert: „Wir wollen intensiven Heavy Metal spielen, mit extremem Gesang und viel Melodie in den Gitarren.“ Nun, diesem (formal umschriebenen) musikalischen Vorhaben folgen zugegebenermaßen eine ganze Heerschar von Bands – nur macht es eben aktuell keine besser als Arch Enemy.
Qualitativ trennt auch das Jubiläumsalbum (WILL TO POWER ist Studioscheibe Nummer zehn) die Melodic Death-Spreu vom spröden Weizen. Und das liegt wieder einmal hauptsächlich an der unvergleichlich gefühl- wie druckvollen Aktion von Amott, dessen Gitarrenspiel wortlose Geschichten in Serie erzählt. Damit steht er in einer Reihe mit Ikonen wie Michael Schenker oder Gary Moore. Stilistisch vielleicht nicht vergleichbar, doch bezüglich des „sechsten Sinns“ durchaus.
Hier verschmelzen Künstler und Instrument zu einer absoluten Einheit. Amott kreiert Atmosphären, die im Grunde den melodischen Tod nur als vagen Rahmen nehmen, sich aber nie von ihm vereinnahmen lassen. Wer auf WILL TO POWER allein den Soli lauscht, entdeckt noch ganz andere Genres: Classic Rock und Metal, Blues und Prog. Oder auch klassische Musik. Wer die große Gitarrenkunst im Metal sucht, kommt an dem 47-jährigen Schweden also auch anno 2017 nicht vorbei.
Wenn es eine instrumentale Version von WILL TO POWER gäbe – ich würde sie mir definitiv kaufen. Das darf allerdings nicht als Attacke auf Alissa White-Gluz verstanden werden: Die Kanadierin frisst den Hörer mit Haut, Seele und Haaren, interpretiert die musikalischen Vorgaben Amotts mit größtmöglicher Inbrunst. Die 32-Jährige gehört in der Nische der weiblichen Growls weiterhin zur absoluten Spitzenklasse. Und dass sich dieser exotische Bonus (ist leider immer noch einer) optisch wie medial gut verkaufen lässt, dürfte auch klar sein.
Manchmal würde ich mir einen Hauch mehr Melodie im Gesang wünschen, die Lieder (auch abseits der verspielten Single ‘The World Is Yours’) gäben das im Grundkonstrukt her. Dass White-Gluz es drauf hat, beweist sie in den Verszeilen von ‘Reason To Believe’, die nicht weit von Halestorm und Co. entfernt sind. Großartig. Dieser Ansatz könnte Arch Enemy künftig noch neue Türen öffnen. Vorerst bleibt das Übergewicht beim Ballbesitz aber dem Beelzebub überlassen.
Zumindest ist damit gesichert, dass bei WILL TO POWER niemand auf die Idee kommt, das Quintett würde zu sehr über den Tellerrand hinaus blicken. Oder verweichlichen. ‘Blood In The Water’ lässt die Fäuste hochschnellen, ‘The Race’ hat dank dem Nackenschleifer-Riff seinen Namen definitiv verdient, ‘The Eagle Flies Alone’ besitzt das fiese Nervengift von Amon Amarth (Death Metal zum Nachpfeifen), ‘Murder Scene’ (beim Solo verdrücke ich Scorpions-Freudentränen) ist ein Mosh-Party-Knüller, ‘My Shadow And I’ weckt bei jedem Nichtskönner (also mir) den Wunsch, die Luftgitarre auszupacken.
Das instrumentale Intro (‘Set Flame To The Night’) und die epische Abschlussnummer ‘A Fight I Must Win’ lassen Parallelen zu In Flames erkennen – ob diese Klammer nur ein Zufall oder wegweisender Hinweis auf die musikalische Zukunft dieser Band ist, vermag niemand zu sagen. Im Prinzip kann diese Kapelle alle Stilarten des Genres bedienen. Und zwar auf qualitativ höchstem Niveau. Hard Rock? Stoner? Derben Death? Lassen wir uns überraschen und genießen bis dahin eine metallische Machtdemonstration: WILL TO POWER.