Der eine kam vor dem Höhepunkt, der andere danach. Beiden gemein ist: Der richtige Iron Maiden-Sänger waren sie eigentlich nie. Wir unterhielten uns für die METAL HAMMER-Januarausgabe 2015 mit Paul Di’Anno (Frontmann der Band zwischen 1980 und 1981) und Blaze Bayley (1995 bis 1998) über die Besonderheiten im Sound der britischen Metal-Legende sowie ihren individuellen Beitrag zur Historie.
METAL HAMMER: Paul, Blaze – was macht Iron Maiden nach eurem Verständnis so einzigartig?
Paul Di’Anno: Für meine Begriffe geht es bei Iron Maiden vor allem um die schnellen, melodischen Songs, die herausragende Tempowechsel beinhalten. Das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.
Blaze Bayley: Mir kommen bei dieser Frage direkt der Klang und die Melodielinie des Basses in den Kopf, dazu die Akustikgitarren. Und natürlich die einzigartigen Harmonien und außergewöhnlichen Song-Arrangements.
MH: Welche war die schönste und schlechteste Erfahrung während eurer Zeit als Iron Maiden-Sänger?
Paul: Schlechte Erfahrungen? Gab es keine. Im Gegenteil: Ich hatte eine fantastische Zeit, total aufregend.
Blaze: Die schönsten Momente waren jene, in denen ich mit Steve Harris an neuen Liedern arbeiten durfte. Was mich immer gestört hat, war, dass es unmöglich war, nach den Konzerten Kontakt zu den Fans aufzunehmen.
Heiliger Proberaum
MH: Wie habt ihr Stimmung innerhalb der Band wahrgenommen?
Blaze: Sehr unterschiedlich…
Paul: Absolut fantastisch, weil wir total unschuldig an die Sache rangingen und es genossen, den Leuten unsere Musik vorzustellen. Als wir merkten, dass viele Fans komplett auf uns abgefahren sind, hat uns das schlicht umgehauen!
MH: Wie kann man sich denn einen gewöhnlichen Tag im Proberaum von Iron Maiden vorstellen?
Blaze: Im Grunde auch nicht anders als bei jeder anderen Band. In der Regel entstanden innerhalb von 24 Stunden ein bis zwei Songs.
Paul: Der Proberaum war uns heilig! Dort haben wir viel an den grundlegenden Ideen herumgewerkelt, partiell für meinen Geschmack sogar zu viel. Wir haben jedenfalls sehr hart daran gearbeitet, um Iron Maiden auf die Beine zu stellen.
MH: Und wie gestaltete sich der Tagesablauf auf Tour?
Paul: Wir sind mit dem Bus oder irgendeiner Karre durch die Gegend gegondelt und haben uns all die Sehenswürdigkeiten angeguckt. Schließlich haben wir damals viele Städte zum ersten Mal bereist. Danach folgte das Mittagessen, die Pressearbeit bei Radiostationen, Fotoshootings, Interviews et cetera. Im Anschluss Soundcheck, Abendessen – und dann begann der beste Teil des Tages: die Show!
Blaze: Wir haben uns immer um elf Uhr in der Lobby getroffen. Dann ging es ab zum Flughafen, gegen 17 Uhr checkten wir in das neue Hotel ein. Ab 19 Uhr fuhren wir in Richtung Halle, wo wir kurze Zeit später einige Fans zum Meet & Greet getroffen haben. Um 20:30 Uhr standen wir meist auf der Bühne. Nach Ende des Konzerts ging es direkt mit dem Auto oder dem Bus zurück ins Hotel.
Düster und depressiv
MH: Gab es ein Band-Mitglied, das ihr besonders geschätzt habt?
Blaze: Steve Harris. Er ist ein durch und durch aufrichtiger und großzügiger Mann, für den seine Familie immer im Vordergrund steht.
Paul: Clive (Burr, damaliger Drummer – Anm.d.A.), Dave Murray und ich haben viel Zeit miteinander verbracht. Dave und ich bewohnten damals sogar zusammen mit unseren Freundinnen ein Haus, er ist ein toller Typ! Und über Clive konnte ich mich jedes Mal kaputtlachen.
MH: Wie konntet ihr in eurer Zeit den Sound von Iron Maiden prägen?
Paul: Es ist schwer zu sagen, ob ich das wirklich getan habe… Ich sah weder aus wie die anderen Metal-Sänger, noch klang ich wie sie.
Blaze: Meine Stimme hat definitiv einen anderen Klang als die von Bruce. Zudem fielen meine Texte und Melodien etwas düsterer und depressiver aus.
MH: Würdet ihr aus heutiger Sicht etwas anders machen als damals?
Paul: Auf keinen Fall!
Blaze: Klar würde ich einige Dinge anders angehen. Heute kann ich beispielsweise Ideen viel besser und schneller in Songs umwandeln.
Den Traum leben
MH: Wie hat euch die Zeit als Iron Maiden-Frontmann persönlich verändert?
Blaze: Durch diese Erfahrung hat sich meine Sicht auf das Komponieren komplett gedreht. Zudem ist mein Selbstbewusstsein in jener Zeit enorm gewachsen: Ich wurde nicht nur ein besserer Sänger, sondern auch ein besserer Frontmann. Es war definitiv eine Erfahrung, die mein Leben verändert hat.
Paul: Ich sah die Welt und darf meinen Traum dank Iron Maiden bis heute leben.
MH: Wo würdet ihr Iron Maiden in der Metal-Szene einordnen?
Paul: Ich bin kein großer Metal-Fan, meine Lieblings-Band waren und sind die Ramones. Danach würde ich Iron Maiden und Judas Priest gleichauf sehen, im Anschluss Motörhead, Metallica und Led Zeppelin.
Blaze: Für mich sind Iron Maiden ganz klar die Nummer eins im Heavy Metal. Sie haben musikalisch mehr erreicht als jede andere Band dieses Genres.
MH: Könnt ihr abschließend ein paar Worte zu der Maiden-Diskografie verlieren?
Paul: Oh, damit tue ich mich schwer. Ich muss gestehen, dass ich nach THE NUMBER OF THE BEAST (1982) kein einziges Iron Maiden-Album mehr komplett durchgehört habe. Unser Debüt litt unter einem fürchterlichen Sound, hatte aber starke Songs. KILLERS (1981) war okay, musikalisch für meine Begriffe aber nicht mehr so aufregend.
Blaze: KILLERS habe ich nie komplett gehört, auf IRON MAIDEN (1980) irritiert mich der punk-artige Gesang. THE NUMBER OF THE BEAST (1982) ist einfach brillant, eines der besten Alben aller Zeiten. Bruce verleiht der Band einen völlig neuen Klang. Eigentlich ist er mehr Instrument als Sänger. PIECE OF MIND (1983) besitzt wundervolle Rhythmen und Melodien, speziell die Schlagzeugarbeit ist außergewöhnlich. POWERSLAVE (1984) klingt verrückt, episch und destruktiv zur selben Zeit.
Stolz
SOMEWHERE IN TIME (1986) besticht vor allem durch ‘Wasted Years’, dem wohl besten Lied, das jemals über Heimweh auf einer Konzertreise geschrieben wurde. SEVENTH SON OF A SEVENTH SON (1988) überzeugt mich hingegen in jeder Sekunde: Zur Vorbereitung auf eine Tournee habe ich stets die komplette Scheibe durchgehört, obwohl einige Lieder gar nicht im Set auftauchten. Von dem Album kriege ich nie genug. Das ist bei NO PRAYER FOR THE DYING (1990) anders: ‘Afraid To Shoot Strangers’ ist zwar ein toller Song, aber die Produktion unterschiedet sich extrem von den Vorgängeralben.
Zu FEAR OF THE DARK (1992) muss man nicht viel sagen: Das Titellied ist einer der größten Metal-Klassiker aller Zeiten. Bei THE X FACTOR (1995) komme ich dann ins Spiel: Das Album stellt einen radikalen Wandel dar. Hier hat Steve Harris all seine düsteren Emotionen ausgelebt – ich bin so unfassbar stolz, meinen Beitrag dazu geleistet zu haben. Und wenn ich das mal sagen darf: ‘The Clansman’ vom Nachfolger VIRTUAL XI (1998) ist der beste Maiden-Song aller Zeiten! Auf BRAVE NEW WORLD (2000) halten mich noch ‘Dream Of Mirrors’ und ‘Blood Brothers’ bei der Stange, aber zu den letzten drei Scheiben kann ich nichts sagen, weil ich sie nicht besitze. Ich habe ein paar Lieder auf Konzerten oder im Auto gehört, da gefielen sie mir ganz gut.
—
Bestens informiert über dieses und alle weiteren wichtigen Themen im Metal bleibt ihr außerdem mit unserem Newsletter. Einmal pro Woche flattert euch übersichtlich sortiert ein Update ins Postfach. Einfach anmelden, damit euch auch sicher nichts entgeht.