Die Düsterbriten Paradise Lost haben nicht nur 29 Jahre Band-Geschichte auf dem Buckel, sondern mussten dank ihrer Experimentierfreudigkeit auch immer wieder viel Kritik einstecken.
Wir klären, warum MEDUSA, Album Nummer 15, nicht nur eine handfeste Überraschung, sondern eine große Geste der Versöhnung mit ihren ältesten Fans geworden ist.
Die Hörprobe: MEDUSA
VÖ: 1. September 2017
Fearless Sky
Kurzes, düsteres Intro, dann bricht ein tonnenschweres Riff über den überraschten Hörer herein. Mit aller Macht, Wucht und Langsamkeit bohren sich Paradise Lost zurück zur Doom-Death-Essenz ihrer Anfangstage, inklusive kurzer GOTHIC-Referenz von Greg Mackintosh. Nick Holmes klingt böse, wenngleich natürlich verständlich. SHADES OF GOD-Vibes in den Refrains. Genre-gemäße achteinhalb Minuten (!), was für eine Eröffnung.
Gods Of Ancient
Schleppend-treibender Beginn, riff-orientierter Groove, Neuzugang Waltteri Väyrynen überzeugt mit coolen Tom-„Wirbeln“ in der Bridge und im Break vor dem Solo, zum Ende noch mal treibend. Holmes scheint wirklich Spaß an den bösartig hervorgepressten Vocals zu haben.
From The Gallows
Wieder ein treibender Beginn, und spätestens bei der ersten zaghaften Doublebass darf sich der geneigte Alt-Fan in den Sack kneifen und fragen, was hier gerade abgeht. Noch ein GOTHIC-Part, und Holmes baut nicht nur langgezogene Schreie ein (was zur Hölle?), sondern sinniert wütend darüber, wie Menschen im Angesicht des Todes plötzlich eine gewisse Leichtigkeit und Fröhlichkeit entwickeln können.
The Longest Winter
Der erste Single-Kandidat. Meeresrauschen, eine eingängige Melodie und verzerrte Gitarren mit Siebziger-Vibe. Holmes singt passend dazu melodischer, ein bisschen fragiler, obwohl auch wieder Growls eingesetzt werden. Diese Nummer hätte durchaus zu SHADES OF GOD oder ICON gepasst.
Medusa
Auch der Titel-Track bringt es auf knappe sechseinhalb Minuten und ergeht sich in schmerzvoller Zelebrierung der Langsamkeit – ganz so, als ob er den Hörer wie die titelgebende Medusa versteinern wolle. Holmes singt über Ketzerei und Tragödien, ergeht sich in nihilistischer Metaphorik. Dem Song wohnt insbesondere vor dem Solo eine beinahe depressiv anmutende Traurigkeit inne.
No Passage For The Dead
Ein von alten Black Sabbath beeinflusstes Riff zum Einstieg, eine typische Paradise Lost-Melodie hinzufügend, kriecht sich der Song böse an den Hörer heran. Holmes klingt wie ein übellauniger Torwächter ins Jenseits. Wer beim Groove-Part in der Mitte (leider nur kurz gespielt) kein Zucken in der Lendengegend verspürt, muss sich schon jenseits der Passage der Toten befinden.
Blood And Chaos
Da haben Paradise Lost ihr Label Nuclear Blast aber lange Blut und Wasser schwitzen lassen, bis sich mit Nick Holmes’ titulärer Black Metal-Fantasie endlich eine weitere mögliche Hitsingle ausmachen lässt. Fetziger Song mit coolem Riffing und feiner Melodie. Klar, kein neues ‘As I Die’, aber ein feiner Song, der den Gothic Rock-Aspekt der Band mit der nötigen Härte untermauert.
Until The Grave
Der Rausschmeißer passt bestens zum Rest des Albums, denn er ist zäh, schleppend und mit einer schicken Gitarrenmelodie versehen, während Schlagzeuger Waltteri das oben erwähnte Tom-Motiv noch einmal aufgreift und einen kleinen Marsch trommelt, der in die letzte Runde der vielschichtig vorgetragenen Doom-Hölle führt.
Fazit:
Zurück in die Zukunft: Paradise Lost besinnen sich auf ihre Ursprünge und -qualitäten und lassen mit MEDUSA das ausgewogenste Album seit seligen SHADES OF GOD/ICON-Zeiten auf die Fans zukriechen. Vor allem alte Fans können blind zugreifen – neuere werden überrascht sein, wie böse Paradise Lost über die knappe Dreiviertelstunde von MEDUSA noch klingen können. Doom or be doomed!