Omega Massif die Zweite: Ein Sound wie Wucht und Wahn (und Wale)

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(Nach der KARPATIA-Rezension in der METAL HAMMER-Ausgabe Oktober 2011 präsentieren wir euch hier die düstere Welt von Omega Massif per Interview:)

Omega Massif zeigten schon mit dem Demo KALT und dem ersten Album GEISTERSTADT (2007) die Handschrift früher Meisterschaft. Dynamisch dräuten die Songsstrukturen, Geschichten wurden die mit allen zu Gebote stehenden Mitteln erzählt: mit röhrendem Metalcore, mit Doom, Sludge und postrockig perlendem Geplinker.

Auf die Sepiatöne von GEISTERSTADT folgt nun in schönstem Schimmelgrün KARPATIA. Eine akustische Reise ins Ungewisse, an der Omega Massif zwei lange Jahre gefeilt und geschraubt haben. Hier das ungekürzte Interview zu KARPATIA mit Andreas Schmittfull und Michael Melchers, der Omega Massif-Doppelspitze an der Gitarre!

Lorbeeren für GEISTERSTADT gab es ja reichlich und zu recht, war es doch eins der erstaunlichsten, imaginativsten, haltbarsten Debüts der letzten Jahre. Darauf folgten hochkarätige Festivalauftritte (Roadburn, Hellfest, Denovali Swingfest)… dann die schicke Neuauflage des Albums… wie hoch hat das die Latte für KARPATIA gelegt? Wie spürbar standet ihr unter Druck, bzw habt euch selber unter Druck gesetzt?

Michael Melchers: „GEISTERSTADT hat nun vier Jahre auf dem Buckel und in dieser Zeit ist wirklich viel passiert. Dass uns die Scheibe derart viel Lob und nicht zuletzt die Möglichkeit das Roadburn oder Hellfest spielen zu können, einbringt, hätten wir selbst nicht zu hoffen gewagt. Die Erwartungshaltung die KARPATIA entgegenschlägt, ist dadurch natürlich immens gestiegen. Ich würde allerdings aufgrund der negativen Konnotation nicht von „Druck“ sprechen – die schärfsten Kritiker sind wir mit Sicherheit selbst und daher musste das Material erst einmal unseren Vorstellungen genügen. Ich denke wir haben mit KARPATIA einen würdigen Nachfolger kreiert und ich hoffe, dass unsere Fans und nicht zuletzt unser tolles Label Denovali zustimmen werden.“

Andreas Schmittfull: „Hallo und zunächst einmal vielen Dank für das Attribut “haltbar”, das du für GEISTERSTADT gewählt hast, da wir selbst der Meinung sind, dass unsere Musik vor allem genau das ist… Sie hört sich nicht nach 10x hören tot, man kann sie immer und immer wieder hören. Schön, dass wir nicht die einzigen sind, die das so sehen!“

Wieder geht es auf dem neuen Album ins Einsame; diesmal in die bergigen Wälder Südosteuropas… Was spricht euch an dieser mythisch aufgeladenen Landschaft an? Ist es mehr eine Idee, ein Bild – oder ein Ort, den ihr bereits besucht habt?

Michael: „Wir versuchen, mit unserer Musik Stimmungen zu vertonen. Seit dem Demo wird uns immer wieder nachgesagt, dass wir sehr düstere und von Hoffnungslosigkeit geprägte Soundkollagen erstellen. Da der Mensch ein visuelles Wesen ist, vereinen wir unsere Songs mit einem möglichst prägnanten Bild, das die entstandene Atmosphäre widerspiegelt und vielleicht den Zugang erleichtert. Die Karpaten als Sinnbild für eine durch unwirtliche, bedrohliche Wälder geprägte Landschaft, die gleichzeitig aufgrund der literarischen Aufarbeitung von Mystik umweht wird, passen sehr gut zu den entstandenen Stimmungen auf KARPATIA.“

Andreas: „Was mir  besonders gut an der Region gefällt, ist das Wilde, das Unberührte, das man hier bei uns in Deutschland eigentlich gar nicht mehr auffinden kann. Bei Walter Benjamin habe ich von seinem “Aura”-Begriff gelesen, mit dem er die Einmaligkeit der Natur und der Kunst anspricht und dadurch der Reproduzierbarkeit in der heutigen Zeit ablehnend gegenübertritt. Diesen Aura-Begriff (deshalb übrigens auch der erste Song des Albums) hat er insbesondere an den Karpaten erläutert. Ein Omega Massif-Album ist nicht glattgebügelt, geschliffen und so lange mit Filtern und Triggern übertönt, bis es keine Seele mehr hat. Es hat Ecken und Kanten. Ebenso muss es sich mit den Karpaten verhalten. Wer übrigens mal eine wirklich wundervolle und sehr informative Dokumentation über Land und vor allem Leute ansehen will, der sollte sich “Carpatia” ansehen. Ich durfte diese Doku vor ein paar Jahren im Kino erleben und war sehr begeistert. In dieser Doku wird vor allem auch das “Einsame”, wie du es treffend nennst, herausgearbeitet. Großartig!“

Auf das numinos-heftige „Aura“ zieht ihr mit ‚Wölfe‘ die Stimmung an; mit ‚Ursus Arctos‘ bricht dann die Winternacht an, mit Raureif und einem diskreten elektrischen Gleißen über den Wipfeln, ehe es weiter ins Tal geht … Da solche Abfolgen zweifellos fein abgestimmt sind: Wie plant ihr die narrativen Momente und Spannungsbögen? Wie viel hat sich bei den Songs von KARPATIA spontan entwickelt, wie viel ist am Reißbrett entstanden?

Michael: „Stimmungen am Reißbrett zu planen, würde meines Erachtens nicht funktionieren. Alle Songs auf KARPATIA sind im Proberaum entstanden. Ich bringe zwar meist ein fragmentiertes Grundgerüst für neue Songs an, aber erst im Proberaum kristallisiert sich durch das Zusammenspiel der Weg heraus, den ein Song einschlägt. Lediglich einzelne, neuralgische Übergänge sind bewusst herausgearbeitet worden – aber das gemeinsame Jammen kann kein Reißbrett der Welt ersetzen. Das große Ganze sehen wir daher selbst erst kurz vor dem Aufnahmetermin.“

Andreas: „Natürlich machen wir uns auch viele Gedanken über die Reihenfolge der Songs, oft ändern wir noch Dinge am Tag vor dem Studio, es ist wirklich eine sehr organische und lebendige Angelegenheit. Wir hören uns dann die Songs in verschiedenen Reihenfolgen mehrfach an und diskutieren darüber, wie letztendlich die Playlist des Albums aussehen soll, dass sie abwechslungsreich und doch stimmig ist. Hinten kommt dann ein Album heraus, das solche Impressionen wie “…mit Raureif und einem diskreten elektrischen Gleißen über den Wipfeln…” evoziert. Ich bin begeistert!“

‚Karpatia‘ mit seinem Präzisionsschlagzeug in Zeitlupe ist für eure Verhältnisse schon fast Single-trächtig kurz geraten – leidet meines Erachtens aber auch ein bisschen darunter, dass ihr die „mystic wind“-Taste des Keyboards angeschmissen habt. Muss man das als Reverenz an das Black Metal-Genre bzw das transsylvanische Setting verstehen?

Michael: „Uns gefiel die Idee, analog zu GEISTERSTADT, den Titeltrack von KARPATIA als fragmentiertes Interlude anzulegen, das den Grundtenor der Platte wiedergibt. Gleichzeitig ist „Karpatia“ eine Interpretation des Schlussparts von „Aura“; damit schließt sich der Kreis wieder. Um mich auch soundtechnisch von „Aura“ zu lösen, habe ich mit dem alten Keyboard meiner Mutter herumexperimentiert. Durch etwas Verzerrung entstand ein düsterer und leicht kaputter Klang, der in meinen Augen hervorragend zu der Atmosphäre des Songs passt. Als Hommage an BM war das nie gedacht, wobei ich durchaus Parallelen in der Melodieführung sehe, wenn man sich Bands wie Wolves in the Throne Room oder Altar of Plagues anschaut. Ich persönlich mag diesen melodramatischen Touch im Black Metal und diese Vorliebe schimmert auch immer mal wieder in meinen Riffs durch.“ 

Andreas: „Es stimmt, ‚Karpatia‘ ist mit Keyboard aufgenommen… Was du allerdings als “mystic wind” bezeichnest, ist glaube ich der Chor, den ich mit Boris in lustiger Runde eingesungen haben. Die ersten „Vocals“, die es je bei uns gab. Aber man erkennt sie ja anscheinend eh nicht als Vocals! Zum Glück!“

‚Steinernes Meer‘ erinnert anfangs an flickerige Indiesounds à la Funkstörung, wie ein assoziativer Gang ins Ungewisse; eine Geste, die das Album mutig beschließt. Wie kam es zu diesen ungewöhnlichen Zeitsignaturen, gerade am Anfang?

Michael: „Wie bei so vielen Ideen auf unserer Platte kam auch hier die Initialzündung im Proberaum. Im Kontrast zu unserem Hang, kaum den Fuß vom Zerrpedal nehmen zu wollen und damit möglichst großvolumige Soundscapes zu erzeugen, gefiel uns hier vor allem die Fragilität des Anfangs. „Steinernes Meer“ ist für unsere Verhältnisse insgesamt sehr melodieverliebt, so dass der klirrige, zerbrechliche Songeinstieg gut dazu harmonisierte. Aber natürlich wären wir nicht OMEGA MASSIF, wenn wir diese Melodie nicht in einen der schönsten und schwersten Doomparts der Scheibe gipfeln ließen.“

Wo sollte sich der Kopf des Hörers nach den letzten Tönen von ‚Steinernes Meer“ idealerweise befinden?

Michael: „Ich würde sagen: im Idealfall auf dem Weg zum Plattenspieler um KARPATIA gleich nochmal aufzulegen.“

Andreas: „Da “Steinernes Meer” eine Hommage an die gesamte Bergwelt darstellt, halten wir uns hier wie mit “Exodus” auf GEISTERSTADT den weiteren Weg bewusst offen. Der Hörer befindet sich hoffentlich weit oben auf irgendeinem Berg und überblickt die überwältigend schöne Landschaft. Jedoch sind wir wie immer für alle Assoziationen offen. Es ist toll zu lesen oder zu hören, was die Leute über unsere Songs schreiben. Manche sind in Gedanken mit Walen unter Wasser, manche gehen tatsächlich mit unserer Musik auf Wandertouren (einer war gerade in Island Vulkane besteigen und hat uns sogar ein Foto gepostet)… Mit jedem stellt unsere Musik anscheinend etwas anderes an. Was will man mehr!“

Year Of No Light vertreten wie ihr eine „no vocals“-Politik, haben ihre Palette allerdings um Filmvertonungen erweitert und einen Soundtrack zum Stummfilmklassiker „Der Vampir“ gebastelt – wäre das etwas, an dem ihr Spaß haben könntet? Und wenn ja: welche Kunstwerke würden euch reizen?

Michael: „Generell verstehen wir unsere Musik schon etwas als „Filmmusik ohne Film“. Die Idee mit einem Filmemacher gemeinsame Sache zu machen, ist mit Sicherheit reizvoll. Allerdings finde ich es persönlich spannender, dem Rezipienten mittels Songtitel und Artwork nur ein grobes Handwerkszeug anzubieten, um das eigene Kopfkino zu provozieren.“ 

Andreas: „Das mit der Filmmusik wäre mit Sicherheit eine tolle Sache, obwohl ich glaube, dass wir auch sehr gerne unsere eigenen Bilder basteln und uns fern von konkreten Schranken bewegen. Im Endeffekt machen wir ja eigentlich, wie Michael schon erwähnt hat, nichts anderes, als einen Soundtrack zu schreiben… unserer ist nur sehr vielseitig einsetzbar!“

Worin liegt für euch die nächste große Herausforderung?

MIchael: „Da wir familien- und berufsbedingt nur sehr begrenzte Zeitressourcen haben, versuchen wir im Rahmen der neuen Platte möglichst viel live zu spielen. Weiterhin würden wir gerne auch ein paar größere Festivals in Angriff nehmen. An Ostern steht außerdem eine kleine Finnlandtour an.“

KARPATIA ist am 16.09.2011 erschienen und kann unter denovali.com/omegamassif komplett gestreamt werden.

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