In Bologna verhinderte zwei Tage vor dem Stuttgarter Auftritt am 9. Juli 2022 noch ein Unwetter die Show von Iron Maiden. Würde das Wetter im Schwabenländle halten? Es hielt. Sehr zur Freude der laut Veranstalter 45.000 Fans, die den Cannstatter Wasen inmitten Stuttgarts bevölkerten und den Abend zu einer euphorischen Feier der Maiden-Historie machten.
Lord Of The Lost
Den Auftakt machen am späten Nachmittag Lord Of The Lost, die sich sichtlich darüber freuen, wieder auf der Bühne zu stehen und durchaus lautstark empfangen zu werden. Auch wenn das Areal noch nicht vollständig gefüllt ist – ein Oberleitungsschaden am Stuttgarter Hauptbahnhof sorgte für massive Verspätungen der anreisenden Fans –, ist die Stimmung schon ab dem ersten Song ‘Drag Me To Hell’ prima. Vor der Bühne sind die Hände zu sehen, sobald Frontmann Chris Harms es fordert, und es wird zumindest im vorderen Drittel des Geländes mitgeklatscht und gejubelt. Auch wenn viele die Dark-Rocker aus Hamburg noch nicht kennen, kommen Lord Of The Lost sehr gut an und dürften sich einige neue Freundinnen und Freunde erspielt haben.
Setlist Lord Of The Lost
- Drag Me To Hell
- Born With A Broken Heart
- Under The Sun
- The Heartbeat Of The Devil
- Die Tomorrow
- Loreley
- On This Rock I Will Build My Church
Airbourne
Als nach einer kurzen Umbaupause das Terminator-Theme erklingt, weiß ein Großteil der Besucher schon, was gleich folgen wird: Airbourne, die australische Brachialgewalt, mit dem Opener ‘Ready To Rock’. Der Song-Titel ist Programm – Airbourne fetzen los, als gäbe es kein Morgen. Die sorgsam eingenässten Matten der vier Jungs werden pausenlos durchgeschüttelt, während Frontmann Joel O’Keeffe wie ein Derwisch über die Bühne wirbelt und erstaunlicherweise immer wieder rechtzeitig ein Mikro findet, um weiterzusingen. Das Publikum im mittlerweile gut gefüllten Areal macht dabei gerne mit und übernimmt lauthals die Refrains und teilweise seine Soli.
Natürlich sucht Joel auch wieder den direkten Vollkontakt mit seinen Fans, springt von der Bühne, lässt sich auf starken Security-Schultern durch die Menge tragen und sorgt für die obligatorische Bierdusche, indem er eine Bierdose auf seinem Schädel zerdeppert. Auch danach geht es feucht-fröhlich weiter: Er feuert Dutzende Bierbecher ins Publikum, erste Crowdsurfer purzeln in den Graben, und zugleich läuft die Airbourne’sche Riff-Maschine weiter auf höchster Stufe. Mit ‘Runnin’ Wild’ als finalen Song geben Airbourne noch mal alles und reißen die Fans richtig mit – besser kann man die Meute nicht auf Betriebstemperatur bringen. Als der letzte Akkord verklungen ist, ließ lässt es sich Mr. O’Keeffe nicht nehmen, noch ein paar „Absacker“ ins Publikum zu schleudern. Zur Abkühlung tragen die Bierduschen aber nicht bei…
Setlist Airbourne
- Ready To Rock
- Back In The Game
- Girls In Black
- Burnout The Nitro
- Boneshaker
- Breakin’ Outta Hell
- Live It Up
- Raise The Flag
- Runnin’ Wild
Iron Maiden
Der Headliner lässt sich Zeit. Aber nicht etwa, weil die Eiserne Jungfrau eine Diva wäre, sondern weil durch die Störung am Stuttgarter Bahnhof viele Fans noch auf dem Weg sind. Also beginnen Iron Maiden erst 25 Minuten später als geplant, damit niemand etwas verpasst. Very Gentleman-like, diese Briten. Spannend ist nun natürlich, wie Iron Maiden das Motto ihrer „Legacy Of The Beast“- Tour interpretieren würden. Versprochen wurde eine kuratierte Retrospektive der musikalischen Geschichte der Band, mit erwartbaren Klassikern und der ein oder anderen Überraschung (zumindest für alle, die nicht vorher im Internet spickten…). Geboten wird eine Reise durch die Zeit und um die Welt: Vom feudalen Japan ins antike Griechenland, in die Hölle auf Erden, ins Amerika der Wild-West-Ära und ins England des Zweiten Weltkriegs. Verbunden sind die Episoden der Zeit- und Weltreise mit kurzen Animationen aus dem Legacy-Comic, was die Umbauzeiten auf der Bühne angenehm verkürzt.
Die ersten drei Songs sind zugleich die ersten drei Stücke des aktuellen Albums SENJUTSU, inklusive eines kurzen Besuchs von Samurai-Eddie, der sich erfolglos mit Janick Gers anlegt und kurz darauf wieder hinter die Bühne trollt. Es dauert leider eine Weile, bis der Sound richtig eingepegelt ist: Bruce Dickinsons Vocals sind anfangs leicht übersteuert und zu höhenlastig, während das prägnante Bassspiel von Steve Harris komplett untergeht. Ab ‘Revelations’ passt dann alles. Adrian Smith, von Bruce Dickinson launig als „Mr. Schmitt“ vorgestellt, zupft das Intro, bis die Band mit voller Wucht und imposanter neuer Bühnendeko samt mehreren riesigen Kronleuchtern in den Klassiker einsteigt. Das folgende ‘Blood Brothers’ ist einer der ersten Gänsehautmomente des Abends, als die 45.000-köpfige Maiden-Family den Refrain voller Leidenschaft mitsingt.
Alleine singen
Mit ‘Sign Of The Cross’ spielen Maiden anschließend einen der beiden Songs aus der Blaze Bailey-Ära (neben ‘The Clansman’ bei den Zugaben), den Dickinson einwandfrei intoniert. Bei ‘Flight Of Icarus’ hat er dann offensichtlich diebische Freude an seinen beiden Flammenwerfern. Auch wenn er sich bei den hohen Tönen sichtlich mehr anstrengen muss als früher: Der Maiden-Frontmann meistert alle anspruchsvollen Passagen souverän und hat vor allem als Zeremonienmeister das Publikum jederzeit im Griff. Außer einmal, als ihm die Fans den letzten Ton von ‘Fear Of The Dark’ vorwegnehmen (den Song singen die 45.000 ohnehin komplett mit). „Hey, that‘s my part!“, kontert Bruce trocken, und singt den Text einfach noch mal selbst: „I am a man who walks alone“ – and wants to sing alone, offensichtlich.
Weiter geht die wilde Fahrt mit vielen Maiden-Hits und immer neuen Show-Effekten, allen voran ‘The Number Of The Beast’, das die Bühne in ein wahres Flammeninferno verwandelt. Nach drei Zugaben folgt mit ‘Aces High’ noch eine letzte Dreingabe samt originalgroßer Spitfire von der Bühnendecke und imposanter Licht-Show. Wen juckt da noch, dass es pünktlich zum Finale zu regnen anfängt? Eben, niemanden. Band und Fans geben noch mal alles, bevor sie mit Monty Pythons ‘Always Look On The Bright Side Of Life’ nach Hause geschickt werden.
Iron Maiden präsentierten sich in Stuttgart in Bestform, mit unbändiger Spielfreude, guter Laune und einer eindrucksvollen Show. Bruce war stimmlich und charismatisch voll da. Bemerkenswert auch, wie elegant sich die drei Gitarristen Smith, Gers und Dave Murray die Soli aufteilten, unabhängig davon, wer sie ursprünglich im Studio einspielte. Auf die Genialität der Rhythmussektion mit Steve Harris und Nicko McBrain hinzuweisen, hieße ohnehin, Eddies nach Athen zu tragen. Kann man als Band das Vermächtnis seiner 42-jährigen Diskografie besser feiern? Eigentlich nicht. Außer mit einer doppelt so langen Setlist…
Setlist Iron Maiden
- Senjutsu
- Stratego
- The Writing On The Wall
- Revelations
- Blood Brothers
- Sign Of The Cross
- Flight Of Icarus
- Fear Of The Dark
- Hallowed Be Thy Name
- The Number Of The Beast
- Iron Maiden
Zugaben:
- The Trooper
- The Clansman
- Run To The Hills
- Aces High
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