Doch er bemerkt seinen Fehler, entschuldigt sich mit einem spanischen Redeschwall und verschwindet. Nach ein paar Minuten kommt er wieder und gibt einen aus.
So was kann einem um zwei Uhr nachts eigentlich nur auf einem Festival passieren, das in Spanien nach der Siesta erst angefangen hat. Vor 16 Uhr steht hier keine Band auf der Bühne, und die letzte wird nicht vor zwei Uhr nachts von den Brettern gelassen. Beim „Electric Festival“, das rund 15 Kilometer südlich von Madrid in der Stadt Getafe stattfindet, ist eben alles ein bisschen anders.
Kurz nach Mitternacht am Sonntagmorgen stehen die Four Horsemen dann endlich auf der Bühne. Diese ist komplett auf „winzig“ gebaut und Metallica nutzen nicht einmal die Hälfte der verfügbaren Fläche. Schnörkellosigkeit ist angesagt.
Mit einem atemberaubend schnellen „Creeping Death“ setzt die Band mit der Eröffnungsnummer bereits ein klares Statement. James Hetfield stellt in seiner kurzen Begrüßungsansprache nach „Metallica – is here!“ auch klar, dass sie möglichst viele Songs in die zur Verfügung stehende Spielzeit packen wollen.
Was folgt, ist ein abenteuerlicher Ritt durch beinahe alle Alben, wobei sich Metallica auch bei anspruchsvollen und selten live gespielten Nummern wie „… And Justice For All“ keine Blöße geben. Das letzte Studioalbum ST. ANGER fehlt jedoch – komplett. Dafür gibt es überraschenderweise mit „Devil´s Dance“ und „Bleeding Me“ zwei Songs, die bisher nicht zu den Live-Hits aus der LOAD/RELOAD-Ära zählten. Vor allem letzterer Titel, im Originaltempo und mit knapp sieben Minuten vorgetragen, zaubert nach kurzem Staunen des Publikums eine wunderbare Atmosphäre in die gar nicht so laue spanische Frühlingsnacht. Gegen einstellige Temperaturen hilft Bangen dann aber doch.
Ins Bangen schieben sich aber auch immer wieder Pausen. Auf „… And Justice For All“ folgt gemeinerweise „Fade To Black“ und das inzwischen übliche Lichtermeer aus Handy-Displays – nicht mehr aus Feuerzeugen. Fühlt man sich nach einem knallharten „Master Of Puppets“ und nahtlos angeschlossenem „Whiplash“ so richtig in Feier-Laune, stehen die beiden Gitarristen plötzlich alleine auf der Bühne. Kurzes Schulterklopfen von Hetfield, aha, es ist Zeit für ein Hammett-Solo. Doch der zum Tanz aufgeforderte Saitenstar spielt nur ein paar unverzerrte Akkorde an, die dann in „Nothing Else Matters“ münden.
Mehr als in den letzten Jahren, sieht man eine Band vor ihren Fans, nicht vier Kollegen bei der Arbeit. Immer wieder stecken die Musiker auch bei unkomplizierten Songteilen die Köpfe zusammen oder feuern sich gegenseitig an. Das alles wirkt nicht aufgesetzt, die enge Bühne tut ihr Übriges, um zur Einheit zu zwingen.
Bei „One“ gibt es das bekannte pyrotechnisch erzeugte Schlachten-Szenario, während ein Feuerwerk bei „Fuel“ und „Master Of Puppets“ die einzigen weiteren Show-Effekte des Abends sind. Macht nichts, nach dem Anti-Kriegs-Song kommt ohnehin gleich der Sandmann.
Nach kurzer Pause folgt der bewährte Zugaben-Block aus den Cover-Songs „Last Caress“ und „So What“. Ohne das abschließende „Seek And Destroy“ würden aber auch die sonst so freundlichen Spanier Metallica nicht in den Tourbus lassen, und so setzt „We´re scanning the city of Madrid tonight“ wieder einmal den Schlusspunkt.
Eine Viertelstunde lang wird die Band danach noch gefeiert. Als sich dann Rob Trujillo auf Spanisch beim Publikum bedankt, gehen seine Worte im Jubel unter. Nach zwei Stunden Spielzeit, inklusive kurzer Pausen plus Schlussapplaus, haben Metallica wieder einmal bewiesen, dass sie immer noch eine der besten Live-Bands aller Zeiten sind.
Wer sich von der Song-Auswahl dieses Abends Hinweise auf das kommende Album erhofft, darf allerdings fröhlich weiter Rätsel raten. Von Balladen bis zu richtig vertrackten Thrashern haben Metallica auch live noch alles drauf. In ein so enges musikalisches Korsett wie bei ST. ANGER wird sich diese Band wohl nicht mehr pressen.
Setlist Metallica:
Creeping Death
Fuel
Ride the Lightning
Harvester of Sorrow
Bleeding Me
Wherever I May Roam
Devil´s Dance
…and Justice For All
Fade to Black
Master of Puppets
Whiplash
Nothing Else Matters
Sad But True
One
Enter Sandman
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Last Caress
So What
Seek and Destroy