„Ich kenne deutlich schlimmere Schicksale als meines. Immerhin wurde ich weder geschlagen noch gefoltert.“ Auf eine zwischenzeitliche Verbesserung der Zustände Ende des Jahrtausends folgte eine noch schlimmere Welle: „Komplette Bands wurden eingesperrt und wochenlang von der Polizei entführt, ohne dass jemand wusste, wo sie waren. Mit solchen Aktionen wollten sie wohl die Inkompetenz des Marionettenstaats verschleiern, in dem wir leben.“
„Hier sind wir sowieso schon tot.“
Deaïbess denkt darüber nach, auszuwandern und in einem anderen Land ein neues Leben zu beginnen. Obwohl er vom starken Zusammenhalt der heimischen Szene schwärmt, musste er bereits zu viel erleben: Nach Bürgerkrieg, syrischer Besatzung, zwei Kriegen mit Israel, einer Serie von Attentaten, einer Wirtschaftskrise, zwei Revolutionen und der steten Hexenjagd auf Metaller brachte die Explosion in Beirut im August das Fass zum Überlaufen: Während Regierung und Autoritäten die Menschen sich selbst überließen, ohne Hilfe zu schicken, schloss sich der unverletzte Musiker einem freiwilligen Helfer-Team an und rettete Menschen aus den Trümmern. „Die Inkompetenz, Korruption und Kriminalität der Elite sowie die Rückwärtsgewandtheit der Leute, die solche Herrscher unterstützen, brachte mich erneut zu der Frage: Warum sollte ich hier bleiben?“, schäumt er.
„Als Metal-Musiker habe ich hier keine Zukunft. Wenn wir in Europa auf Tour gehen, erhalten wir viel Zuspruch; wir haben den dritten Platz beim Wacken Metal Battle 2015 errungen! Viele Leute wollen mit uns arbeiten – doch wenn ich sage, dass wir im Libanon leben, können sie uns nicht helfen. Das wirkt unfair, doch ich verstehe sie. Wir können hier nicht länger überleben – entweder wir verlassen das Land oder bringen uns um. Hier sind wir sowieso schon tot. Was ich von einer neuen Heimat erwarte? Wie ein menschliches Wesen behandelt zu werden! So einfach ist das“, erklärt Deaïbess, und schließt mit einem Appell: „Bitte haltet eure Freiheit und euren Lebensstil nie für selbstverständlich – ihr habt keine Ahnung, wie viel Glück ihr habt!“
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