Anlässlich des tragischen Todes von Chester Bennington öffnen wir unser Archiv und beschäftigen uns mit der Diskografie von Linkin Park. Die US-Rocker haben in ihrer 17-jährigen Karriere sieben Alben veröffentlicht, darunter echte Meilensteine des Genres. Wir blicken zurück auf das Schaffen der Band, über das es viel zu feiern, aber auch viel zu meckern gab. Hieß es anfangs noch, „Dieser Park ist eine Bank“, erntete die Band zuletzt ob der Neuausrichtung harte Worte. Doch lest selbst in unseren historischen Reviews zu den Linkin Park-Alben.
Die sieben Linkin Park-Reviews aus METAL HAMMER:
HYBRID THEORY (24.10.2000)
In diesem noch recht jungen Park wachsen die Bäume bereits in den Himmel! Nur drei Wochen nach Veröffentlichung wurde das Debüt in der amerikanischen Heimat vergoldet – und schon nach den ersten Songs weiß man warum: Dieses Quintett führt das, was Papa Roach zu den New Metal-Newcomem des abgelaufenen Jahres krönte, auf anderer, nicht minder erfolgreicher Ebene fort: Wo Papi Schabe zum Hardcore wegkrabbelt, tummeln sich im Linkin Park alternative Gesangslinien, biestige Rap-Einlagen und glanzvolle Elektronik.
Dabei liefern sich ehester Bennington (verantwortlich für die melodischeren Momente) und Sprechsänger Mike Shinoda ein dramatisches Stimmduell, bei dem nur einer gewinnt: Wir! Hier rede ich von Hits: Zwölf Stück an der Zahl, ein Dutzend Gründe, dieses Album zu lieben, zwölf Ohrwürmer, die sich durch das von Don Gilmore (unter anderem Eve 6, Lit, Pearl Jam) bombastisch fett produzierte Rhythmusfundament in euer Gehirn graben werden. Einzelne Songs rauszupicken, hieße, Reiskörner im Darm von Uncle Ben zu suchen…
Zudem ist es Linkin Park gelungen, die unvermeidliche Frische eines Debütanten mit unwahrscheinlich gekonntem Songwriting, auch hinsichtlich der Arrangements, zu vereinen. Wer sich zwischen Alternative Rock und New Metal, Fuel 238, Deftones, Stabbing Westward oder eben Papa Roach, zwischen Groove und Melodie, nicht entscheiden kann, bekommt mit HYBRID THEORY einen Wink mit dem Zaunpfahl! Dieser Park ist eine Bank! (Matthias Weckmann)
METEORA (25.03.2003)
Wer nach dem mäßigen Remix-Album REANIMATION (2002), das die Songs des Debüts HYBRID THEORY (2000) durch den HipHop-Wolf drehte, nun ein weiteres Hip-Hop-bestimmtes Album erwartet, kann sich die Baseball-Kappe wieder richtig herum aufsetzen und dennoch vor Freude loshüpfen. Allen Gerüchten zum Trotz steht METEORA dem Debüt in puncto Rock-Faktor in nichts nach.
Die Gitarren, die schneidender und schärfer als zuvor klingen, stehen mit Mike Shinodas Raps und ehester Benningtons leidenschaftlichem Gesang im stetigen Diskurs, während die Groove-Abteilung für die klebrigen, direkt unterm Gaumen haftenden Melodien sorgt. Natürlich fahren die Kalifornier mit der Single ‚Somewhere I Belong‘, oder Songs wie ‚From The Inside‘ und ‚Don’t Stay‘ in der ünkin Park-typischen Manier auf der Sicherheitsspur Richtung Erfolg, gehen aber in der Gesamtkonzeption des Albums einen (wenn auch nicht gerade gewagten) Schritt weiter: Die Atmosphäre ist geprägt von einer besseren Zusammenarbeit der beiden Frontmänner.
Das krasse Wechselspiel von Rap und Gesang fördert besser als je die Leidenschaft, die in den Texten steckt, zu Tage, ehester kehrt in Songs wie ‚Faint‘ und ‚Numb‘ sein Innerstes nach außen, und lässt mit aller Inbrunst seiner Verzweiflung freien Lauf. Verzweiflung, die durch die Realität geprägt wird, vor der sich auch ein Sänger mit einem Keller voll Edelmetall nicht verstecken kann. Weiterhin sorgen auch die Beats und die Sound-Strukturen für mehr grauen als blauen Himmel.
Dieser dürfte aber bald wieder aufklaren, wenn nur die Hälfte der zwölf Millionen Käufer, die beim Debüt Zugriffen, auch bei METEORA wieder hinlangen. Einen Fehler machen sie damit nicht, denn mit METEORA wird das bessere der beiden Linkin Park-Alben in ihren Besitz übergehen. (Thorsten Zahn)
MINUTES TO MIDNIGHT (11.05.2007)
Bereits das Booklet nennt die Unterschiede zwischen den beiden ersten Linkin Park-Alben – HYBRID THEORY (2000) sowie METEORA (2003) – und dem neuen Werk MINUTES TO MIDNIGHT: acht Monate längere Produktionszeit, die Texte nahmen nicht vier Wochen, sondern gleich ein halbes Jahr in Anspruch, statt 40 Song-Ideen sammelte das Sextett über hundert. Zudem stand mit Rick Rubin ein Produzent zur Seite, der die Musiker im Vorhaben ermutigte, die musikalischen Grenzen auszuloten.
Aber: Resultierte all dies in einem wirklich guten Album? Leider nicht. Von dynamischen Höhepunkten eines ‚One Step Closer‘ kann man auf MINUTES TO MIDNIGHT nur träumen – statt New Metal regiert New Rock. Das bedeutet: Weniger Rap, weniger Samples, mehr organische Instrumentierung. Das wäre eine durchaus sinnvolle Entwicklung (METEORA wurde bei seiner Veröffentlichung oft als Kopie des Debüts kritisiert) – wenn das Ganze denn in Hits resultieren würde. Statt dessen ergießen sich Linkin Park in spannungsarmen Alternative Rock, der zwar in einigen Passagen gelungene Arrangements und schöne Melodiebögen liefert, aber auf lange Sicht schlicht verpufft.
Da war sogar die Remix-CD REANIMATION fesselnder. Im Vergleich zu den früheren Alben ist MINUTES TO MIDNIGHT musikalisch vielleicht variabler, aber weitaus weniger knackig. Und für die erschütternd schlechte R. Kelly-Nummer ‚Hand Held High‘ gibt’s noch mal einen Punkt Abzug. Erwachsenwerden kann so langweilig sein. (Matthias Weckmann)
A THOUSAND SUNS (10.09.2010)
Das letzte Linkin Park-Album MINUTES TO MIDNIGHT (2007) war nicht deswegen mies, weil es unter der Regie von Produzent Rick Rubin eine komplette Kehrtwende zum Pop vollzog, sondern weil die Songs schlicht und einfach lahmarschig und ohne Höhepunkte daher schlurften. Und auch die erste Single ʻThe Catalyst’ vom neuen Werk A THOUSAND SUNS ließ für Rocker nichts Gutes erahnen: Riffs haben im Linkin Park-Kosmos nichts mehr verloren.
Für die neue CD haben sich die Amis laut eigener Aussage von jeder Konvention getrennt, ihre Band zerstört und wieder aufgebaut und etwas kreiert, das die „Festplatte mit den verschiedensten, abstraktesten Klängen“ füllte. Da versprechen sie nicht zu viel. A THOUSAND SUNS (wieder unter der Regie von Rubin eingespielt) fällt abwechslungsreicher als sein Vorgänger aus: vom HipHop über instrumentale Zwischenspiele, der Piano-Ballade bis hin zum atmosphärischem Radio-Pop kriegt man hier alles geboten. Außer hartem Stoff.
Anstelle von Gitarrist Brad Delson (der mit den Kopfhörern) würde ich mich fragen, ob ich mein Instrument nicht anzünde. Mit Ausnahme des fetten Raps von ‘Wretches And Kings’ bleiben emotionale Schübe, die man von den beiden ersten Linkin Park-Alben gewohnt war, komplett aus. Kurz gesagt: Rocker können die Band jetzt endgültig abhaken. (Matthias Weckmann)
LIVING THINGS (20.06.2012)
Maledetto Balotelli! Beim Spiel gegen Italien hätte ich den ZDF-EM-Song ‘Burn It Down’ von Linkin Park liebend gern in die Realität umgesetzt… Verabschieden wir uns von dem Gedanken, dass Linkin Park noch einmal die Komfortzone verlassen und zu ihren Anfängen zurückkehren werden – wenigstens haben sie ihren Gitarristen auf LIVING THINGS wiedergefunden.
Brad Delson darf jetzt fallweise wieder Akkorde schrammeln, anstatt wie beim letzten Album A THOUSAND SUNS den steinernen Gast zu geben. Dementsprechend beinhaltet die mittlerweile fünfte Platte des Sextetts wieder etwas mehr Dampf, greift aber auch beispielsweise aktuell angesagte Trends wie Dubstep-Passagen auf. Und das macht bei einer zeitgeistigen Band wie Linkin Park durchaus Sinn. Es ist alles extrem geschmeidig, neumodisch, leicht verdaulich und irgendwie aalglatt.
Aber eben nicht scheiße, zumal der Sound gewohnt überfett aus den Boxen dröhnt (phasenweise extrem tauglich für Tanztempel). Der Patient ist auf dem Weg der Besserung, wenngleich dieser nicht mehr an den Metalclubs vorbeiführt. (Matthias Weckmann)
THE HUNTING PARTY (13.06.2014)
Damit hat niemand gerechnet! Klar sind Linkin Park vor der Veröffentlichung dieses Albums nicht müde geworden zu betonen, wie hart THE HUNTING PARTY doch sei. Aber hat das wirklich irgendwer geglaubt? Nun, es stimmt: Die New Metal-Vorreiter lassen wieder echte Instrumente und verzerrte Gitarren sprechen!
Das erinnert an manchen Stellen unmittelbar an Anfang der 2000er (‘Guilty All The Same’), ist aber bei Weitem keine Kopie von HYBRID THEORY und METEORA (die man der Band auch nicht mehr abnehmen würde). Vielmehr setzen Linkin Park auf einen punkig-krachenden Ansatz, der Sound hat rauere Ecken und Kanten als bisher – beinahe klingt THE HUNTING PARTY (im besten Sinne) unfertig. Man höre nur das vor Dreck und Zorn strotzende ‘War’, in dem Chester Bennington gar zum metallischen Growl ansetzt! So hart, so rockend, so frisch klangen Linkin Park… im Grunde noch nie.
Die Trademarks sind natürlich noch alle da: Melodien, die einen nicht mehr loslassen (‘All For Nothing’), das emotionale Auf und Ab (‘Until It’s Gone’), die surrenden Electro-Sounds und die echt miesen Raps von Mike Shinoda. Die Gastauftritte von System Of A Downs Daron Malakian, Page Hamilton (Helmet) und Tom Morello (Rage Against The Machine) bringen noch mehr Abwechslung in das ohnehin schon knallbunte Treiben und lassen nur eine Frage offen: Linkin Park, warum nicht immer so? (Sebastian Kessler)
ONE MORE LIGHT (19.05.2017)
Dass sich ein Gitarrenhersteller öffentlich mit einer weltweit bekannten Band anlegt (Linkin Park: „Wir haben auf diesem Album keine Gitarren von ESP verwendet.“ ESP: „Das freut uns zu hören.“) ist ein absolut außergewöhnlicher Vorgang und belegt, in welch schwierigem Gelände sich Linkin Park aktuell bewegen.
Über die einstigen New Metal-Helden rümpfen eben nicht nurmehr Traditionalisten die Nase. Dass die erste Single-Auskopplung zum neuen Album ausgerechnet ‘Heavy’ heißt, entbehrt nicht einer gewissen Komik (ist das Liedchen doch eine reine Blendgranate ohne jede Spannkraft), bereitete aber den Hörer perfekt darauf vor, was ihn auf ONE MORE LIGHT erwartet. Linkin Park gefallen sich 2017 in einer beispiellosen Selbstinszenierung, treiben die Entwicklung der letzten Jahre auf die Spitze und präsentieren mehr Schein als Sein. Als Fan der ersten Stunde konnte ich den letzten Veröffentlichungen zumindest phasenweise noch etwas abgewinnen und ein paar Songwriting-Rosinen rauspicken.
Davon ist auf ONE MORE LIGHT nichts mehr zu hören und zu sehen. Ein ausdrucksloses Stück Musik aus Elektronik-Beats, schlaffen Gesangslinien und ein wenig Rap. Wohlgemerkt: Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass es purer Pop ist – es ist nur leider höllisch belangloser Pop. (Matthias Weckmann)
Sämtliche Artikel und Reviews aus früheren METAL HAMMER-Ausgaben findet ihr in Das Archiv – REWIND.