„J.D.s“ hämmerte in den 80er-Jahren das Genre auf Papier, seither gilt das Fanzine als Katalysator der Subkultur, viele andere waren am Keimprozess beteiligt. G. B. Jones und Bruce LaBruce, die Gesichter hinter dem queeren Fanzine, gaben dem Kind, das im Untergrund rumorte und schrie, einen Namen: Queercore. Eine Bewegung, die sich als Teil des Punk und Hardcore herausbildete, von der übrigen Gesellschaft abgrenzte, anstatt ausgegrenzt zu werden. Sie erzählen von Vorurteilen, die der LQBTQIA+-Bewegung entgegengebracht werden, den unterschiedlichsten sexuellen Identitäten, Geschlechtsidentitäten, Körpern, Liebe und Sex.
MDC
Die Anarchopunk-Band MDC traten nach und nach unter verschiedenen Backronymen auf, interpretierten ihre bandeigene Buchstabenkombination erst im Nachhinein. Auf der Bühne standen sie dementsprechend als Millions of Dead Cops, More Dead Cops, Millions of Damn Christians oder Deformed Children; dass sie einmal zu den ersten Bands des Queercore gehören würden, wussten sie damals nicht – damals existierte noch nicht einmal ein musikalischer Begriff, für was sie einstanden.
Neben GO!, 7 Seconds und anderen Bands, die zur gleichen Zeit anti-homophobe Nachrichten in ihre Musik schmiedeten, gestalteten sie das wichtigste Sprachrohr der Queercore-Szene: Bands, die ihre politischen Ansichten in die Welt hinausschrieen. Außerdem wichtig: Neugeborene Indie-Labels, die Queercore-Bands stützten. „Heartcore“ ist eins von ihnen. Darüber hinaus schossen Fanzines aus dem Boden und ließen die Subkultur wachsen und wachsen.
Against Me!
Musikalisch öffnete sich der Queercore relativ zügig: Auch Bands, die keinen Punk oder Hardcore machten, waren Teil der Subkultur. So gab es bald auch Queercore-Bands, die eigentlich dem Noise, Industrial oder Indie Rock zuzuordnen sind. Doch der Bewegung ging und geht es darum, Akzeptanz zu schaffen und die queere Gemeinde – vor intoleranten Augen – in der Gesellschaft zu integrieren.
Against Me!s Frontfrau Laura Jane Grace bringt es in ‘Transgender Dysphoria Blues’ auf den Punkt: „You want them to see you like they see every other girl.“ Aber bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Und das weiß Laura Jane Grace wohl mit am besten, denn erst 2012 outete sie sich als Transfrau.
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Die 1991 in San Francisco gegründeten Pansy Division gelten als die erste Band, die sich offen als homosexuell positionierte, gleichzeitig hauptsächlich aus schwulen Musikern besteht. Pansy Division erzählt vom Alltag als homosexuelle Männer, befasst sich mit LGBTGIA+-Themen und prangert Diskriminierung an. Doch bevor es zum politischen Kampf auf den Bühnen kam, mussten sich die Punker zunächst finden. Nichts leichter als das: Eine Zeitungsannonce sollte herhalten, in der Gitarrist Jon Ginoli nach anderen schwulen Musikern suchte – gab es damals doch wenige bis keine Musiker, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekannten.
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Donna Dresch hat nicht nur – wie damals einige – ein eigenes Fanzine gegründet, sondern wirkte auch beim wegweisenden „J.D.s“ mit. Fest verankert im Queercore-Untergrund gründete sie 1993 Team Dresch. Alle vier Mitglieder bekannten sich öffentlich als Lesben. Team Dresch gehörten damit nicht nur dem Queercore, sondern auch der Riot-Grrrl-Bewegung an. Zugehörigen Bands ging es – unter anderem – um Gleichberechtigung, sie steuerten mit All-Girl-Formationen gegen das vornehmlich männlich wahrgenommene und betriebene Musikbusiness an.
Im Untergrund erarbeiteten sie sich eigene Strukturen, sensibilisierten die Menschen im Umfeld. Und während sich bis 1995 die meisten Riot-Grrrl-Bands, die damals zum Kern gehörten, aufgelöst hatten, machten Team Dresch bis 1998 weiter. Dann verabschiedeten auch sie sich von der Bildfläche, sind aber seit 2004 wieder aktiv.
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Gay For Johnny Depp verarbeiten homoerotischen Fantasien mit Johnny Depp, äußern sich bewusst vulgär, sexuell. Die Musiker um Sid Jagger tragen feminine Kleider auf der Bühne, lackieren sich die Fingernägel, treiben die homosexuelle Ausrichtung der Band auf die Spitze. Gay For Johnny Depp normalisieren harte, erotische Sex-Fantasien – ausgedachte Porno-Fanpost an den heißen, idealisierten Johnny Depp dient als Album-Beilage.
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Für den Namen ließen sie sich von einer Sexualpraktik inspirieren: Tribadie, bei der die Klitoris am Partner, an der Partnerin gerieben wird, die Beine verschlungen, scherenartig. Vielleicht spielt Tribe 8 aber auch auf hypermaskuline Frauen an, die Sexualpartner*innen mit einem Strap-On-Dildo penetrierten. So zumindest eine Erzählung aus dem antiken Griechenland. Auf der Bühne tut Sängerin Lynn Breedlove nämlich genau das: Sie marschiert mit Dildo auf und ab und hat nichts lieber, als wenn das Publikum mit dem Spielzeug interagiert. In welcher Form auch immer.
Sadomasochismus, Blow-Jobs, nackte Körper und Transgender-Themen riefen gespaltene Meinungen hervor. Anderer Blickwinkel: Eigentlich formulieren Tribe 8 nur sexuelle Fantasien aus, schreien die unübersehbare Wahrheit von der Bühne – die Wahrheit, für die die LGBTQIA+-Bewegung aufsteht. Wir solidarisieren uns.