Kultur, KI und Kontroversen

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Ob man es gut finden mag oder nicht: Metal hat sich in den letzten Jahren zusehends mehr in die Mainstream- und sogenannte „Hochkultur“ hineingearbeitet. So häufen sich im Kino laufende Konzertfilme von Bands (dieses Jahr: Ghost und Sabaton), aber auch Biografien von Szeneprotagonisten wie Peavy Wagner (Rage), Hans Ziller (Bonfire), Mille Petrozza (Kreator; VÖ 2025) und Sabina Classen (Holy Moses; VÖ 2025). Noch elitärer wirkt es, wenn Botschaften gewisser Länder schwermetallische Devotionalien zu sehenswertem Kulturgut erklären sowie zu Podiumsdiskussionen laden (2023: ‘Der harte Norden’, Nordische Botschaften zu Berlin) und Ausstellungen wie ‘Heavy Metal in der DDR’ (Museum in der Kulturbrauerei, Berlin) oder ‘Metalmorph’ (Galerie Schau Fenster, Berlin) den Schulterschluss zwischen Historie, Gegenwartskultur und sogar Kunst wagen. Einmal mehr erwähnenswert ist an dieser Stelle der Siegeszug von Heavysaurus, die neuen Generationen die Segnungen des Heavy Metal im Dinokostüm näherbringen.

Coup des Jahres

Kooperationen von Bands mit Klassik-Musikern oder ganzen Symphonieorchestern gibt es indes seit Dekaden. Mittlerweile führen sie Formationen wie die aus dem Apocalyptica-Kosmos stammenden Bright & Black, Swallow The Sun, Moonspell oder Septicflesh sogar in Philharmonien, Balletthäuser, riesige Arenen oder noch erhabenere Orte wie die Akropolis in Athen. Der Coup des Jahres gelang jedoch der Gruppe Gojira, die im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele vom historisch bedeutsamen Bauwerk Conciergerie aus mit Opernsängerin Marina Viotti eine aufsehenerregende Version des französischen Kampflieds ‘Ah! Ça ira’ zum Besten gab.

Dieser einzigartige, lange nachhallende Moment zementierte die Tatsache, dass Metal längst kein reines Nischendasein mehr führt, sondern im Bewusstsein der „echten Kultur“ angekommen ist und dabei durchaus ernst genommen wird. Pessimisten wittern den „Sellout“, die Entzauberung des „Underground“-Spirits sowie den Verlust von Genre-prägenden Wurzeln und Authentizität. Doch in der gesteigerten Aufmerksamkeit liegen auch Chancen, die über Sichtbarkeit, Politikerreden und sogar Grammy-Nominierungen hinausgehen. Wenn Metal als (gerne weiterhin von einem Hauch Gefahr umgebener) Teil der Kulturlandschaft wahr- und ernst genommen wird, kann das Fördertöpfe und andere Unterstützungsmittel in greifbare Nähe rücken, die dem Erhalt und Gedeihen unserer Lieblingsmusik zugutekommen, den Nachwuchs sichern und dafür sorgen, dass Metal frisch und lebendig bleibt, statt irgendwann zum wirklich alten Eisen zu gehören. Eine durchaus begrüßenswerte Entwicklung. (Katrin Riedl)

Redebedarf

War was? Aktuell zeichnet sich ein Trend in der Musikwelt ab, Skandale einfach totzuschweigen. Die entsprechenden Musiker machen einfach weiter, als wäre nichts gewesen – business as usual, the show must go on. Aber wäre es nicht für alle Beteiligten besser, die jeweiligen Affären erschöpfend in aller Öffentlichkeit zu besprechen?

Im Fall von Marilyn Manson, dem von unterschiedlichen Frauen (darunter Schauspielerin Evan Rachel Wood) diverse Widerlichkeiten vorgeworfen werden, ist es für den Schockmetaller wahrscheinlich sogar sinnvoller, zu schweigen. Denn Brian Warner, wie der 55-Jährige mit bürgerlichem Namen heißt, hat derzeit noch verschiedene Klagen am Hals. Auch wenn er wirklich wollte, sind dem US-Amerikaner – der seine Karriere mit dem kürzlich veröffentlichten Album ONE ASSASSINATION UNDER GOD – CHAPTER 1 sowie den zugehörigen Konzerten wieder in Gang bringen will – aus rechtlichen Gründen die Hände gebunden beziehungsweise wurde ihm ein Maulkorb verpasst.

Das polizeiliche Verfahren gegen Till Lindemann wurde bekanntlich schnell wieder eingestellt – aus Mangel an verwertbaren Beweisen. Für viele Rammstein-Fans ist daher klar: „Unser Till ist unschuldig.“ Doch ist damit das Thema wirklich komplett vom Tisch? Die frühere Existenz des Casting-Systems um Alena Makeeva hat die Band nie ins Reich der Fabel verwiesen. Klar könnte man argumentieren: Sex ist Privatsache – aber wie privat ist die Sache, wenn Lindemann andere Leute für sich junge Frauen heranschaffen haben lassen soll (welchen zum Teil nicht klar zu sein schien, dass sexuelle Kontakte von Lindemann mit ihnen geplant gewesen sein sollen)?

Fehlende Loyalität?

Wie dem auch sei: Die Angelegenheit mag zunehmend in Vergessenheit geraten – unter anderem wegen der für 2025 angekündig-ten Soloaktivitäten. Aber lehnt man sich zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, Till ist es den in Sachen Loyalität nicht zu schlagenden Rammstein-Fans schuldig, sich ausführlich zu erklären? Natürlich wäre das alles andere als angenehm für Lindemann. Allerdings wäre der Nebeneffekt, dass die Chose endlich behandelt und letztlich abgehandelt wäre, doch äußerst angenehm für ihn. Und es könnte einiges Vertrauen wiederherstellen.

Bei Linkin Park sahen zahlreiche Anhänger ihr Vertrauen in die Band ebenfalls missbraucht. Manche wegen der Tatsache, dass sich Mike Shinoda und Co. tatsächlich getraut haben, die Formation ohne Chester Bennington zu rebooten – worüber die Band jedoch mittlerweile oft genug gesprochen hat. Anderen wiederum stößt dagegen die Scientology-Vergangenheit der neuen Frontröhre Emily Armstrong mehr als sauer auf. Hierzu haben weder die Gruppe noch die Musikerin selbst eindeutige Statements abgegeben oder Aussagen gemacht.

Man kann gewiss den Track ‘The Emptiness Machine’ als Breitseite gegen die L. Ron Hubbard-Kirche verstehen, in der die sich als queer identifizierende Sängerin gar kein spirituelles Zuhause finden kann. Vielleicht will Armstrong aber auch einfach stillhalten, um ihre Mutter zu schützen, die mehrere Ämter bei Scientology bekleidete. Nichtsdestotrotz: Auch wenn in allen drei Fällen selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt, geht für Klarheit sorgen anders. (Lothar Gerber)

KI oder K.O.?

Nicht nur in unserem Alltag nimmt die Künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle ein. Auch im Rock- und Metal-Bereich kommt diese Technologie immer stärker zum Einsatz – nicht immer zur Freude der Fans. Hat dieses Modell in unserer Szene eine Zukunft? Was liegt näher, als die KI selbst zu Wort kommen zu lassen?

Die Entschuldigung folgte prompt. Nachdem sich die kanadischen Power-Metaller Unleash The Archers zur Produktion des Videoclips ‘Green & Glass’ einer KI bedienten, brach der Shitstorm über die Band herein. Mit einem ausführlichen Statement, in dem die Protagonisten ihre Beweggründe detailliert erläuterten und sich verpflichteten, künftig den ethischen Faktor im Zusammenhang mit der Nutzung von KI (Stichwort: Quellenmaterial) stärker zu berücksichtigen, konnten Unleash The Archers die Wogen einigermaßen glätten. Die Liste lässt sich fortsetzen: Die KI-generierte Band Frostbite Orckings, das Projekt Dadabots, KI-Cover von etablierten Bands wie Deicide, Pestilence, Grave Digger. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch.

Auf Gegenliebe unter den Metal-Fans stößt dieser Ansatz bislang kaum. Die KI liefert dafür selbst eine plausible Erklärung, warum es in unserer Szene hakt: „Bei den Frostbite Orckings vermissen viele Anhänger beispielsweise die menschliche Note und empfinden die Musik als seelenlos“, so ihre Antwort. „Insgesamt zeigt sich, dass die Metal-Community dem Einsatz von KI in der Musikproduktion mit gemischten Gefühlen begegnet. Die Diskussionen drehen sich vor allem um die Balance zwischen technologischem Fortschritt und dem Erhalt der menschlichen Kreativität und Authentizität.“ Auf Nachfrage betont die KI, sehr wohl dazu in der Lage zu sein, ethische Aufgaben einschätzen und Prinzipien wie Fairness, Transparenz, Verantwortlichkeit oder Privatsphäre berücksichtigen zu können. Es liegt also ihrer Meinung nach an uns Menschen, wie wir mit ihr umgehen. Unmoralisch wird die KI erst durch unsere Art der Nutzung.

Ergänzende Rolle

Entsprechend listet die KI „im nächsten Atemzug“ die diversen Vorzüge auf, welche Metal-Bands aus ihr ziehen könnten: Unterstützung unerfahrener Musiker, Feinabstimmung der einzelnen Liedsegmente, Förderung komplexer und unkonventioneller Kompositionen, verkürzte und damit billigere Produktionen, Beschleunigung des kreativen Prozesses.

Angesprochen auf die möglichen Nachteile ihrer Beteiligung folgt die Antwort ebenso prompt (und entwaffnend ehrlich): Die Musik fühlt sich für die Fans weniger echt an, Gefahr der Gleichförmigkeit, mögliche Verletzung von Urheberrechten, das Verlernen der musikalischen Handwerkskunst, Job-Verluste in der Branche und letztlich kreative Stagnation. Das kann niemand wollen. Nicht mal die KI selbst, die sich selbst daher folgende Zukunft in der Rock- und Metal-Szene prophezeit: „Ich werde eine ergänzende Rolle einnehmen, ohne den menschlichen Input jemals zu ersetzen. Die Rock- und Metal-Community legt großen Wert auf Authentizität und emotionale Tiefe.

Diese Aspekte sind schwer von einer KI zu replizieren, da sie von der menschlichen Erfahrung und Emotion leben. Ich werde als Ergänzung fungieren, nicht als Ersatz für menschliche Kunst.“ Sie weist aber auch darauf hin, dass jüngere Generationen technikaffiner sind, weswegen die KI langfristig eine größere Akzeptanz erlangen könnte. Beruhigend klingt das nur bedingt. Kurz vor Jahresende kündigte ausgerechnet ein kreatives Vorbild wie Steven Wilson an, die von KI unterstützte Weihnachts-Single ‘December Skies’ aus dem letzten Jahr nun als CD und Vinyl inklusive drei exklusiver Weihnachtskarten zu veröffentlichen. Schöne Bescherung. (Matthias Weckmann)


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