Heute feiert Jonathan Davis, Lead-Sänger von Korn und damit Mitbegründer des Nu Metal, seinen 50. Geburtstag. METAL HAMMER gratuliert – und blickt auf sein bewegtes Leben zurück.
Randnotiz: Alle im Artikel verwendeten Zwischenüberschriften sind Song-Titel von Korn, die nicht nur gewissermaßen zum zugehörigen Textabschnitt passen, sondern in die ihr beim Lesen reinhören könnt.
Seed
Eine Interview-Frage, die viele Musikerinnen und Musiker wohl satthaben dürften, ist jene nach ihren musikalischen Einflüssen. Selbstverständlich wurde auch Davis oft nach den seinen gefragt. Seine Antworten erstaunen – irgendwie. Beispielsweise schreibt er Peter Gabriels zweitem Soundtrack PASSION große persönliche Bedeutung zu. Dabei handelt es sich um weit mehr als die Filmmusik zu Martin Scorseses Film ‘Die letzte Versuchung Christi’: PASSION trug maßgeblich zur allgemeinen Beliebtheit von Weltmusik bei. Ein Jahr nach der Veröffentlichung wurde Gabriels Album mit dem Grammy Award für das beste New-Age-Album geehrt. Darüber hinaus: Von Dead Can Dance schätzt Davis besonders THE SERPENT’S EGG (1988), auch für das Musical Jesus Christ Superstar ließ er sich schon früh begeistern. Und Duran Duran begleiten Jonathan Davis ohnehin schon sein (gefühlt) ganzes Leben lang.
No Place To Hide
In der Schule ertrug er Spott und Prügel – für sein Anderssein. Auch zu Hause wurde er ständig schikaniert. Der Hintergrund: „Als ich ungefähr drei Jahre alt war, waren meine Eltern an der lokalen Produktion von ‘Jesus Christ Superstar’ in Bakersfield beteiligt. Während der Proben traf meine Mutter den Mann, der Judas spielte, und er nahm sie meinem Vater weg. Er ist mein Stiefvater und das seit 43 verdammten Jahren. Kleiner Judas…“ Nach der Scheidung seiner Eltern wurde er von seiner kleinen Schwester Alyssa Marie getrennt – sie lebte bei der Mutter, er beim Vater. Beide heirateten ein weiteres Mal; Davis‘ Vater offenbar die Falsche: Seine Stiefmutter missachtete und beschimpfte ihn.
Während seiner Kindheit musste Jonathan Davis viele schlimme Erfahrungen machen, die er später in zahlreichen Korn-Songs verarbeitete. Einer der erschütterndsten ist zweifellos ‘Daddy’ (KORN, 1994), der vom sexuellen Missbrauch handelt, den Davis schon früh in seinem Leben erfuhr. Nach der Veröffentlichung des Albums betonte Korns Lead-Sänger in zahlreichen Interviews, dass er – trotz des Song-Titels – nicht von seinem Vater sexuell missbraucht wurde, sondern von einer Freundin der Familie. Als sich Davis damals an seine Eltern wandte, glaubten diese ihm nicht.
Beg For Me
Mit der Veröffentlichung ihres Band-betitelten Debüts läuteten Korn ihre eigene, goldene Ära ein; mit FOLLOW THE LEADER (1998) folgte der kommerzielle Durchbruch. Doch bevor Davis zu jener Band hinzustieß, die später als Korn zu den weltweit erfolgreichsten Metal-Acts zählen würde, tingelte er als Sänger der Band Sexart von Bühne zu Bühne. Als Sexart eines Abends in Davis‘ Heimatstadt Bakersfield, Kalifornien auftraten, befanden sich einige seiner späteren Korn-Band-Kollegen im Publikum. Dort gingen sie auf Jonathan Davis zu und fragten ihn, ob er nicht ihrer Band beitreten wolle. Er zögerte – und bat einen Hellseher um Rat. Der befürwortete die Idee zwar, doch Davis blieb skeptisch und ließ sich zunächst nur auf eine einzelne gemeinsame Probe ein. Dann klickte es: „Als ich den ersten Song mit ihnen sang, sahen wir uns gegenseitig an und sie sagten: ‘Du bist in der Band.’“
Falling Away From Me
Die Erfahrungen, die er während seiner unbehüteten Kindheit machen musste, außerdem seine Arbeit als professioneller Einbalsamierer bei einem Bestatter, riefen schwere psychische Krankheiten in Davis hervor. In einem Interview erklärte er: „Ich litt unter einer Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), weil ich tote Babys und kleine Kinder gesehen habe, die gestorben waren, nachdem sie den Drogenvorrat ihrer Eltern gefunden hatten. Scheiße, die ich mit 16 oder 17 Jahren nicht hätte sehen sollen. Ich ging lange zur Therapie, um die Alpträume loszuwerden. Aber ich habe es geschafft und seither schätze ich das Leben viel mehr.“
Über viele Jahre jedoch fand er keinen Trost in seiner Therapie, sondern in einer schweren Alkohol- und Drogensucht. Während der Aufnahmen der beiden ersten Alben KORN und LIFE IS PEACHY soll Davis exzessiv Crystal Meth konsumiert haben und laufend betrunken gewesen sein. Ende der Neunziger Jahre entschied sich Davis zu einem kalten Entzug – was seine Depression, Angststörung, PTSD und Panikattacken zunächst intensivierte. In Folge dessen entwickelte er eine Xanax-Abhängigkeit – und überwand auch diese. Heute spricht er offen über seine psychischen Krankheiten und ermutigt Betroffene, sich Hilfe zu suchen.
This Loss
Am 17. August 2018 verlor er seine Ex-Frau Deven Davis, die im Alter von nur 39 Jahren an einer unbeabsichtigten Überdosis verstarb. Das Paar heiratete im Jahr 2004 und hatte zwei gemeinsame Kinder, Pirate und Zeppelin. Vor ihrem Tod lebten sie zwar getrennt, trotzdem traf ihn ihr Ableben (erwartungsgemäß) heftig. In einem Statement kurz nach Deven Davis‘ Tod sagte er: „Während der vergangenen zehn Jahre war meine Frau sehr, sehr krank. Sie hatte eine sehr ernste psychische Krankheit, ihre Sucht war eine Nebenwirkung. Ich liebte sie von ganzem Herzen. Wenn sie sie selbst war, war sie eine großartige Ehefrau, Mutter und Freundin. […] Ich werde nie wieder jemanden so lieben, wie ich dich geliebt habe, und ich werde deinen Verlust nie überwinden.“ Im zuletzt erschienen Korn-Album THE NOTHING (2019) verarbeitete Davis den frühen Tod seiner Ex-Frau, seinen schmerzhaften Verlust.