Im englischen Nirgendwo
Eine lose Siedlung altehrwürdiger Farmhäuser, von moosbehangenen Mauern aus schroffen Steinplatten umsäumt, die auf saftig grünen Wiesen samt grasender Schafherden Ruhe finden. Was für Neuankömmlinge ein erstaunlicher Anblick ist, wird von den schon sechs Wochen hier Ansässigen müde belächelt. Jeden Film haben die Schweden schon im kleinen Kino gesehen, jedes Restaurant zwei Mal die Woche besucht, und unendlich viele Schafe gezählt. Trotzdem lächelt Hüne Johan Hegg: „Es fühlt sich an wie zu Hause“, weil die Death Metal-Bärte bereits für den Vorgänger DECEIVER OF THE GODS im alten Gemäuer von Produzent Andy Sneap Unterschlupf suchten. „Ich wollte nichts Klinisches, keinen Ort ohne Fenster mit grauen Wänden. Bei der Sanierung war mir die entspannte Atmosphäre, der Vibe beim Aufnehmen wichtiger als die Akustik. Es fühlt sich hier doch sehr heimisch an, oder?“, zwinkert der Mann, der von Accept, Exodus, über Kreator und Machine Head bis hin zu Testament wichtige Thrash-Titanen klanglich veredelte. Songwriter Olavi Mikkonen nickt zufrieden: „Wir sind hier, um zu arbeiten, und nicht, um das Nachtleben zu erforschen, das es nicht mal gibt.“
Sneap – selbst stolzer Workaholic – schätzt Amons Arbeitsethos, das Gitarrist Olavi dergestalt wiedergibt: „Wir schreiben keine Songs im Studio, wir hatten bestimmt 80 Prozent vorher fertig. Das machen wir in Schweden. Dort mieten wir uns eine Hütte im Norden, in einem Skigebiet im Sommer, das dann natürlich leer ist.“ Gute Vorbereitung ist eben alles: „Nur zwei oder drei Songs haben wir im Studio zu Ende gebracht“, freut sich Andy, der seine Aufgabe darin sieht, der Band Fokus zu schenken und Performances zu optimieren. Damit sich vor Ort niemand langweilt, hat er die gesamte Band zu den Drum-Aufnahmen spielen lassen und fortan Tag für Tag nur stückchenweise jedes Instrument aufgenommen: ein echtes Besetzungskarussell. Was die Leidenschaft und den Enthusiasmus in derartige Höhen trieb, dass die Freude von Amon im Interview echt ansteckend wirkt.
Das Wikinger-Konzeptalbum
Aber nicht nur das: „Es ist ein spezielles Album, weil wir uns zum ersten Mal an ein Konzeptalbum wagen“, erklärt Johan die eigene Euphorie über seine umfassende Saga JOMSVIKING. „Das war eine Herausforderung, textlich wie musikalisch. Und dann kam noch ein neues Band-Mitglied hinzu, das selbst einen positiven Vibe mitbrachte.“ Hegg meint damit den zwischenzeitlich eingestiegenen Drummer Tobias Gustafsson, der bis 2013 für Vomitory trommelte.
Viel Veränderung, noch mehr Kraft: „Es ist ein epischeres Album – Ziel war es, einen Film zu erschaffen“, legt Olavi bildlich die Messlatte hoch. Denn es war hart, Heggs Konzept umzusetzen, „die Texte an den richtigen Platz auf der Platte zu hieven“, der Geschichte eines Kriegers musikalisch zu folgen, der im Streit um seine große Liebe mordet und sich auf der Flucht den elitären Kriegern der Jomswikinger anschließt. „Zu einer Seeschlacht muss die Musik aggressiv sein. Auch siegreiche Szenen müssen entsprechend klingen, genau wie traurige“, sinniert Mikkonen über die Druckmittel im Kreativprozess. Vielleicht ist deswegen mit JOMSVIKING das detailreichste, technischste wie heroischste Album aus der Feder der Schweden entsprungen. „Das war immer unser Anspruch: Amon Amarth zu sein, uns aber auf ein höheres Level zu pushen, dabei interessant wie erkennbar für die Fans zu bleiben“, schließt Johan, sichtlich erleichtert.
Wer schon jetzt an den ersten Klängen von JOMSVIKING interessiert ist, sollte sich die METAL HAMMER-Ausgabe 04/2016 vorbestellen, die mit der weltexklusiven 7-Inch Sammler-Vinyl inklusive der Songs ‘First Kill’ und ‘At Dawns First Light’ daherkommt.
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