Das Sweden Rock Festival beginnt zum 25-jährigen Jubiläum stürmisch. Kaum steht das Zelt, schon darf man gleich noch ein paar extra Heringe in den Boden rammen, um Pavillon und Co. einigermaßen wind- und wetterbeständig zu machen. Schielt man allerdings auf vergangene deutsche und englische Großveranstaltungen, muss man dieser Tage froh sein, dass das große Wetterfiasko ausbleibt. Ganz im Gegenteil, schnell hellt der Himmel über Sölvesborg wieder merklich auf und die Sonne zeigt sich für den Rest des Festivalwochenendes von seiner überwiegend besten Seite.
So auch das Festival selbst: Ein wie immer hochwertiges Line-Up für Jung und Alt (auch wenn dieses Mal mit Queen, Twisted Sister, Kind Diamond und Co. vielleicht der ganz große Wurf fehlt), angenehm lange Spielzeiten für alle Bands – hier wird fast niemand unter einer Stunde verbraten, wie man das von anderen Festivals her kennt, ein durchweg gut bis sehr guter Sound auf den insgesamt fünf Bühnen, keine nennenswert langen Schlangen und ein Festivalgelände, das zum Wohlfühlen und Entspannen geradezu einlädt. Nicht zuletzt, weil beim Sweden Rock wie auf kaum einem anderen Festival großer Wert auf Sauberkeit gelegt wird. Wer mag, kann selbst einen Abstecher an den nahegelegenen Strand machen. Kurzum: Wer lieber auf Qualität statt auf Quantität setzt und einen entsprechenden Geldbeutel parat hält, kommt hier voll und ganz auf seine Kosten.
Mittwoch
Der Warm-Up-Mittwoch steht ganz im Zeichen der Krefelder Blind Guardian, auch wenn die selbsternannten Kinder der Nacht von Tribulation zuvor noch eine erhabene Performance im Dunkel durchschimmern lassen. Zusammen mit einer ausgewogenen Mischung aus Songs ihres bisherigen Schaffens und der morbiden Melange aus Death Metal und 70s Hard Rock, kommt ihr propagiertes Vampir-Image vor allem über die ungemein stimmungsvolle Ausleuchtung der Bühne zu später Stunde perfekt zur Geltung.
Aber zurück zu den Barden: Bei über 30 Jahren Bandgeschichte können diese natürlich auf einen weit größeren Fundus an Hymnen zurückgreifen, den sie in ein knackiges 2-Stunden-Set verpacken. Auf bahnbrechende Überraschungen wird zwar größtenteils verzichtet, dafür sind ‘Nightfall’, ‘Lord Of The Rings’ oder ‘Imaginations From The Other Side’ immer gern gesehene Gäste während eines Guardian-Gigs. Die Chöre und Singalongs bei ‘Valhalla’ oder ‘The Bard’s Song – In The Forest’ sind natürlich auch im hohen Norden längst ins Barden-Blut übergegangen und werden lauthals mitgetragen. Insofern sprechen die zahlreichen Gänsehautmomente und die wie immer tolle Atmosphäre klar für die Band.
Donnerstag
Wohl dem, der in der prallen Mittagssonne auf keine tonnenschweren Kostüme oder schweißtreibende Schminke zurückgreifen muss. In dieser Hinsicht können einem die finnischen Vorzeigemonster Lordi nur leidtun. Davon allerdings völlig unbekümmert, untermauern sie ihren Status als geniale Live-Band. Gegenüber ihren Touraktivitäten zwar mit leicht abgespeckter Show, lassen sie während ihres offiziell frühesten Konzerts der Bandhistorie die Setlist für sich sprechen. Die strotzt nämlich nur so vor Paradestücken aus den ersten drei Alben: Das selten gezockte ‘Dynamite Tonite’, die obligatorischen Gassenhauer ‘The Devil Is A Loser’, ‘Who’s Your Daddy?’ und ‘Blood Red Sandman’ oder das etwas neuere, aber nicht minder mitreißende und mit unfehlbarer Mittelfinger-Attitüde versehene ‘Sincerely With Love’: Lordi liefern auch dank des satten Sounds durch die Bank ab. Dass sie ihren mittlerweile eher lästigen Eurovision-Hit ‘Hard Rock Hallelujah’ selbst mit einem Augenzwinkern darbieten, bringt ihnen nur zusätzliche Sympathiepunkte ein.
Graveyard müssen hingegen aufpassen auf der Bühne nicht ins Mittelmaß abzudriften. Eine gewisse Introvertiertheit haben die schüchternen Schweden schon immer an den Tag gelegt, sich allein auf sein zweifellos erhabenes Liedgut zu verlassen, reicht aber schlicht nicht mehr aus, um restlos überzeugen zu können. Zu emotions- und lustlos die Darbietung, zu nüchtern die quasi nicht vorhandene Interaktion mit ihren Landsleuten. Zwar setzt der neue alte Bassist Truls Mörck zunehmend auch am Gesang frische Akzente und ‘Uncomfortably Numb’ sowie ‘The Siren’ wissen nach wie vor mitzureißen, insgesamt hat man Graveyard allerdings schon deutlich zwingender zu Werke gehen sehen.
Kampf um die Thrash-Krone
Mit Slayer ist das immer so eine Sache. Es vergeht kaum ein biergetränktes Rockkonzert auf dem nicht irgendwer den Namen der Thrash-Titanen hinauskrakeelt. Stehen sie dann höchstpersönlich auf der Bühne, halten sich die Slayer-Chöre doch eher verhältnismäßig in Grenzen. So auch heute. Gut, das Sweden Rock bedient nicht unbedingt die typische Schlächter-Klientel, aber was ist anno 2016 noch von ihrem hart erarbeiteten Legendenstatus übrig? Die Instanzen Araya und King ziehen ihr Ding geradezu schmerzhaft routiniert durch, wirklich Spaß scheint da nur noch Gary Holt zu haben, der mit Todeskoteletten und ins Gesicht gestanztem, breiten Grinsen seine Axt aufs Übelste zum unermüdlichen Paul Bostaph-Beat malträtiert. Bei der Setlist hingegen werden erfreulicherweise keine Kompromisse eingegangen, sondern Klassiker am laufenden Band serviert. Ein gefundenes Fressen also für die Die Hard-Fraktion, für den Otto-Normal-Festivalgänger allerdings ob der öden Performance leider nur Durchschnitt.
Da haben Megadeth im Kampf um die schwedische Thrash-Krone klar die Nase vorne. Trotz des schmerzlichen Verlusts seines Freundes und Ex-Drummers Nick Menza, scheint Megadave, beschwingt von dem starken Langeisen DYSTOPIA und der Frischzellenkur vor allem in Form von Kiko Loureiro, einen zweiten Frühling zu erleben. Sichtlich gut gelaunt hauen sich die beiden Gitarristen schon beim Opener und Bandklassiker ‘Hangar 18’ die Soli gegenseitig um die Ohren. Ein Auftakt nach Maß, der sich mit traditionsreichen Brechern der Kategorie ‘In My Darkest Hour’ oder ‘She-Wolf’ beliebig fortsetzen lässt. So geht Spielfreude, auch wenn zwischendurch bei ‘Trust’ und der Megadeth-Vorzeigeballade ‘A Tout Le Monde’ deutlich ernste Töne von dem ansonsten gelöst wirkenden Dave Mustaine angeschlagen werden. Zudem fügen sich insgesamt fünf Stücke des aktuellen Outputs stimmig in das enorm rifforientierte Gesamtbild, hier sind besonders der melodische Titeltrack und das beißende ‘Fatal Illusion’ hervorzuheben. Nach dem anschließenden Nackenbrecher ‘Symphony Of Destruction’ machen die Herren den Sack dann endgültig mit dem lauthals besungenen ‘Peace Sells’ und ‘Holy Wars… The Punishment Due’ zu. Mit Megadave und Co. ist auf jeden Fall wieder zu rechnen.
Queen
Als Donnerstags-Headliner geben sich schließlich die Königlichen ohne ihr einstiges Oberhaupt die Ehre: Queen + Adam Lambert stehen auf dem Plan und versuchen sich daran das Vermächtnis des großen Freddie Mercury würdig fortzusetzen. Mit großer Skepsis wurde der aus American Idol bekannte Adam Lambert anfänglich beäugt. Queen ohne Mercury? Das ist ja wie AC/DC ohne Angus Young. Und dieser Lambert soll nun also das Erbe des Ausnahmesängers antreten? Eine unlösbare Aufgabe, das weiß auch Lambert. Aber genau dieses Wissen ist es, das ihm letztendlich zugute kommt. Er versucht erst gar nicht das Unerreichbare zu erreichen und in die Fußstapfen Mercurys zu treten. Stattdessen verstellt sich nicht und ist sich seiner Rolle als Teil eines großen Freddy-Tributs bewusst – kurz: Adam Lambert ist er selbst, und das ist auch gut so. Mit dem nötigen Respekt geht er die Queen-Klassiker an, verleiht ihnen eigene Nuancen und stellt in Ansagen immer wieder die vermeintliche “Mission Impossible” heraus, die als eine Huldigung Mercurys gesehen werden sollte. Auch nimmt sich der durchaus charismatische Sänger selbst nicht zu ernst und macht ein ums andere Mal Späße über seine auffälligen (Feder-)Outfits. Sehr sympathisch!
Und so werden in imposanter Lichtshow (inklusive riesiger ovaler Leinwand) zeitlose Klassiker mit den verbliebenen Originalmitgliedern Brian May und Roger Taylor zum Besten gegeben. Komplettiert wird das Ensemble von Spike Edney an den Keyboards, Neil Fairclough am Bass, Rufus Tiger Taylor, dem Sohn von Roger, an den Percussions – und von Freddie Mercury höchstpersönlich! Der wird nämlich des Öfteren mittels audiovisueller Einspieler über die Leinwände „zugeschaltet“ und so gewissermaßen zum Leben erweckt, wie etwa beim Wayne’s World Headbang-Garant und Überklassiker ‘Bohemian Rhapsody’. Fanherz was willst du mehr? Brian May lässt die Gitarre nach wie vor unnachahmlich bei ‘I Want It All’ aufheulen, während Roger Taylor ebenfalls zum Mikro greift und sich während eines Drum Battles austobt, nur um dann das David Bowie-Duett ‘Under Pressure’ einzuleiten. Da ist es nur reine Formsache, dass bei den zeitlosen Schusslichtern ‘We Will Rock You’ und ‘We Are The Champions’ das Sweden Rock förmlich bebt. Königliches Rock-Entertainment vom Feinsten, selbst ohne den leibhaftigen Freddy!
Als Late Night-Special und nicht minder unterhaltsamer Hauptact macht sich King Diamond kurz nach Mitternacht daran seine Jünger in den Bann düsterer Theatralik zu ziehen. Und das gelingt dem Meister des Falsetts vorzüglich. Das aufwändige ,mit Geländern, einem obligatorischen Pentagramm und zwei riesigen invertierten Kreuzen versehene Bühnendesign geht eine atmosphärische Symbiose mit der vorzugsweise in dunklem Blau gehaltenen Lichtstimmung ein, während der King mit seinem Knochenmikrofon in der ersten Hälfte ausgewählte Bandklassiker wie ‘Halloween’ oder ‘Eye Of The Witch’ parat hält, mit ‘Melissa’ und ‘Come To The Sabbath’ aber auch in seiner Mercyful Fate-Vergangenheit gräbt. Danach läutet das gespenstische Intro ‘Funeral’ die makabere Horror-Oper ABIGAIL ein, die zur Freude aller Anwesenden in ihrer Gesamtheit aufgeführt wird. Und wie: King Diamonds erstes Konzeptalbum um ein verfluchtes Anwesen, in dem der Geist Abigails, einer mumifizierten Todgeburt, Besitz von einer jungen Frau ergreift, um schließlich durch sie wiedergeboren zu werden, wird dramaturgisch mit allerlei schauspielerischen Showeinlagen bestechend in Szene gesetzt. Und auch erzählerisch wird die Schauermär mit musikalisch außerordentlich komplexen Glanzstücken des progressiven Heavy Metals wie ‘A Mansion In Darkness’ oder dem abschließenden ‘The Black Horsemen’ erstklassig vorangetrieben. Dabei ist King Diamond stimmlich nach wie vor das Maß aller Dinge was seine hohen Falsett-Schreie angeht, auch wenn er bisweilen auf etwas Unterstützung einer weiblichen Sängerin zurückgreift. Trotzdem: Der King ist und bleibt der King und auf seinem Gebiet des satanisch angehauchten Horror-Theaters weiterhin konkurrenzlos.