Am 16. Juni 2012 fand das erste ganztags Festival in Indien statt: das Bangalore Open Air in Bangalore, Karnataka. Leider stand das BOA unter keinem guten Stern: Nur wenige Wochen vor dem Festival wurde bekannt gegeben, dass die Veranstaltung nicht auf dem populären Palace Grounds im Zentrum Bangalores stattfinden darf. Die Begründung „zu hohes Verkehrsaufkommen, wenn die Konzertbesucher das Gelände verlassen“, hält kaum einer für den wahren Grund, da andere Großveranstaltungen nach wie vor zugelassen werden. Die Veranstalter rufen daher die Festivalbesucher auf, eine Petition gegen das Verbot zu unterschreiben, in der Hoffnung, dass in Zukunft wieder Rock- und Metalkonzerte auf dem Palace Grounds stattfinden können.
Für das diesjährige BOA kommt die Petition zu spät, das Festival muss auf das außerhalb der Stadt gelegene Gelände des Acharya Institute of Technology verlegt werden. Da es sich um ein Universitätsgelände handelt, darf während des Festivals kein Alkohol ausgeschenkt werden, wodurch dem Veranstalter einige wichtige Sponsoren abspringen. Als ob das nicht schon genug Ärger wäre, werden dem Headliner Iced Earth auch noch die nötigen Visa verwehrt. Aber der Veranstalter Salman Syed lässt sich nicht beirren und bucht kurzerhand die Celtic Metaller Suidakra, die sich in Indien bereits eine treue Fanbase erspielen konnten.
Metal gegen alle Widerstände
Nichts desto trotz führen die Veränderungen von Location und Line-Up zu einem merklichen Einbruch bei den Ticketverkäufen. Statt den ursprünglich erwarteten 5.500 Besuchern kommen nur ca. 1.500, denn anders als in Deutschland ist es in Indien nicht üblich, Tickets Wochen oder gar Monate im Voraus zu kaufen, gewöhnlich werden ca. 95% der Tickets an der Abendkasse verkauft. Diejenigen, die sich von der weiten Anfahrt nicht abschrecken lassen und die extra eingerichteten kostenfreien Shuttlebusse nutzen, können 12 Stunden Metal pur mit größtenteils indischen Bands und den zwei deutschen Headlinern Suidakra und Kreator erleben.
Den Anfang machen die Gewinner der W:O:A Metal Battle Vorentscheide, für die es heute darum geht, Indiens Metal Battle Band beim 23. Wacken Open Air zu werden. Da die Metal Battle Gewinner aus Nordindien nicht zum BOA reisen können, treten nur drei Bands gegeneinander an: Damage(Era) aus Gangtok Sikkim (Ostindien), Zygnema aus Mumbai (Westindien) und Crypted aus Chennai (Südindien).
Das Bangalore Open Air beginnt
Als erstes müssen Zygnema auf die Bühne. Die vierköpfige Groove Thrash Metal-Band lässt sich nicht davon beirren, dass zu der frühen Stunde nur ca. 100 Fans vor der Bühne stehen, und bietet diesen die energiegeladene und aggressive Show, für die sie bekannt ist. Sänger Jimmy hat die Fans im Nu im Griff, muss das Ruder jedoch viel zu früh an Sänger Siva von Crypted abgeben.
Durch die mit 30 Minuten etwas zu lange Umbaupause geht die gerade aufgebaute Stimmung wieder verloren. Da Crypted zudem einige technische Probleme während der Show haben, gelingt es der Band mit ihrem Technical Death Metal nicht, die Fans auf ihre Seite zu ziehen.
Auch der dritten Band des Metal Battles Damage(Era) machen technische Probleme zu schaffen. Die Leadgitarre ist kaum zu hören und die Band wirkt nicht gerade glücklich über die Bedingungen, aber zum Glück haben auch Damage(Era) einen Frontmann, der sich darauf versteht, die Menge anzutreiben und das Stadion füllt sich immer mehr.
‘Holy Diver’ auf indisch und Ganesh im Publikum
Danach geht es mit der ersten regulären Band weiter, die Melodic Thrasher Theorized, die glücklicherweise von den vorherigen Soundproblemen verschont bleiben. Für besondere Begeisterung sorgt der Gastauftritt von Escher’s Knot-Sänger Abhijeet und die aus Bangalore stammende Band kann den ersten Moshpit des Tages verbuchen.
Albatross, die wie Zygnema aus Mumbai stammen, bezeichnen ihre Musik selbst als Horror Metal und kreieren wohl normalerweise eine entsprechende Atmosphäre auf der Bühne. Zur Mittagszeit bei einem Open Air Festival ist dies natürlich schwierig, nichtsdestotrotz kann die Band nicht nur mit dem ‘Holy Diver’-Cover sondern auch mit den eigenen Songs und deren Darbietung überzeugen.
Weiter geht es mit Beaver Sea, die nach einer Kreuzung von Black Sabbath und Mastodon klingen. Highlight des Sets ist der Song ‘Abhistu’, bei dem sich Sänger Ganesh ins Publikum begibt. Eine hervorragende Show, nach der das Publikum zu Recht mehr fordert.
Aber 1833 AD aus Delhi stehen bereits in den Startlöchern, um die Arena mit ihrem Black Metal zu verdüstern. Düster wird die Show insbesondere für Gitarrist Rahul, dem nicht nur eine Saite reißt, sondern der sich zudem den Arm verletzt. Zwar kann Drummer Raghav die Menge mit einem Solo bei Laune halten, durch die ständigen Unterbrechungen gelingt es der Band jedoch nicht, die nötige Stimmung aufzubauen.
Applaus für Lokal-Helden
Mit Dying Embrace steht nun eine der ältesten indischen Metal-Bands auf dem Programm. Die Death/Doom-Veteranen überzeugen mit einer technisch hervorragenden Show und werden entsprechend vom Publikum, in dem man zahlreiche Dying Embrace Shirts ausmachen kann, gefeiert.
Nachdem uns bisher eine ganze Menge Old School-Bands die Zeit vertrieben, bringen Eccentric Pendulum mit ihrem Experimental Metal frischen Wind in die Arena. Die Gewinner des 2012er Indian Metal Battle begeistern das Publikum mit ihrer technischen Versiertheit, den ungewöhnlichen Gitarrensoli und Bass-Lines und einer guten Stage Performance.
Dann ist es auch schon an der Zeit für die letzte indische Band, die aus Bangalore stammendenden Thrash Metaller Kryptos. Die vier liefern trotz extremer Probleme mit dem Drumset eine überzeugende Show ab. Die Saitenfraktion post gekonnt in ihren Kutten, und Drummer Ryan spielt problemlos ohne zweite Tom weiter, nachdem der Versuch, diese zu richten, scheitert. Da inzwischen auch die Soundprobleme vom Morgen Geschichte sind und Songs wie „Mask Of Anubis“, ‘Heretic Supreme’ sowie ‘Descension’ mitreißen, wird die Band zu Recht mit ausgiebigen „Kryptos…Kryptos!“ Rufen verabschiedet.
Deutsch-indisches Unwetter-Crowdsurfen
Suidakra sollen eigentlich 18:45 Uhr ihren einstündigen Auftritt beginnen, aber es kommt zu für die Band nicht nachvollziehbaren Verzögerungen, und die Ungeduld steigt mit jeder Minute. Als es dann mit einer halben Stunde Verspätung endlich losgehen kann, entschließt sich der örtliche Wettergott, auf Unwetter umzuschalten. Die indischen Metalheads interessieren sich für Sturm und Regen genauso wenig wie es Suidakra tun, die mehrmals ins Publikum gehen. Besonders hervorzuheben ist die gemeinsame Crowdsurfing Aktion von Arkadius und Lars, denen am Tag zuvor erzählt wurde, dass das in Indien noch niemand gemacht hat.
Die Fans sind vom ersten deutsch-indischen Crowdsurfen so begeistert, dass sie sogar versuchen Jussi und Sebastian von einem Bad in der Menge zu überzeugen, die ziehen es jedoch vor, sich das Schauspiel von der Bühne aus anzuschauen. Dudelsackspieler Axel wird gar nicht erst gefragt, da er die musikalische Untermalung ‘The Pumpkins Fancy’ zum Surfen spielt.
Zu guter Letzt kommt Suidakra die Ehre zu, den Metal Battle-Gewinner bekannt zu geben: Zygnema aus Mumbai haben die Jury überzeugt und dürfen nicht nur zum 23. W:O:A fliegen sondern am 24. Juni Kryptos feat. Arkadius auf der Indo-German Mela supporten.
Kreators Doppel-Moshpit
Und nun ist es an der Zeit für die Thrash Metal-Legenden Kreator, die passend mit ‘Violent Revolution’ beginnen. Die Zeile „Society has failed to tolerate me, and I have failed to tolerate society…“ brüllt wohl vielen hier aus der Seele. So verwundert es nicht, dass Mille die mehrmals geforderten Moshpits zu seiner linken und rechten Seite bekommt. Da das Publikum durch eine Absperrung, die vom Graben zum FOH führt, geteilt wird, ist es vollkommen legitim, zwei Moshpits zu fordern.
Abgesehen davon wird Mille nicht müde zu betonen, wie sehr sich die Band freut endlich in Indien auftreten zu können, und die indischen Fans freuen sich mindestens genauso sehr. Auf der Setlist finden sich hauptsächlich altbekannte Songs, nur zwei Stücke vom aktuellen Album PHANTOM ANTICHRIST werden in die Kreator-Hitlist eingebunden. Die Performance der vier Musiker ist genauso wie man es von ihren Konzerten in Deutschland gewohnt ist, und als es an der Zeit für die ‘Flag Of Hate’ ist, haben die Fans noch lange nicht genug.
Fast wie zu Hause
Trotz aller Schwierigkeiten, die dem Veranstalter in den Weg gelegt wurden, ist es Salman Syed und seinem Team gelungen, ein gutes Festival auf die Beine zu stellen, wovon die sehr positive Berichterstattung in Bangalores Tagespresse und verschiedenen indischen Online-Musikmagazinen zeugt. Auch Arkadius von Suidakra hat sich sehr positiv über das BOA geäußert: „Aus unserer Sicht war alles super organisiert auch wenn die Dinge in Indien manchmal etwas anders laufen. Dort ticken die Uhren anders, d.h. manchmal muss man sich von gewissen typischen Vorstellungen wie z.B. Pünktlichkeit verabschieden. Aber das ist nicht schlimm denn die Inder sind sehr bedacht, alles zur vollsten Zufriedenheit der Bands zu organisieren. Egal ob es um die Backstage-Räume, das Catering oder die Bühne ging, für mich war kein Unterschied zu europäischen Festivals festzustellen.“
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