Was kann schon aus einem Filmprojekt werden, dessen Hauptdarsteller während der Dreharbeiten stirbt und dessen Talent unersetzbar scheint? Eigentlich sollte der Dreh von Terry Gilliams neuem Werk DAS KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS nach der Nachricht von Heath Ledgers Tod sofort eingestellt und die Produktion abgeblasen werden. Doch der Regisseur hat nach kurzer Schockstarre eine bessere Idee: Die Rolle wird auf drei ebenso fähige Schauspieler (und nebenbei gute Freunde des Verstorbenen) aufgeteilt. Das Unfassbare gelingt: Der Film kann vollendet werden und durch die Vierteilung der Rolle entsteht erst ein wirklich außergewöhnliches Fantasy-Abenteuer.
DAS KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS erzählt die wunderbare und doch so düstere Geschichte des unsterblichen Doktor Parnassus (Christopher Plummer), der sich auf Wetten mit dem personifizierten Bösen Mr. Nick (teuflisch gut: Tom Waits) einlässt. Dabei verwettet der Doktor sogar seine Tochter Valentina (gespielt von der erst 21-jährigen, bezaubernden Lily Cole). Sie soll Mr. Nick gehören, sobald sie 16 ist.
Parnassus besitzt bereits einen fahrenden Wanderzirkus, dessen Hauptattraktion ein Zauberspiegel und damit der Zugang in unglaubliche Fantasiewelten ist. Die Artisten Anton (Andrew Garfield), Percy (Verne Troyer) und Valentina leiden aufgrund des ausbleibenden Publikums unter ständiger Geldnot. Der Doktor selbst ertränkt den Kummer über seine Unsterblichkeit im Alkohol. Kurz vor Valentinas 16. Geburtstag taucht plötzlich Mr. Nick auf und erinnert Parnassus an die bevorstehende Wetteinlösung. Dieser lässt sich voller Verzweiflung auf eine weitere Wette ein, um seine Tochter zu retten: Wer zuerst fünf Seelen gewinnt, entscheidet über Valentinas Schicksal. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Dabei mischt auch der undurchschaubare Tony mit, dem die Artisten das Leben gerettet haben. Der Fremde schließt sich der Truppe an und bringt durch innovative Ideen wieder Geld in die leere Kasse. Dass er sich dabei in Valentina verliebt, ist das einzig Vorhersehbare an der Geschichte.
Gerade die Figur des Tony macht das Fantasy-Abenteuer faszinierend. Ursprünglich sollte Heath Ledger die Rolle alleine spielen. Nach seinem Tod wurde der verbleibende Leerraum von Jude Law, Colin Farrell und Johnny Depp ersetzt, die Tony zu einem mysteriösen Charakter verwandeln, der im Laufe der Geschichte immer undurchschaubarer wird.
Auch die Ausflüge in den Zauberspiegel sind sehenswert – surreale und bizarre Traumwelten. Die Mode-Liebhaberin findet sich in einer bunten Glitzerwelt aus schicken Schuhen wieder, das Kind jubelt über ein Universum aus Süßigkeiten, der Ehrgeizling klettert Leitern bis in die Wolken hinauf. So aufregend die bunte Welt hinter dem Spiegel anzusehen ist, so verwirrend gestaltet sich teilweise allerdings auch die Handlung. Durch schnelle Schnitte, häufige Wechsel zwischen Hell und Dunkel sowie zwischen den Orten fühlt man sich als Zuschauer gegen Ende des Films zwischen realistischer Fantasiewelt und abgefahrener Wirklichkeit gefangen. Langsam verliert man auch den Blick dafür, welche Wetten und welche Figuren letztlich über Valentinas Schicksal entscheiden. Zur Ruhe kommt das aufwühlende Erlebnis erst nach 122 Minuten durch sein kitschiges Ende – doch über dieses ist nach einer so mitreißenden Reise durch die inszenierte Ungewissheit leicht hinwegzusehen.
Szenenbilder findet ihr oben in der Galerie.
Katrin Riedl
Weitere aktuelle Film-Besprechungen:
+ Saw VI
+ District 9
+ Final Destination 4