Darkthrone: Reise ins Ungewisse (Interview)

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Wenig Black Metal-Bands der zweiten Welle sind derart produktiv wie DARKTHRONE. Und noch weniger verstehen es so gut, ihren über die Jahre etablierten Stil immer wieder in mit neuen Nuancen aufzufrischen umsetzen. Sänger NOCTURNO CULTO alias Ted Skjellum erklärt, warum sich die Norweger stilistisch nicht festlegen wollen und warum es sie keine Skrupel haben, gibt, im Zweifel radikal mit Erwartungen zu brechen.

METAL HAMMER: Ted, der Titel IT BECKONS US ALL ist dem Iron Maiden-Song ‘Children Of The Damned’ (THE NUMBER OF THE BEAST, 1982) entnommen. Welche Verbindung haben Darkthrone zu dem Lied und der Band?

Nocturno Culto: Darüber kann ich nichts sagen. Den Albumtitel hat Fenriz festgelegt. Für mich persönlich hat der Name keine Verbindung zu Iron Maiden. Und normalerweise kommentieren wir Titel oder Lyrics ohnehin nicht.

MH: Darf ich einen Erklärungsversuch wagen?

NC: Bitte.

Darkthrone_Nocturno Culto_It Beckons Us All
Nocturno Culto (Quelle: Peaceville Records)

MH: Wie Darkthrone haben auch Iron Maiden mehrere stilistische Phasen in ihrer Karriere durchlaufen. SOULSIDE JOURNEY (1991) gilt als lupenreines Death Metal-Album, mit A BLAZE IN THE NORTHERN SKY (1992) seid ihr zu Vorreitern des Black Metal geworden, später habt ihr euch vermehrt dem Punk gewidmet…

NC: A BLAZE IN THE NORTHERN SKY ist kein Black Metal-Album. Der Ruf haftet ihm lediglich an. Tatsächlich führt es unterschiedliche Genres zusammen. Das haben Darkthrone seit Beginn getan. Und das war stets eine unserer größten Stärken. Wir haben uns stilistische nie in Ketten legen und uns auf eine Spielart festnageln lassen. Dadurch fühle ich mich frei – und das gefällt mir (lacht).

„A BLAZE IN THE NORTHERN SKY ist kein Black Metal-Album.” – Nocturno Culto

Darkthrone sind keine Black Metal-Band

MH: Angesichts der Tatsache, dass A BLAZE IN THE NORTHERN SKY gemeinhin als Blaupause für den Black Metal der zweiten Welle gilt, ist die Behauptung, es sei kein Black Metal-Album, ziemlich kühn.

NC: Natürlich entspricht das Album den grundsätzlichen Merkmalen von Black Metal im Hinblick auf das Cover, die Begleitfotos, die Musik und natürlich die Produktion. Diese Elemente sind allesamt sehr genretypisch. Ursprünglich hatten wir allerdings nur drei oder vier Songs und planten, sie als Mini-Album veröffentlichen.

MH: Aber ihr habt euch bekanntermaßen dagegen entschieden.

NC: Glücklicherweise. Es gibt nicht viele Mini-Alben, an die man sich heute erinnert.

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MH: Womit habt ihr den Rest aufgefüllt?

NC: Wir hatten zu der Zeit bereits an GOATLORD (1996, in Arbeit seit 1991 – Anm.d.A.) gearbeitet. Aber wir gingen nie ins Studio, um unsere Songideen aufzunehmen. Also sind einige Riffs, die ursprünglich für dieses Album gedacht waren, auf A BLAZE IN THE NORTHERN SKY gelandet. Nicht viele, aber ein paar. Deshalb ist es kein Black Metal-Album im klassischen Sinn, denn GOATLORD orientiert sich noch deutlich an unseren Death Metal-Wurzeln und ist zudem vom Doom Metal beeinflusst. Mir ist bewusst, dass das eine sehr kontroverse Sichtweise für diejenigen ist, die uns als Black Metal-Band verstehen wollen. Aber es zeigt, dass wir schon immer so wandelbar waren. Manche Alben sind schlicht schwärzer, andere Death Metal-lastiger.

Stilistische Ausflüge

MH: Euren letzten Alben – darunter auch IT BECKONS US ALL – merkt man jedenfalls eine deutliche Hinwendung zum Heavy Metal und Doom Metal an.

NC: Das stimmt. Es gibt Doom Metal-Riffs auf IT BECKONS US ALL, aber genauso Heavy Metal-Einsprengsel. Doch es ist genauso Black Metal- und Thrash Metal-inspiriert. Fenriz und ich schreiben Songs in komplett unterschiedlichen Weisen. Er setzt die Kompositionen in seinem Kopf zusammen, nimmt vielleicht 70 Riffs auf und formt daraus eine Idee.

MH: Und du?

NC: Ich arbeite traditioneller. Für mich muss jedes Riff durchdacht sein und im Gesamtkontext betrachtet werden. Viele meiner Ideen entstehen im Studio. Das geht dort manchmal ziemlich hektisch zu. In den ersten Tagen der Aufnahmen zu IT BECKONS US ALL gab es keine Ruhephasen. Manche Bands nehmen sich mehr Zeit, aber wir arbeiten besser unter diesem Zeitdruck.

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MH: Ist möglicherweise Fenriz’ Tätigkeit bei Coffin Storm verantwortlich für die größere Nähe zum Doom Metal?

NC: Das denke ich nicht. Er ist in diesem Projekt seit Jahren (2020 – Anm.d.A.) involviert. Das hat aber keinen Einfluss auf Darkthrone.

MH: Wann haben die Aufnahmen an IT BECKONS US ALL begonnen?

NC: Vor ziemlich genau einem Jahr gingen wir ins Studio. Mit dem Schreiben von IT BECKONS US ALL haben wir etwa vor 18 Monaten begonnen. Aber es juckt uns bereits jetzt schon wieder in den Fingern, neue Musik aufzunehmen. Wir wissen noch nicht, in welche Richtung es gehen wird. Es wird auf jeden Fall Metal (lacht).

MH: Mit anderen Worten: Das nächste Album könnte ganz anders werden als IT BECKONS US ALL?

NC: Das ist möglich. Ich habe vor ein paar Tagen darüber nachgedacht und hatte ein paar Metal-Riffs und Drums im Kopf. Auch für mich wird der Entstehungsprozess interessant. Jedes Mal, wenn wir ein neues Album machen, ist das eine Reise ins Ungewisse. Oft denke ich: Kann ich dieses oder jenes wirklich tun? Aber bisher ist immer gutes Zeug dabei herumgekommen (grinst).

„Jedes Mal, wenn wir ein neues Album machen, ist das eine Reise ins Ungewisse.” – Nocturno Culto

Keine Kompromisse

MH: Ich hätte nicht erwartet, dass Darkthrone eine Band ist, die in puncto Kreativität an sich zweifelt.

NC: Wenn wir ein neues Album in Angriff nehmen, stöpseln wir unsere Instrumente ein und fangen an zu spielen – fertig. Das fühlt sich großartig an. Wenn es um Riffs geht, habe ich keine Angst vor dem Experimentieren. Ich liebe es, traditionellen Heavy Metal auf Gitarre zu spielen. Aber nichts toppt das Gefühl, die Freiheit zu haben, alles zu tun, was man möchte. Und offensichtlich kommen wir immer wieder mit dieser Einstellung durch. Ich weiß, dass es eine Menge Leute gibt, die gerne True Norwegian Black Metal von uns hören würden. Aber das würde mich langweilen. Ich liebe Black Metal. Zwischen dieser Phase und den Darkthrone von heute sind jedoch Jahrzehnte vergangen.

MH: Es ist immerhin der Stil, mit dem ihr bekannt geworden seid.

NC: Aber aus welchem Grund sollten wir das noch einmal wiederholen? Wir werden kein zweites UNDER A FUNERAL MOON (1993 – Anm.d.A.) aufnehmen. Das und A BLAZE IN THE NORTHERN SKY waren natürlich Alben, die uns zu dem gemacht haben, was Darkthrone heute sind. Doch das ist zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort passiert. Das noch einmal exakt so zu wiederholen, ist unmöglich.

Darkthrone_Nocturno Culto_Fenriz_It Beckons Us All
Darkthrone in klassischer Band-Pose. (Quelle: Peaceville Records)

MH: Ist das Kapitel Black Metal damit für euch abgeschlossen?

NC: Das würde ich nicht sagen. Diese Tür steht uns zu jedem Zeitpunkt offen. Wenn es sich natürlich anfühlt, klassischen Black Metal zu spielen, dann werden wir das tun. Wir legen uns keine Restriktionen auf. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.

Vom Proberaum zum nächsten Experiment

MH: Zumindest der rumpelige Sound euerer Alben ist auch auf IT BECKONS US ALL geblieben. Es wird behauptet, Darkthrone würden einmal im Jahr das Aufnahmegerät bei Bandproben mitlaufen lassen und das Ergebnis veröffentlichen. Ist da was dran?

NC: Das habe ich vermutlich zur Zeit von THE CULT IS ALIVE (2006 – Anm.d.A.) das erste Mal gehört. Wir haben das Album damals in unserem eigenen Studio aufgenommen. Uns ist das Sound-Design äußerst wichtig. Stell dir ein Gemälde vor: Das Bild verfügt über einen Rahmen. Natürlich kannst man den einfachsten Weg gehen und einen unästhetischen Plastikrahmen verwenden. Die meisten Musiker verlassen sich auf einen einheitlichen Sound-Rahmen, vieles klingt schlicht zu sauber – langweilig – dabei will man doch Menschen mit seinem Schaffen in die eigene Welt entführen. Selbst heute werfen uns manche noch vor, wir würden wie auf einem Demo-Band klingen. Offenbar haben sie keine Ahnung, wie Demos in den Neunzigern klangen – nämlich ziemlich beschissen. Unser Sound kreiert dagegen eine Atmosphäre. Das ist es, was uns wichtig ist. Und ich wünschte, andere Bands würden in dieser Hinsicht mutiger sein.

„Die meisten Musiker verlassen sich auf einen einheitlichen Sound-Rahmen, vieles klingt schlicht zu sauber – langweilig – dabei will man doch Menschen mit seinem Schaffen in die eigene Welt entführen.” – Nocturno Culto

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MH: Rekalibrieren Darkthrone deshalb mit jedem Album ihren Stil?

NC: Es liegt einfach nicht in unserer Natur, immer dasselbe zu tun. Wir tragen noch eine Menge Musik in uns. Doch wir wissen nicht, wohin die nächste Reise führt. Ich habe zu Fenriz vor ein paar Jahren gesagt: ‘Warte ab, eines Tages enden wir als traditionelle Heavy Metal-Band’. Er grinste nur und antwortete: ‘Das sage ich dir bereits seit Jahren’.

MH: Verstehen sich Darkthrone noch als eine Black Metal-Band?

NC: Selbst als wir unsere Punk-Phase hatten, gab es immer noch einen Black Metal-Kern in unserer Musik. Der ist nie vollständig verschwunden. Es ist wie bei Obituarys SLOWLY WE ROT (1988 – Anm.d.A.), auch in dem Album kann ich Black Metal-Riffs erkennen. Ich denke, Darkthrone sind schlicht eine Metal-Band.

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