„Do you remember when things seemed so eternal? Heroes seemed so real, their magic frozen in time.” So lautet der Beginn des zweiten Verses von ‘Symbolic’ aus der Feder von Death-Frontmann Chuck Schuldiner. 1995 schrieb er diese Zeilen, die heute viel eher als damals schmerzlich nachklingen. An diesem Tag wenden wir die Worte auf ihn selbst an, einen wegbereitenden Künstler, der das todesmetallische Musik-Genre maßgeblich prägte. Wir erinnern an das „magische“ Erbe Chuck Schuldiners, das auf ewig in der Zeit gefriert.
Zur Information: Die Zwischenüberschriften leiten hier keinen inhaltlichen Kontext ein, sondern markieren chronologisch prominente Stücke von Death.
Infernal Death
Als zu Beginn der Achtziger Jahre die Pforten des Extreme Metal gewaltsam eingetreten wurden, bestand kein Zweifel an einer glorreichen Zukunft des vorherrschenden Thrash-Subgenres. Die San Francisco Bay Area boomte, Bands wie Exodus, Metallica oder Death Angel revolutionierten das, was bislang viel zu umfassend als Heavy Metal bezeichnet wurde. Während das öffentliche Augenmerk auf den Thrashern lag, die sich zahlreich vermehrten, gründete 1983 der damals 16-jährige Chuck Schuldiner mit Rick Rozz und Kam Lee die Gruppe Mantas.
Schuldiner, der zwar von Gesang nicht viel wusste, allerdings Ahnung hatte, wie eine Gitarre zu halten ist, benannte die Band ein Jahr nach ihrer Gründung in Death um, um damit an seinen verstorbenen Bruder zu erinnern, dessen Tod Schuldiner zum Musikmachen animiert hatte. Nachdem es mit Lee am Mikrofon nicht funktionierte, übernahm Schuldiner selbst den Part des Frontmanns. Dem chaotischen Geschepper hauchte er gutturale Klänge und dynamische Melodien ein – und der Sound von Death war geboren.
Pull The Plug
Anfängliche Schwierigkeiten innerhalb der Band verzögerten erste Veröffentlichungen und den großen Durchbruch. Auch heute lässt sich noch darüber streiten, ob die Geburtsstunde von Death gleichzeitig die Geburtsstunde des Death Metal allgemein markiert. Genau genommen kamen Possessed (neben Gruppen wie Morbid Angel, Slaughter et cetera) Death zuvor, denen nachgesagt wird, den Begriff „Death Metal“ aufgrund ihres gleichnamigen 1984 erschienenen Demos geprägt zu haben.
Trotz mühsamen Gedeihens zählen Death heute zu den Urvätern des kompromisslosen Genres, das sich Sound-mäßig, inhaltlich und bildsprachlich über ziemlich jede bis dahin bestehende Grenze hinwegsetzte. 1985 war Schuldiner das einzige verbliebene Gründungsmitglied von Death. Der ständige Besetzungswechsel sorgte jedoch mit jeder musikalischen Erscheinung für einzigartigen und bleibenden Eindruck. Und das zu solchem Ausmaß, dass SCREAM BLOODY GORE (1987) und LEPROSY (1988) nun als frühe Meilensteine der Musikrichtung bezeichnet werden. Der große Erfolg der Gruppe kam jedoch erst 1990 mit SPIRITUAL HEALING.
Genetic Reconstruction
Auf dem musikalischen Pfad wichen Death ab von schierer Brutalität hin zu zunehmender technischer Komplexität. Von den im Genre üblichen Splatter- und Gore-Inhalten blieb textlich wenig übrig. Viel eher wandten sich die Todesmetaller politik-, religions- und gesellschaftskritischen Themen zu. Sie schlugen eine zunehmend melodische Richtung ein und erweiterten durch komplexes Riffing und dynamische Gitarrensoli die bislang bestimmte Sphäre des Death Metal.
Nach erneuten Besetzungswechseln und temporären Unterbrechungen der Band definierten HUMAN (1991), INDIVIDUAL THOUGHT PATTERNS (1993) und SYMBOLIC (1995) den neuen, progressiveren Stil von Death. Zwischenzeitlich trat Chuck Schuldiner dem Thrash-Projekt Voodoocult bei und wirkte an der Veröffentlichung von JESUS KILLING MACHINE (1994) mit. Doch schon nach dem Release des weltweit erfolgreichen SYMBOLIC kam es zum nächsten Line-up-Wechsel. Drei Jahre dauerte es bis zum neuen Band-Gefüge, das danach mit dem Release von THE SOUND OF PERSEVERANCE gefeiert wurde. Die großartige, 1998 erschienene Platte sollte leider die letzte in der Death-Konstellation sein.
Flesh And The Power It Holds
Schuldiners innovative Art des Gitarrenspiels sollte sich stattdessen bei seinem 1996 gegründeten Projekt Control Denied weiterentwickeln. Hier wandet sich Schuldiner vom Death Metal ab und veröffentlichte an der Seite von Steve DiGiorgio, Richard Christy, Shannon Hamm und Tim Aymar die Progressive-Platte THE FRAGILE ART OF EXISTENCE (1999). Kurz vor deren Release wurde bei Schuldiner ein Gehirntumor diagnostiziert, die geplante Control Denied-Tournee durch Nordamerika fand nicht mehr statt. Eine dringend notwendige Operation konnte er sich aufgrund einer fehlenden Krankenversicherung zunächst nicht leisten. Im November 2011 erkrankte der nach Operation und Chemotherapie geschwächte Musiker zusätzlich an einer Lungenentzündung, an deren Folgen er am 13. Dezember 2001 verstarb. (Sarah Angeli)
Wertschau: Reise mit Ziel
Band-Chef Chuck Schuldiner war nie daran interessiert, sich in den funkelnden Augen der Epigonen zu sonnen. Sein Weg führte ihn mit immer neuen Mitgliedern immer tiefer in die Mysterien musikalischer Perfektion, mal irrend, mal inspirierend – bis zu seinem viel zu frühen Tod vor ziemlich genau zwanzig Jahren. Wir wagen einen Besuch bei den Stationen seiner Reise und werfen einen ganz subjektiven Blick darauf, was aus der Vergangenheit bis heute die größte Strahlkraft bewahrt hat.
Die komplette Death-Wertschau findet ihr in der METAL HAMMER-Januarausgabe 2021, erhältlich am Kiosk oder indem ihr das Heft bequem nach Hause bestellt. Noch einfacher und günstiger geht’s im Abo!
***
Bleib du Zuhause, wir kommen zu dir! Keine METAL HAMMER-Ausgabe verpassen, aber nicht zum Kiosk müssen: 3 Hefte zum Sonderpreis im Spezial-Abo für nur 9,95 €: www.metal-hammer.de/spezialabo
Ladet euch die aktuelle Ausgabe ganz einfach als PDF herunter: www.metal-hammer.de/epaper
Du willst METAL HAMMER lesen, aber kein Abo abschließen? Kein Problem! Die aktuelle Ausgabe portofrei nach Hause bestellen: www.metal-hammer.de/heftbestellung
***
Goldwert
HUMAN (1991)
Wenn ich mich festlegen müsste, wäre glaube ich HUMAN für mich das absolut beste Death-Album. Mit seinem „Chuck plus die Jungs von Cynic“-Line-up manifestiert es die Wasserscheide zwischen brutalem Death Metal und Prog/Tech Death: zu gleichen Teilen Vitriol und Virtuosität, mit einer unfassbaren Menge großartiger Songs, jeder für sich einzigartig: vom Opener ‘Flattening Of Emotions’ über ‘Suicide Machine’ mit seinen frenetischen Riff-Spiralen bis hin zum melodisch zugänglichen ‘Lack Of Comprehension’. Einen großen Anteil am Erfolg hat Drummer Sean Reinert, der dem brutalen Geschehen eine jazzige Lässigkeit verleiht und die immerwährenden Übergänge zwischen Riff-Attacken, Soloduellen und einpeitschenden Refrains so subtil wie souverän leitet. HUMAN ist gerade mal 34 Minuten lang, enthält aber mehr geniale Momente als die Karriere der meisten OSDM-Bands. Definitiv eines der besten und wichtigsten Death Metal-Alben aller Zeiten.
Lobenswert
INDIVIDUAL THOUGHT PATTERNS (1993)
Man kann sicher ganze Abende mit Diskussionen darüber verbringen, welches nun das beste Death-Line-up war. Auf INDIVIDUAL THOUGHT PATTERNS erleben wir Chuck zusammen mit Drummer Gene Hoglan, Steve DiGiorgio am Bass und Andy LaRocque an der Lead-Gitarre – für mich klar der FC Bayern unter den Death-Inkarnationen. Wenn reine Mucker-Credits zählen würden, wäre dies hier mit seiner technisch vollkommenen Musikalität unbezwingbar, aber darin nimmt es auch ein Problem des Tech Death vorweg: Nicht immer ist mehr als der reine Selbstzweck erkennbar. Es gibt absolut sensationelle Songs auf INDIVIDUAL THOUGHT PATTERNS (‘The Philosopher’, ‘Trapped In A Corner’), aber auch jede Menge „Na ja“-Material (‘Overactive Imagination’, ‘Jealousy’).
Erwähnenswert
THE SOUND OF PERSEVERANCE (1998)
Das Ziel der Reise von Death war nicht dieses Werk, sondern, so tragisch das im Nachhinein klingt, die Überwindung von Death: Mit Control Denied hatte Chuck zu jener Zeit ein zweites Standbein aufgebaut, bei dem er seine traditionellen Prog-Vorlieben ohne den todesschweren Ballast von Death artikulieren wollte. THE SOUND OF PERSEVERANCE, der Klang des Durchhaltewillens, ist genau das nicht, es sollte ursprünglich das Debüt von Control Denied sein und steht damit buchstäblich zwischen den Stühlen: Death, Prog, Power Metal – kann das gutgehen? Technisch vorzüglich, aber irgendwie weder Fisch noch Fleisch. Chucks Gesang ist die Brücke zwischen Death-Growls und Prog-Strahlkraft, über die keiner gehen sollte, und das abschließende ‘Painkiller’-Cover sagt eigentlich alles: Es ist gut, aber erstmals überhaupt in Deaths Laufbahn maximal zweite Liga. (Robert Müller)
Die komplette Death-Wertschau findet ihr in der METAL HAMMER-Januarausgabe 2021, erhältlich am Kiosk oder indem ihr das Heft bequem nach Hause bestellt. Noch einfacher und günstiger geht’s im Abo!