In den späten Achtziger Jahren befand sich der Death Metal noch in seiner Anfangsphase. Zu jenem Zeitpunkt erforderte es einen wagemutigen Vorstoß seitens eines Platten-Labels, um Ressourcen in eine Band zu investieren, deren klangliche Vision so leidenschaftlich und zugleich verstörend war. Glücklicherweise hatte Chris Barnes, der einstige Cannibal Corpse-Frontmann, während seiner Arbeit in einem örtlichen Plattenladen wertvolle Kontakte geknüpft. Diese ermöglichten es seiner Band, mit Brian Slagel und seinem hochgeschätzten Label Metal Blade in Kontakt zu treten. So sicherten sich Cannibal Corpse bereits 1989 einen Vertrag und blieben dem Label bis heute treu. Inzwischen haben sie 16 Alben über Metal Blade veröffentlicht, darunter auch ihr viertes Werk THE BLEEDING, das heute 30 Jahre alt wird.
Besser verständlich
Im Jahr 1994 befanden sich Cannibal Corpse in einer besonderen Lage. Die Gruppe hatte zuvor einige der brutalsten Death Metal-Platten herausgebracht. Dazu zählen EATEN BACK TO LIFE (1990), BUTCHERED AT BIRTH (1991) und TOMB OF THE MUTILATED (1992). Mit ihrem teuflischen Sound, dem brachialen, gutturalen Gesang und ihren kontroversen Texten hatten sie die Welt gleichermaßen schockiert und fasziniert. Doch für ihr viertes Album entschieden sie sich für einen etwas anderen Ansatz.
Die unverfälschte Brutalität blieb natürlich bestehen. Doch die Songs auf THE BLEEDING offenbaren eine gewisse Raffinesse und Nuance, die in ihren Vorgängerwerken nicht zu finden war. Die Arrangements sind komplexer geworden, die Produktion heller und vielfältiger. Im Mittelpunkt steht die Gitarrenarbeit, begleitet von eingängigen Melodien und gelegentlichen Groove-Elementen. Statt ständig auf maximalem Tempo zu spielen, ergänzen sich die Instrumente und schaffen eine Vielschichtigkeit und Tiefe.
Tiefgründigere Texte
Auch haben die Herren ihre Lyrics für das neue Werk etwas angepasst: Trotz ihrer weiterhin umstrittenen Natur vertieften sie sich in die Thematik und legten dafür einen stärkeren Fokus auf die Psyche und Psychologie des Horrors. In ‘She Was Asking For It’ spricht Barnes beispielsweise über den Schrecken, sich an die Nacht zu erinnern, in der seine damalige Freundin starb. Die düstere Erinnerung verwandelt sich während des Songs in tiefe Schuldgefühle, als sich unerwartet herausstellt, dass er selbst für ihren Tod verantwortlich ist.
Gesungen werden die Texte diesmal von einem etwas „sanfteren“ Barnes. Denn THE BLEEDING war der Moment, in dem er sich entschied, dass seine Stimme verständlich(er) sein sollte. Deshalb milderte der Frontmann seinen bestialischen, tiefen Gesangsstil etwas ab, so dass man das Gesungene wirklich verstehen kann. Dadurch verlor die Formation aber keineswegs an Brutalität. Darüber hinaus hebt sich das Album deutlich von den anderen Cannibal Corpse-Werken der Barnes-Ära ab, die nach diesem zu Ende ging.
Neues Mitglied für Cannibal Corpse
Ein Jahr nach der Veröffentlichung von THE BLEEDING gingen der Vokalist und die Truppe getrennte Wege. Genauer gesagt trennten sie sich während den Aufnahmen für das nächste Album VILE im Jahr 1995. Als offizieller Trennungsgrund wurden zunächst persönliche Differenzen genannt. Doch in einem späteren Interview mit ‘The Chainsaw Symphony’ erläutert Barnes die Hintergründe seines Ausstiegs. „Ich verbrachte einfach nicht gerne Zeit mit ihnen. Sie machten sich über mich lustig. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, im gleichen Raum mit Leuten zu sein, die nicht nett zu mir sind. Ich war auch ein Teil davon und wir hatten unsere eigenen Differenzen. Ganz ehrlich, ich dachte nicht, wir könnten uns zusammenraufen. Gegenseitiger Respekt ist der Schlüssel zum Erfolg, wenn man Zeit mit anderen Menschen in engen Räumen verbringen muss.“
Nach der Trennung begann der ehemalige Bandchef sofort, Platten unter dem Namen Six Feet Under zu veröffentlichen. Er ist bis heute in dieser Band aktiv. Für die Finalisierung von VILE (1996) holten sich Cannibal Corpse hingegen den ehemaligen Monstrosity-Sänger George „Corpsegrinder“ Fisher in ihr Team. Auch wenn es hin und wieder Beschwerden von enttäuschten Barnes-Fans gab, wurde Fisher schnell von Cannibal Corpse-Anhängern akzeptiert. Dies lag nicht zuletzt daran, dass VILE ein äußerst kraftvolles und unerbittliches Album geworden ist, das die Talente der Gruppe auf überzeugende Weise zur Geltung bringt.
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