Callejon-Interview zum Album VIDEODROM

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METAL HAMMER: Was ist zwischen euren beiden Alben ZOMBIEACTIONHAUPTQUARTIER und VIDEODROM für euch als Band passiert?

Bernhard: Es ist ja gar nicht so lange her, dass wir mit ZOMBIEACTIONHAUPTQUARTIER im Studio waren, aber es kommt uns vor wie eine Ewigkeit. Es ist seitdem so viel passiert, wir haben viel gespielt, viel erlebt und viele Erfahrungen mitgenommen, positive wie negative. Vom Ablauf her war das Songwriting eigentlich ähnlich wie beim letzten Mal, aber ich denke, wir haben viel dazu gelernt in Bezug darauf, unsere Ideen songdienlicher zu realisieren und bestimmte Stimmungen und inhaltliche Aspekte konsequent umsetzen.

Was die Produktion selber angeht wussten wir diesmal, dass sich auch das fetteste Studio nicht mit genügend Zeit und extremem Arbeitsaufwand aufwiegen lässt, deshalb haben wir die Gewichtung ganz klar auf Letzteres gelegt, um jedem Detail genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Im Endeffekt kann man zwar sowieso nie das perfekte Album machen, selbst wenn man zwei Jahre daran sitzen würde, aber wir sind extrem zufrieden mit dem Ergebnis.

METAL HAMMER: VIDEODROM zeigt eine Band, die enorme stilistische Bandbreite zu bieten hat und daraus ein stimmiges Gemisch gebraut hat. Seid ihr mit diesem Album erwachsen geworden?

Bernhard: Auf jeden Fall! Das neue Album ist das ernsteste und reifste, auch das schnörkelloseste und absoluteste, das wir veröffentlicht haben. Ob es letztendlich besser oder schlechter ist als andere Releases von uns, kann ich nicht entscheiden, aber für mich persönlich ist es definitiv das befriedigendste von allen Alben bis dato. Diese Ernsthaftigkeit, die in den Songs durchscheint, ist sicherlich auf die Erfahrungen zurückzuführen, die wir in der Zeit seit ZOMBIEACTIONHAUPTQUARTIER gesammelt haben – als Menschen und als Band.

METAL HAMMER: Das spanische Wort für Sackgasse gab Callejon seinen Namen. Passt der denn noch? Für euch scheint es doch momentan ganz gut zu laufen…

Bernhard: Absolut, für Callejon ging es in letzter Zeit steil bergauf. Aber dass dieser Weg auch immer steinig und anstrengend ist, haben wir diesmal stärker erfahren müssen als jemals zuvor. Je besser es für die Band läuft, umso mehr Zeit verschlingt sie auch, und weil wir unser ganzes Herzblut in dieses Projekt stecken und alles so gut machen wollen, wie es uns möglich ist, laugt einen das extrem aus.

Wenn man wegen seiner Band keine Zeit hat, seinen Job zu machen, Geld zu verdienen, sein Studium zu verfolgen, seine Freundin, Familie usw. zu sehen, und dann am Ende des Monats jeden Groschen für die nächste Miete zusammenkratzen muss, ist die „Sackgassentheorie“ wirklicher als man sich das wünscht. Die Außenwirkung ist dann sehr oft: „Die sind auf ’nem großen Label und fahren Touren, die machen doch garantiert einen Haufen Asche“, aber im Endeffekt reicht es halt einfach nicht.

Aber ich sage das ohne Bitterkeit, denn auch wenn wir extrem kämpfen mussten, hat es uns auch gezeigt, was uns diese Band wert ist. Nur wer wieder aufsteht, wenn er sich das Knie aufgeschürft hat, kann irgendwann ohne Stützräder fahren.

METAL HAMMER: Aus welchem Grund macht ihr eigentlich Musik?

Bernhard: Weil wir keinen Bock haben auf diesen monotonen Alltagsablauf. Musik zu machen ist für uns ein existenzielles Grundbedürfnis, ein klarer Gegenentwurf zu einem Leben, das von Karriere und einförmigen Abläufen bestimmt ist. Aber man kommt leider nicht drum herum, sich um vieles zu kümmern, das einen „Job-Charakter“ hat. Letztendlich wissen wir aber genau, wofür wir das tun, und wir sind sehr glücklich darüber, die Möglichkeit zu haben, Alben aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Ich weiß nicht, was ich sonst machen würde, um nicht verrückt zu werden.

METAL HAMMER: Generell scheint ihr von der Zombie-Thematik des Vorgängers ein wenig Abstand zu nehmen auf VIDEODROM – optisch wie inhaltlich. Wolltet ihr vermeiden, für immer in der Schublade „ach, diese Zombie-Band“ zu landen?

Bernhard: Diese Zombie-Geschichte haben wir ja vor ZOMBIEACTIONHAUPTQUARTIER auch nicht gemacht, und uns war von Anfang an klar, dass das auch eine einmalige Sache bleiben wird. Es hat als Aufhänger für das Album sehr gut funktioniert und wir hatten vorher schon länger überlegt, uns diese Thematik mal vorzunehmen. Aber selbst auf dem Album drehte sich ja nicht jeder Song um Zombies. Wahrscheinlich hat es auf manche Leute, die uns erst mit der Platte kennen gelernt haben, so gewirkt, als ob wir tatsächlich so was wie eine „Zombie-Band“ sind, aber das wäre uns thematisch auf Dauer einfach zu einengend.

METAL HAMMER: In der Metal-Szene musstet ihr auch Prügel einstecken – zum Beispiel als ihr fürs letztjährige Wacken bestätigt wurdet. Wie war euer Auftritt dort? Seht ihr euch als Fremdkörper in dieser „Szene“?

Bernhard: Der Auftritt dort war unglaublich für uns. Wir hätten nie gedacht, dass uns so viele Leute auf DEM Metal-Festival schlechthin sehen wollen. Sogar als uns die Bühnen-Crew mitten im letzten Song den Saft abgedreht hat, weil wir eine Minute überzogen haben, haben die Leute vor der Bühne den Song weiter gesungen.

Abseits davon spüren wir natürlich von manchen Leuten in der „Szene“ Gegenwind, aber wir sind ja nun mal auch keine reine Metal-Band mit langen Haaren und Kutte. Unsere Musik beinhaltet einen gewissen Anteil an Metal, aber eben auch andere Stilrichtungen. Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung unseres Publikums, da findet man das ganze Spektrum vom Emo-Kid über Hardcore-Fans bis zum Kuttenmetaller, oder auch einfach Leute, die nichts davon sind. Und genau dieses Zusammengewürfelte macht für uns den Reiz aus, denn wir haben uns noch nie irgendeiner Szene verschrieben. Wir machen die Musik, die wir machen, und wenn die Leute sich das anhören und damit etwas anfangen können, ist für uns gleichgültig, welchem „Lager“ sie angehören.

METAL HAMMER: In „Dieses Lied macht betroffen“ fordert ihr mehr Engagement der Jugend. Wird unsere Gesellschaft immer unpolitischer, gleichgültiger?

Bernhard: Das wird sie. Leider manifestiert sich das immer stärker. Wir verstehen uns nicht als politische Band, aber als kritische Individuen haben wir natürlich zu vielen Dingen eine Meinung, auch zu solchen, die im weitesten Sinne politisch sind.

Youporn, DSDS und Fußball-WM können nicht die einzigen Antworten sein, die wir auf eine Welt haben, in der täglich Menschen in bewaffneten Konflikten, an Hunger oder Aids sterben, in der die Regierungen sich von Konzernen bevormunden lassen, die nach reiner Profitgier handeln, und in der selbst in angeblich emanzipierten Industrienationen immer noch Menschen aufgrund von Rasse, Geschlecht oder sozialer Herkunft benachteiligt werden.

Wir haben auch keine Pauschallösung für all diese Probleme, aber die Medienlandschaft tut so, als gäbe es nichts Wichtigeres als reich, berühmt und schön zu sein und teure Handys und dicke Autos zu besitzen. Man vermisst einen kritischen Diskurs innerhalb der breiten Jugendkultur, und das ist keine Sache, die wir so einfach hinnehmen wollen.

Benjamin Foitzik

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