13.12.2016, Hamburg, Barclaycard Arena
Und da ist sie wieder, diese unbändige Vorfreude von rund 16.000 Neffen und Nichten, die in Sprechchören und einer phänomenalen Atmosphäre gipfelt, die in etwa einem vollbesetzten Fußballstadion gleichkommt, das ausschließlich aus Fan-Blocks besteht. Die Böhsen Onkelz sind zurück, beziehen wieder Hallen statt überdimensionierte Rennstrecken und verfrachten damit die Essenz der vergangenen Hockenheimer Monsterevents in hoch komprimierter Form in deutsche Großstädte.
Bevor es ans Eingemachte geht, dürfen sich die Onkelz-Anhänger allerdings zunächst einmal mit dem Support-Act Beasto Blanco auseinandersetzen. Zumindest auf dem Papier fällt bei der Band schnell der Name Calico Cooper, auf der Bühne ist von der Alice Cooper-Tochter aber vorerst nichts zu sehen, als die restlichen vier Herren die Bühne betreten und mit deutlichem Ministry/Rob Zombie-Anstrich die ersten Songs zum Besten geben. Wenig später gibt sich Calico dann aber doch noch die Blöße und… nun ja, entblößt sich eben nach und nach, womit ihre Haupttätigkeit auf der Bühne auch schon recht erschöpfend umschrieben wäre. Am Gesang stellt sich der lasziv tanzende Vamp nämlich größtenteils als wenig talentiert heraus, begnügt sich vornehmlich mit „unterstützenden“ Backing Vocals für Lead-Sänger, Gitarrist und Danzig-Gedächtnis-Kotelettenträger Chuck Garric und versucht zu allem Überfluss noch mit einem mehr oder minder durchschnittlichem „Feed My Frankenstein“-Cover und gezwungenen Showeinlagen nachzuahmen, was Papi schon vor über 25 Jahren glaubhafter vermittelt hat. Mehr als ein gleichgültiger Höflichkeitsapplaus ist bei solch einer Selbstdegradierung nicht drin.
Ganz anders als die Hallenlichter für den Hauptact erlöschen: Eine Spannung zum Zerreißen und ohrenbetäubendes Geschrei während die Vier, die wieder eins sind unter elektrisierenden Blitzen die Bühne betreten. „Gott hat ein Problem“ – die 16.000 Neffen und Nichten in den folgenden knapp zweieinhalb Stunden Böhse Onkelz sicher nicht. Vor allem dann nicht, wenn direkt mit „10 Jahre“ und „Finde die Wahrheit“ nachgelegt wird. Die Barclaycard Arena steht Kopf, singt jede einzelne Songzeile mit voller Inbrunst, reicht ihren Onkelz die Hände, tobt im Pogo vor und hinter dem Wellenbrecher und lässt die Wände – auch dank des druckvollen und sauber austarierten Sounds – vibrieren.
Nicht nur die beispiellose Stimmung wirkt – wie eingangs erwähnt – im Vergleich zum Hockenheimring komprimierter und damit noch einen Deut unmittelbarer, auch die wiedermal monströs anmutende Bühnenkonstruktion bringt das absolute Maximum der hockenheim‘schen Leinwand-Turmbauten und freijustierbaren Scheinwerferbatterien in geknickter Inception-Optik unter die Hallendecke. Mehr Licht und Projektion geht schlicht nicht.
Eigentlich bedarf es bei einem solch überdimensionalen Spektakel dann auch keiner großen Ansagen, dennoch nimmt sich Stephan Weidner die Zeit, vor allem die Songs des aktuellen Langeisens MEMENTO vorzustellen und die besondere Chemie während des Entstehungsprozesses zu betonen – Eine Band auf Augenhöhe, eine Band, die anno 2016 mit einem Lächeln im Gesicht enger denn je zusammensteht, eine Band stark wie nie zuvor, so der Bassist und Chef-Texter. Insgesamt schaffen es sieben Songs aus dem ersten Studioalbum seit nunmehr zwölf Jahren auf die Setlist. „Auf die Freundschaft“ feiert beispielsweise die Onkelz selbst aber auch das innige Verhältnis zu ihren Neffen und Nichten, „Jeder kriegt was er verdient“ ist ein zynischer Fall fürs Phrasenschwein, „52 Wochen“ besingt eines dieser Jahre, das man am liebsten schnell wieder vergessen würde und „Mach’s dir selbst“ scheint Kevin Russell wie aus der Seele geschrieben zu sein. Gleichmäßig eingeflochten in Klassiker aus – die zwischenzeitige Abstinenz ignorierend – 36 Jahren Onkelz macht das neue Liedgut eine mehr als gute Figur, auch wenn es selbstverständlich lange nicht so viele grölende Stimmen auf sich vereinen kann, wie Gassenhauer der Marke „Lieber stehend sterben“, „Nur die Besten sterben jung“ oder auch die Überhymne „Auf gute Freunde“, die mit einem schmackhaft machenden Gonzo-Solo eingeleitet wird und das reguläre Set triumphal beschließt.
Wohl dem, der dann auch nach rund zwei Stunden noch vier unsterbliche Bandklassiker in petto hat. Da ist es nur bezeichnend für den Abend aber auch die gesamte Laufbahn der Onkelz, wenn die treuen Anhänger „Wir ham‘ noch lange nicht genug“ anstimmen und die Band dabei sogar überstimmen. Nach der formidabel in Szene gesetzten Religions-Hasstirade „Kirche“ darf zum lautstark geforderten „Mexico“ noch einmal so richtig getanzt werden, bevor das epische „Erinnerungen“ wie so oft als perfekter Schlusspunkt und Rausschmeißer fungiert. Kein böses Märchen, sondern ein Abend mit den Onkelz, wie er im Bilderbuche steht.
Mehr von der Tour der Böhsen Onkelz lest ihr im kommenden METAL HAMMER.
Setlist
- Gott hat ein Problem
- 10 Jahre
- Finde die Wahrheit
- Irgendwas für nichts
- Nie wieder
- Gehasst, verdammt, vergöttert
- Auf die Freundschaft
- Schutzgeist der Scheiße
- Lieber stehend sterben
- Nur die Besten sterben jung
- Jeder kriegt was er verdient
- Dunkler Ort
- Wieder mal ’nen Tag verschenkt
- 52 Wochen
- Danke für nichts
- Bomberpilot
- Wo auch immer wir stehen
- Mach’s dir selbst
- Auf gute Freunde
- Wir ham‘ noch lange nicht genug
- Kirche
- Mexico
- Erinnerungen