An einem der heißesten Tage des Jahres lädt Band-Chef Adam „Nergal“ Darski zur Hörprobe in die Berliner Baumhausbar. Gleisender Sonnenschein, gefühlte fünfzig Grad und die an eine finnische Sauna erinnernde Dampfatmosphäre legen nicht gerade nahe, sich in 47 Minuten in Black Metal („Nicht zu lange, dafür umso intensiver!“) zu vertiefen.
Doch es liegt ein Flimmern in der Luft: Was kann das Werk nach dem Schaffenshöhepunkt und Krebsüberwindungsopus THE SATANIST leisten? Wie viel Druck lastete nach der Großtat auf Behemoth?
Der Chef wendet sich gut gelaunt an die geladenen Journalisten: „Es ist famos, an diesem Punkt unserer Karriere zu stehen! Ich fühlte mich unfassbar inspiriert und freue mich, das mit euch zu teilen.
THE SATANIST mag ultimativ gewesen sein: dieses Album wirkt wie ein Neustart.“ So wie das Album bemüht sich auch Nergal an diesem Abend um viel Symbolik und Metaphern: Mit Opus elf wolle er nicht höher springen, sondern weiter nach links und rechts – eben in verschiedene Richtungen. Balance und Emotion als höchstes Ziel; dem Polen geht es nicht (mehr) um Wettbewerb, nicht um „noch technischer“ oder „noch schneller“.
THE SATANIST habe Türen geöffnet – durch diese wolle die Band nun schreiten. Obgleich viele Details wie Produktion und thematische Ausrichtung („Für etwas einstehen, Ehrlichkeit. Herausstechen; aufstehen, wenn alle anderen knien!“) beim Alten geblieben sind, wirkt die musikalische Bandbreite groß: I LOVED YOU AT YOUR DARKEST ist komplex und beim ersten Höreindruck kaum zu fassen. Es wütet epochal und aggressiv; rifft mal virtuos, mal gewollt primitiv; beinhaltet aber auch doomige und sogar progressiv angehauchte Passagen (Nergal: „Ich hasse Prog.“).
🛒 Behemoth – The Satanist jetzt bei Amazon.de bestellenZudem überraschen (bewusst statt inflationär eingesetzte) sakrale Chöre und Kindergesang. Auch Nergals Gesang (ja: Gesang) klingt anders – den Eindruck, er habe Inspiration aus seinem Nebenprojekt Me And That Man gezogen, bestätigt der Pole heftig nickend: „Nach THE SATANIST fühlte ich mich ausgebrannt: Mir war nicht klar, ob noch ein Behemoth-Album folgen würde. Ich suchte Distanz und Freiheit in meinem künstlerischen Ausdruck. Nun geht es mir viel besser – ich spüre so viel Musik in mir, dass mich meine Band-Kollegen stoppen mussten. Das ist ein ganz neues Gefühl, das mich unglaublich beflügelt!“
Inwieweit nach dem russisch angehauchten Vorgänger nun das italienische Lebensgefühl Überhand gewinnt, warum die Gruppe erstmalig kein aus der Bibel entlehntes Schlagwort, sondern ein Jesus-Zitat als Albumtitel gewählt hat und wie Nergal mit den permanenten Anfeindungen umgeht, erfahrt ihr in der METAL HAMMER Oktober-Ausgabe. (Ab 19.9.2018 am Kiosk und günstiger im Abo)
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Die Hörprobe: I LOVED YOU AT YOUR DARKEST
VÖ: 5. Oktober
Solve
2-Minuten-Intro: Eindringliche Kinderstimmen und schwere Gitarren bauen Spannung auf, die nach Entladung in einem kurzen Headbang-Part weiter forciert wird.
Wolves Ov Siberia
Dreiminütiges Spiel mit Verzögerung und losbrechenden Riffstürmen. Setzt gekonnt Wiedererkennungspunkte. Die Gitarre imitiert kurz ein titelbezogenes Aufheulen. Totale Überwältigungstaktik.
God = Dog
Erstes Ausrufezeichen: Basszupfender Beginn, dann kompromissloses Wüten. Aufhorchen lässt sakraler Klargesang und das Aufgreifen des mit Kinderstimmen veredelten Intros.
Ecclesia Diabolica Catholica
Schläge und Verzögerung, Sturmangriff, dann klarer Sprechgesang. Erneute Alternation von Verzögerung und Headbang-Phasen; wieder chorale Gesänge, aber auch spürbare Wut. Ende mit Akustikgitarre.
Bartzabel
Zurück zur zupfenden E-Gitarre, insgesamt langsamer. Dominante Gitarren. Mönchsartige Gesänge – hier im Wechsel mit Nergal. Dazu lange Instrumentalphasen, am Ende Riffs und Ruhe im Wechsel.
If Crucifixtion Was Not Enough
Erzählerischer Midtempo-Track, Einstieg mit Gesang. Später emotionales Wüten und ein Urschrei. Wirkt beim ersten Hören eher unspektakulär, aber eigen.
Angelvs XIII
Einstieg Nergal, dann öffnet sich der Höllenschlund. Nimmt mit surrenden Gitarren Fahrt auf, später tiefe Chöre und Schreie. Pendelt erneut zwischen Verzögerung und Geballer. Endet nach Akustikgitarrenfinale abrupt.
Sabbath Mater
Wohl zugänglichster Song: Langsamer Aufbau mit mächtigen Schlägen. Es folgt eine eingängige Passage mit hellen Chören und Marschtrommeln – könnte live funktionieren, funkt schon beim ersten Hören. Es folgt eine Jam-artige, verspielte Phase, bis bösartiges Wüten jegliche Lebensfreude hinwegbläst. Sehr spannend!
Havohej Pantocrator
Längstes Stück, ebenfalls Höhepunkt-verdächtig: Nach Gitarren und Marschtrommeln wird der Hörer in den Song hineingezogen und erliegt der finsteren Satansanbetung. Wieder das Spiel mit Headbbang- und Ruhephasen – vielfältig und spannend.
ROM 5:8
Schläge, dann mächtig und getragen, bis das Tempo anzieht und ein neuer Sturm aufzieht. Langsamer, aber bedeutungsschwerer Gesang.
We Are The Next 1000 Years
Mit Refrain ausgestattet und deutlich simpler als die Vorstücke. Dafür ziemlich eingängig und mitnickbar – definitiv live-geeignet.
Coagula
Atmosphärisches, sich konstant steigerndes Outro ohne Gesang. Schließt den Kreis zum Intro: „Solve et coagula“ ist eine alchemistische Schlüsselformel („löse und verbinde“). Ende mit Hall.
Fazit: Epochal, komplex, überwältigend – I LOVED YOU AT YOUR DARKEST ist ein tiefschwarzes Spinnennetz voller Glanzpunkte, das zugleich erschlägt und ehrliches Interesse weckt. Anders, aber genial.
Seht hier das von Behemoth veröffentlichte Video zum Berliner Studiotermin:
https://www.facebook.com/behemoth/videos/10155941623562872/