Freitag, 27.06.2008
Halb zehn Uhr morgens ist eine unchristliche Zeit. Erwartungsgemäß gibt sich nur eine überschaubare Gruppe früher Vögel den modernen Heavy Rock der Opener Contracrash. Die sind allerdings mit so viel Spaß und Elan bei der Sache, dass sich schon bald viele Patschehändchen in den Himmel recken und Songs wie ‚Every Fucking Day‘ und ‚Brainwashed‘ artig beklatscht werden. Als Dank feuern die Jungs Präsente in Form von CDs und Shirts in die vorderen Reihen.
Das viele Touren von Tyr in den vergangen Monaten hat sich merklich ausgezahlt. Trotz immer noch früher Stunde versammeln sich im Anschluss etliche Sympathisanten der Färöer vor der Bühne und feiern die komplexen Folk-Hymnen des Quartetts ab. “Hallo Balingen, supergeil“, freut sich da auch Frontmann Heri Joensen, reckt die blanke Brust und schüttelt die blonde Mähne. Schöne Aussichten für alle weiblichen Festivalbesucher.
Agent Steel kommen reichlich hüftsteif rüber – ihre Show erinnert eher an eine Senioren-Butterfahrt als an ein Metal-Konzert. Besonders Sänger Bruce Hall wirkt mit seinen hölzernen Bewegungen immer wieder unbeholfen. Spätestens zu ‘Before You Die’ ist aber endlich das Eis gebrochen und der Applaus wohlwollender. Im Endeffekt eine solide Geschichte, aufregend ist allerdings anders.
Der Preis für den Blitzmerker des Tages geht an Korpiklaanis Sänger Jonne Järvelä. “The sun is fucking shining!“ stellt er fröhlich fest. Und das ist noch untertrieben. Mittlerweile brutzelt es schon so erbarmungslos vom Himmel, dass es selbst auf dem Würstchengrill der Fressmeile gemütlicher wäre. Nichtsdestotrotz zeigen sich die Finnen schweißresistent, tanzen und schunkeln lustig über die Bretter und ernten mit Spaßmachern wie ‚Beer Beer‘ und ‚Tervaskanto‘ die bis dato besten Publikumsreaktionen.
Die Bezeichnung “Teddy“ wäre für Forbiddens Frontvieh Russ Anderson noch schmeichelhaft. “Grizzly“ trifft es schon besser. Eine Runde Sache in gleich zweierlei Hinsicht sozusagen, denn die Bay Area-Thrasher können den von Korpiklaani vorgelegten Stimmungspegel gut halten und servieren mit Brechern a la ‚March Into Fire‘ und ‚Off The Edge‘ gutes Futter für alle Propellerkönige.
Nichts Neues gibt es bei Ensiferum. In nette Finnlandröckchen gekleidet (die eigentlich mehr an Tischdecken, als an Landesfahnen erinnern) und mit ein paar schwarzen Balken im Gesicht spulen die Herren plus Dame routiniert ihre galoppierenden Pagan-Heuler runter. Besonders das jüngere Volk ist angetan, gestandene Metaller sieht man hingegen in Scharen zum nächsten Zapfhahn pilgern.
Peavy “Die Zunge“ Wagner (da kriegt selbst Gene Simmons Angst) hat sichtlich gute Laune. Strahlend und ständig am Glucksen schmettert der Rage-Fronter mit heraushängendem Lappen Zeile um Zeile ins Mikro, während Kollege Victor Smolski nach allen Regeln der Kunst am Bühnengraben post. ‚Under Control‘, ‚No Regrets‘ und ‚Going Down‘ werden vom Publikum ebenso gut aufgenommen wie das abschließende Hit-Medley aus ‚Long Hard Road‘, ‚Higher Than The Sky‘ und dem unvermeidlichen ‚Don’t Fear The Winter‘.
White Lion bleiben leider weit unter ihren Möglichkeiten. Sowohl der Gesang von Mike Tramp, als auch das Zusammenspiel der ganzen Band lassen sehr zu wünschen übrig. Glücklicherweise sprechen aber die alten Gassenhauer für sich – wenn auch bei Songs wie ‚Little Fighter‘ Vito Bratta an der Gitarre der einzig richtige Mann gewesen wäre. Auch die Stücke der neuen Scheibe RETURN OF THE PRIDE kommen ordentlich und schließen stilistisch an die alten Glanztaten an, werden aber nur schal rübergebracht. Es bleibt ein fader Nachgeschmack.
Ganz anders hingegen Great White: Jack Russell und Co verbreiten von der ersten Minute an ausgelassene Sommerpartystimmung. Egal ob älter (‚Face The Day‘, ‚On Your Knees‘, ‚Rock Me‘) oder neuer (‚Back To The Rhythm‘), die Stücke sitzen perfekt, ebenso die sympathischen Ansagen; ein Meer aus klatschenden Händen und lautstarkes Mitsingen sprechen Bände. Den Vogel schießt natürlich ‚Once Bitten Twice Shy‘ ab, zu dem sich das Gelände in einen feiernden Hard Rock-Hexenkessel par excellence verwandelt.
Was hat die neue alte Frischzellenkur Iced Earth doch gut getan. Klar, von Tim “The Ripper“ Owens Rausschmiss kann man halten, was man will, trotzdem ist es Fakt, dass die Band mit Matt Barlow in ihrer Mitte einfach eine ganze Wagenladung mehr Emotionen am Start hat. Gerade die kleinen Fehler und Unsauberheiten von Barlow machen den Unterschied. Und so sieht man nicht Wenige mit feuchten Augen dastehen, als die Amis mächtig die Gefühlskeule schwingen. ‚Dracula‘, ‚The Coming Curse‘, ‚Ten Thousand Strong‘ und selbstredend ganz besonders ‚Melancholy (Holy Martyr)‘ und ‚Iced Earth‘ werden von einem Chor aus Tausenden Kehlen begleitet. Die erste Gänsehaut des Tages…
…und es wird nicht die letzte sein. Zwar ist das große Queensryche-Spektakel nicht wie angekündigt drei Stunden lang, sondern kommt abzüglich Verspätung und Pause im Mittelteil auf knappe zweieinhalb, doch das ist Nebensache. Losgelegt wird natürlich mit OPERATION: MINDCRIME I: Eine Schar Trommler donnert ‚Anarchy-X‘ von der optisch passend zum Konzept gestylten Bühne, bevor Geoff Tate zu ‚Revolution Calling‘ mit zeitkritischen Schildern (“U.S. out of Iraque!“, “War is terrorism“) bewaffnet die Szenerie betritt und schließlich in die Rolle von MINDCRIME-Protagonist Nikki schlüpft. Viel Schauspiel, viel Singen, viel Leiden stehen auf dem Programm, es wird theatralisch mit inneren Dämonen gerungen, Pistolen aufeinander gerichtet, geschrieen, geweint, gezürnt. Ebenfalls mit dabei: Sängerin Pamela Moore, die in wechselnden Kostümen und stimmgewaltig Sister Mary Leben einhaucht. ‚Eyes Of A Stranger‘ und ein erneuter Auftritt der Trommelgarde schließt den ersten Showteil. In der Pause zu MINDCRIME II leert sich der Platz merklich – viele meiden die Live-Umsetzung des mäßigen Nachfolgers, obwohl auch dieser sich durch opulentes Spiel und einen passionierten Tate auszeichnet. Der vermutlich stark gekürzte Zugabenblock (wohl wegen der 20minütigen Verspätung zu Showbeginn) zieht die Stimmung mit ‚Walk In The Shadows‘ und ‚Empire‘ jedoch wieder nach oben. ‚Silent Lucidity‘ bildet schließlich einen schönen Abschluss, der noch mal richtig Schauer über den Rücken jagt und den ersten Bang Your Head-Tag mit einem Knall beendet.
Samstag, 28.06.2008
Die Arschkarte des Openers hat heute Age Of Evil gezogen. Die Jungs aus Arizona machen das Beste draus, rocken und thrashen sich durch den (zum Glück!) bedeckten Vormittag und können am Schluss einige zufriedene Gesichter verbuchen.
Eigens für das Bang Your Head haben sich Secrecy reformiert. Hätten sie es doch mal lieber gelassen. Das dünne Stimmchen von Sänger Peter und Ansagen der Marke “hier stinkt’s nach Adrenalin, und das ist geil!“ sind einfach nur tierisch aua und vertreiben schnell ins hinterste Eck des Messegeländes.
Breaker machen es da schon besser. Während sich die Sonne langsam wieder unerbittlich über Balingen schiebt, sprinten und posieren Jim Hamar und seine Genossen ausgiebig, reißen vornehmlich Songs ihres GET TOUGH-Albums runter und haben allgemein jede Menge Spaß in den Backen.
Ein waschechtes Thrash-Gewitter (leider ohne kühlenden Regen) bricht mit Onslaught über die warmgelaufenen Zuschauer herein. ‚Let There Be Death‘, ‚Metal Forces‘, ‚Planting Seeds Of Death‘, ‚Burn‘ – die Nackenbrecher werden Schlag auf Schlag abgefeuert, Fäuste prügeln immer schneller in die Luft, Hörner recken sich. Der erste wirkliche Lichtblick des Tages.
Blut, Schweiß und Schminke – Vorhang auf für ein kleines bisschen Horrorshow mit Lizzy Borden. Teufelsmaske, Schädel und ein blutbeschmiertes Waffenarsenal gehören ebenso zur Grundausstattung der Amis, wie eine leichtbekleidete Tanzmaus, die besonders die Herzen der männlichen Zuschauer höher schlagen lässt. In Kombination mit schmissigen Hard Rock-Hymnen – wie ‚Me Against The World‘ und ‚Notorious‘ – ist das eine feine Sache mit hohem Unterhaltungsfaktor.
Nichts gegen die Bierzapfstelle aus Hessen, aber müssen Tankard denn nun wirklich bei jedem zweiten Festival aufs Billing gehievt werden? ‚Zombie Attack‘ oder ‚Die With A Beer In Your Hand‘ haben durchaus ihren Reiz, aber nicht umsonst gibt es das Sprichwort: Allzuviel ist ungesund. Wie dem auch sei, ihren festen Fankreis haben Tankard nach wie vor, und der wird seine Jungs auch noch nach dem Trillionsten Auftritt abfeiern als gäbe es kein Morgen. Prost!
Hardcore Superstar haben Probleme mit ihrer Flugverbindung, weshalb Obituary ihren Gig kurzfristig vorverlegen müssen. Jammern darüber? Von wegen! Straight und unerbittlich haut die Meute aus Florida einen Magenschwinger nach dem anderen aus der Reserve. Haarmonster John Tardy ist nicht zu bremsen, brüllt, gröhlt und würgt in einem fort Klassiker und Neues vom aktuellen Album EXECUTIONER’S RETURN raus, während seine Kollegen wie die Wahnsinnigen die Haare schütteln. Urwüchsig, old-schoolig, Hammer!
Mittlerweile ist klar, dass Hardcore Superstars ihren Gig ausfallen lassen müssen. Ersatz ist aber bereits gefunden: Lizzy Borden entern nochmals die Bühne und lassen gemeinsam mit einigen Gastmusikern nochmal gehörig die Sau raus. Zu ‚Be One Of Us‘, ‚American Metal‘ und ‚Give ‚Em The Axe‘ gehen die Leute gehörig steil, und spätestens beim Rainbow-Cover ‚Long Live Rock’n’Roll‘ kennt die Party keine Grenzen. Auch die blonde Tanzmaus ist wieder mit am Start und sorgt für, ähm, frischen Wind in Onkel Lizzys Lendenbereich. Jaja, long live Rock’n’Roll…
Nach so viel Gaudi wirken Grave Digger leider herzlich altbacken. Der deutsche Schwermetallkreuzer pflügt mit ‚The Reaper‘, ‚Valhalla‘, ‚Heavy Metal Breakdown‘ und ‚Rebellion‘ durch die Festivalfluten, kann der Stimmung der Vorbands aber leider nicht das Wasser reichen.
An dem Meister, an dem kein Gitarrenschüler vorbeikommt, scheiden sich seit jeher die Geister. Yngwie Malmsteen ist entweder hop oder top. Heute bei seiner Rising Force mit dabei: Tim “The Ripper“ Owens, der mal wieder die dankbare Aufgabe hat, geniale Sänger zu ersetzen – diesmal aber nicht nur einen, sondern Jeff Scott Soto, Joe Lynn Turner und Mike Vescera auf einmal. Dass der Mann singen kann steht außer Zweifel, aber seine Vorgänger sind vom Feeling her nun mal ein anderes Kaliber, also heute lediglich Dienst nach Vorschrift. Der Meister selbst hat auch schon mal bessere Tage gesehen, da kommt einiges sehr schlampig daher, besonders mit dem Timing hapert es immer wieder. Insgesamt aber immer noch eine sehr satte Leistung des Gitarrengottes.
Respekt! Die NWoBHM-Herren von Saxon liefern eine rundum gelungene Performance ab, angefangen bei der Songauswahl, über Biffs Späßchen (“Der nächste Song ist drei Ehefrauen alt.“), bis hin zu diversen Spielchen mit dem Publikum (Lautstärke messen, wollt-ihr-einen-neuen-alten-schnellen-langsamen-wasauchimmer-Song-hören?, Chordirigent etc. pp.). So muss das sein! ‚Motorcycle Man‘ und ‚Let Me Feel Your Power‘ heizen die Stimmung gleich mächtig an. “Ganz schön viel los hier heute,“ ulkt Biff und hat sich damit nach Korpiklaani am Vortag den zweiten Blitzmerker-Orden verdient. Rasant flitzen Saxon weiter ‚To Hell And Back Again‘, streifen ‚Heavy Metal Thunder‘ und ‚20.000 FT‘ und stimmen schließlich das lautstark geforderte ‚Crusader‘ an, zu dem riesige, mit Konfetti gefüllte Ballons in die Menge gefeuert werden. ‚Wheels Of Steel‘ und ‚Princess Of The Night‘ bilden das Schlusslicht. Saxon waren der eigentliche Headliner des Tages.
Klassiker-Demontage dann bei Judas Priest. Metalgod hin oder her, was da geboten wird, ist alles andere als eine Offenbarung: Halford im Glitzerfummel, tief gebeugt über die Bühne schlurfend, das Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Kein Wunder, soll ja keiner mitbekommen, dass der Chef vom Telepromter abliest. Ehrfurcht erntet man damit nicht, sondern Mitleid. Letzteres wächst stetig, beobachtet man Rob dabei, wie er sich durch Songs wie ‚Eat Me Alive‘, ‚Death‘ oder ‚Angel‘ kämpft. Klar, die Leute kriegen sich bei zeitlosen Klassikern wie ‚Painkiller‘ und ‚Breaking The Law‘ fast nicht mehr ein, trotzdem hört man besonders zum Ende der Show hin immer wieder Pfiffe und entdeckt missmutige Gesichter. Leider bei Weitem nicht der denkwürdige Auftritt, der vorab so groß beschworen wurde.
Kaum haben Priest die Bühne geräumt, ertönt Doros zarte Reibeisenröhre über die PA. Hat man die Dame doch extra eingeladen, nur um den Countdown fürs Abschlussfeuerwerk runterzuzählen. Wer’s braucht. Und während die Raketen farbenfroh über den Köpfen explodieren, fragt man sich bereits insgeheim, wen die Veranstalter wohl im kommenden Jahr zur Old-School-Heavy-Metal-Sause des Jahres einladen werden.