Vielleicht ist es Schuld der kürzlich beendeten Popkomm und ihrer zahlreichen Live-Veranstaltungen, dass der Berliner Columbia Club um kurz nach neun noch nicht aus allen Nähten platzt, sondern einem ein recht geräumiges Rumstehen zu den Klängen der Radio Dead Ones ermöglicht.
Die Berliner Band gibt sich trotzdem alle Mühe die partywilligen Anwesenden mit ihrem enegiegeladenen Strassenpunk aus der Reserve zu locken. Was im Graben vor der Bühne auch erste Früchte trägt. In Bühnengebärden und Optik sind Gitarrist Rik Oldman und Sänger Beverly Crime dem Backyard Babys Dregen/Nicke-Gespann dazu nicht unähnlich, was weiter in der Kategorie gute Einstimmung punktet.
Zwar könnten die Songs noch einen melodischeren Feinschliff vertragen, aber schließlich haben die Jungs gerade erst ihr selbstbetiteltes Debüt in die Läden gestellt – da geht also noch was. Mal schön im Auge behalten.
Doch jetzt stehen erst Mal Bullet auf dem Programm. Die schwedischen Nachwuchsmetaller haben es sich zur Aufgabe gemacht, den guten alten und wahren 80er Metal und Hard Rock ins neue Jahrtausend zu retten, wie man es bereits von ihren zwei gelungenen Alben HEADING FOR THE TOP und unlängst BITE THE BULLET kennt.
Was die Kollegen aber live zustande bringen ist schlichtweg fantastisch. Visuell wie einem DeLorean mit Flying V-Kompensator entsprungen, zelebrieren Bullet mit Nietenarmbändern, Röhrenjeans und weißen Hi Tops den Sound von Accept, Krokus und Judas Priest mit einer Energie und Hingabe, die nicht von dieser Welt stammt.
Hier findet sich gar noch ein Schuss Chuck Berry im Heavy Metal und ist die Stimme neben der Twin Gitarre noch treibende Kraft. Das zahlenmäßig gewachsene Publikum dankt es mit entsprechender Gegenbegeisterung, hier und da formieren sich Arme zum Zeichen des Hammers und selbst beim Maiden-mäßigen „Ohoho“-Part stimmt das Gros der Halle mit ein.
Einzig ein paar verirrte Emo-Mädels und Proto-Punks schauen bei diesem Mosh-Spektakel etwas verwirrt. Nach einer guten halben Stunde verlassen Bullet die Bühne, um sich dann mit dem programmatischen ‘Bang Your Head’ vom Debütalbum als Zugabe endgültig zu verabschieden, während die wieder aufkommenden Fußballchöre langsam in der Halle verhallen.
Unfassbar großartig. Und eine extrem herausfordernde Steilvorlage für unsere Babies, die nach kurzer Pause mit ‘The Ship’, ‘Come Undone’ und ‘Dysfunctional Professional’ in Angriffsstellung gehen. Doch irgendetwas stimmt nicht. Etwas müde wirken die Schweden zu Anfang und Gitarrist Dregens Mikro-Einstand bei ‘Fuck Off And Die’ klingt mit leicht überschlagender Stimme auch mehr Krächz als recht.
Doch mit ‘Brand New Hate’ hat man sich dann eingegroovet, das Moshpit kocht und leistet sogar Nickes Hüpf-Aufforderung zu ‘Degenerated’ federnd Folge, als wären Kriss Kross nie von der Bildfläche verschwunden.
Apropos Bildfläche: Neuestes Backyard Babies Gimmick sind wechselnde Backdrops mit den überdimensionierten Konterfeis unserer vier Protagonisten im Laufe der Show, die optisch an die Aufmachung der Paul Stanley, Gene Simmons, Ace Frehley und Peter Criss Soloscheiben erinnern.
Nicht nur beim Merchandise-Angebot hat man also wieder mal von Kiss gelernt. Zurück zur Show. Mit dem Dogs D’Amour/Social Distortion Gedenkstück ‘Back On The Juice’ und ‘Idiots’ folgen zwei weitere Kracher des aktuellen Albums BACKYARD BABIES, welches zusammen mit alten Gassenhauern die Setlist heute dominiert. Was auch einer der absoluten Pluspunkte des Abends ist: Noch nie hatten die Backyard Babies eine so lückenhaft leckere Songauswahl auf der Karte.
Schnell noch die TOTAL 13 Vollbedienung mit ‘Highlights’ und ‘Look At You’ und es gibt kein Halten mehr. Auch wenn sich die Babies jetzt langsam in Fahrt gespielt haben, vermisst man etwas vom ungezügelten Hunger und Action-Faktor früherer Shows. Zwar wirken die Backyard Babies endlich so herrlich abgehalftert, wie sie es in ihren Sleaze-Hymnen seit Anbeginn propagieren, jedoch scheint irgendwie etwas die Luft raus zu sein.
Nun ja, die Tour läuft ja auch schon etwas länger.‘Saved By The Bell’ kredenzt uns Nicke noch im Gesang-Gitarre-Alleingang, bis dann mit ‘Bombed (Out Of My Mind)’ Schicht ist und die Babies sich zur angekündigten Aftershow ins White Trash verpissen.
Verglichen mit den Glanzleistungen der Hellacopters auf ihrer Abschiedstour verbleibt trotz super Song-Selektion ein leicht fader Nachgeschmack sowie die Befürchtung, dass bei den Babies etwas im Busch ist. Hoffentlich ist es nur eine Erkältung oder die ganz normale gesundheitsschädliche Tour-Tortur. Schließlich wollen wir nächstes Jahr noch zwanzigjähriges Bandjubiläum feiern.
Fotos von der Band findet ihr in der Bildergalerie.