Agalloch: Schluss mit Nature-Core

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Neben ihrer traditionellen Schale mit Räucherwerk könnten bei den Brachialmystikern aus Portland, Oregon, auch bald NASA-Fotos die Bühne zieren. Auf ihrem fünften Album – dem neuen THE SERPENT & THE SPHERE – schlendert die Dark/Doom-Band um Sänger und Gitarrist John Haughm durchs Weltall. Genauer: durch den Adlernebel, auf dem Weg zum Sternbild Schlange,  in eine mythische Ferne, die hervorragend zu Agallochs Neofolk-meets Doom & Black Metal passt. Für METAL HAMMER bringt John Haughm Licht ins Dunkel…

John, was treibt euch in den sommerlichen Nachthimmel, ins Sternbild “Serpens”? Waren es die Mythen, die sich darum ranken, eine lange gehegte Faszination für die  Bilder, die das Weltraumteleskop Hubble von diesen unglaublichen Gassäulen und Sternhaufen gefunkt hat? Wie passen die in euer halb-kaskadisches Weltbild?

John Haughm: Naja, das Konzept passte perfekt zu dem Schlangenmotiv, das sich parallel zum Artwork herauszuschälen begann. Da kamen wohl ein paar glückliche Zufälle zusammen, die wir als Beweis deuteten, dass wir etwas auf der Spur waren. Mit jedem weiteren Arbeitsschritt am Album kam es uns dann vor, als offenbare sich uns das Universum. Das Sternbild Schlange wurde für uns zum roten Faden, angefangen beim Adlernebel und den Säulen der Schöpfung bis zum Ende am Schwanz der Schlange, dem Plateau der ewigen Leere.

# In eurem Oeuvre scheint ihr euch jüngst ein bisschen vom “Holzigen” abgekehrt und mehr dem Stellaren zugewandt zu haben. Spiegelt das eine veränderte Weltsicht wider?

JH: Nein, an meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Die alten Themen haben mich nur zu langweilen begonnen, und ich hatte das Gefühl, alles gesagt zu haben, was ich in diesem Bereich sagen wollte. Vielleicht wird sich das wieder ändern, aber im Moment möchte ich erst mal andere Themen erkunden. Agalloch war ja auch nie eine reine “Nature-Core”-Band; wir hatten schon immer eine philosophische und forschende Seite. Wer aufgepasst hat, sieht das in unserer Diskographie. Ich würde sagen, musikalisch ist das Album, als stünde man im Wald und blickte zu den Sternen hoch. Im Artwork gibt es ein Foto, das genau das zeigt. Außerdem mag ich den Gedanken, dass wir eigentlich das Licht schon toter Sterne sehen, wenn wir in den Nachthimmel blicken. Ihr Licht ist wie ein Geist aus der fernen Vergangenheit, der irgendwann ganz verblasst sein wird. Der Gedanke hat was Melancholisches.

# MARROW OF THE SPIRIT wurde oft als besonders “kaltes” Album besprochen; im Vorfeld gab es nicht wenige, die hofften, dass THE SERPENT AND THE SPHERE diesen Trend fortsetzen und ein noch frostigeres, abgekehrtes, archetypisches Black Metal-Album werden würde. Nach meinem Dafürhalten ist es aber wesentlich wärmer ausgefallen: Schwebend, getrieben, fragend, aber auch sehr elegant, mit einem Ohr für Details und Nischen in der Musik. Es strahlt eine tiefe, innere Wärme aus. Wie denkst du mittlerweile über THE SERPENT AND THE SPHERE?

JH: Selbstverständlich halte ich es für unser bis dato bestes Album. Jeder Künster, der seine 5 Cent wert ist, sollte seine jüngste Arbeit für seine beste halten. Worin läge sonst der Sinn, weiterzumachen? Wir versuchen immer, unseren Sound auszuweiten und auf jedem Album neue Ideen in den Mix zu geben.

# Die Songabfolge gibt einen erzählerischen Zusammenhang vor – eine symbolische Reise durch das Sternbild…

JH: Wie gesagt, da gibt es definitiv einen roten Faden, mit Motiven, die einen nachhaltigen inneren Zusammenhang darstellen. Das ganze Album wird von meinen Überlegungen zum Verhältnis von Makro-und Mikrokosmos geprägt – etwas, das auf MARROW OF THE SPIRIT begann. “Into The Painted Grey” handelte vom Geist im Universum einer einzigen pflanzlichen Zelle. So gesehen ist es immer noch ein Natur-Thema: Natur auf der molekularen und astralen Ebene. Auf THE SERPENT & THE SPHERE habe ich das nun ausweitet. Schließlich steht ‚Natur‘ für mehr als nur romantisch schneebedeckte Bäume und hübsche Sonnenuntergänge.

# Die akustischen Gitarrenbeiträge von Nathanaël Larrochette, die hier wie Zwischenspiele fungieren, vermitteln ein Gefühl von nebelumwaberter Delikatheit. Ein zerbrechliches Bild aus Lichttupfern. Wie kam eure Zusammenarbeit zustande?

JH: Als ich vor zwei, drei Jahren mit dem Songwriting für dieses Album anfing, war das so ziemlich das erste, was für mich feststand: Ich wollte zwei oder mehr echte, klassische Gitarrenkompositionen – nicht einfach gepickte Nylonsaiten, die so nachbearbeitet werden, dass sie wie eine Konzertgitarre klingen. Dazu braucht es einen richtigen, klassisch ausgebildeten Gitarristen. Zum Glück sind wir seit 2010 mit Nathanaël Larochette befreundet, der uns mit Musk Ox 2011 und 2012 auf Tour begleitet hat. Ich habe ihn damals gebeten, einige Stücke für uns zu komponieren, und ich könnte mit dem Ergebnis nicht zufriedener sein. Sie passen hervorragend zu den oszillierenden, rätselhaften Sounds, die wir für mehr Tiefe und Konsistenz hineingemischt haben. 

# In eurer Facebook-Galerie kann man hinter die Kulissen der Aufnahmen schauen – und über die von euch benutzten Paraphernalien rätseln. Welche Geschichte hat die Zither?

JH: Meine Freundin sammelt alte Zithern, und als wir 2012 in New Eingland im Urlaub waren, haben wir mehrere Exemplare in Antiquitätenläden in Vermont und Maine gefunden. Sie haben eine so geisterhaften Sound, besonders die angeschlagenen, runtergerockten Exemplare. Die auf dem Foto haben wir für ‚(Serpens Caput)‘ benutzt.

# Eine weitere Kuriosität ist das “Waterphone” – ein selten gehörter Mix aus Lamelleninstrument, Nagelgeige und Wassertrommel. Wie seid ihr darauf gestoßen?

JH: Ich besitze eins! Ich habe es schon auf meinem Album mit Mathias Grassow benutzt und fand, es würde sich an einer bestimmten Stelle der neuen Agalloch-Scheibe gut machen. Mir gehört auch die Elektrosäge, die woanders zu hören ist…

# Im Vorfeld hattest du auf Facebook gewissermaßen laut überlegt, teils wieder mehr cleanen Gesang zu benutzen. Hört man das aktuelle Album, scheinst du die Idee jedoch verworfen zu haben…

JH: Klargesang stand immer irgendwo als Möglichkeit im Raum. Aber ich bin nicht mehr ganz so scharf drauf, und ich denke auch, dass meine Stimme dafür nicht geeignet ist. Ganz ehrlich, wahrscheinlich hätten wir uns noch vor der ersten Platte einen anderen Sänger suchen sollen, aber schade, schade, das haben wir nicht, deshalb sind die Dinge nun, wie sie sind. Ich habe mich wirklich redlich bemüht, finde die Ergebnisse aber meist enttäuschend. Auf THE MANTLE und der WHITE EP schien das Material gut geeignet für klare, arrangierte Vocals. Der Klargesang auf ASHES AGAINST THE GRAIN ist aber verdammt noch mal furchtbar, und ich bedaure diese Performance zutiefst. Deshalb hatte ich mich auf MARROW komplett dagegen entschieden. Das Material brauchte es nicht, und ich wollte meine beschissenen Vocals auch nicht herbeizwingen, nur um sie drauf zu haben. Für THE SERPENT & THE SPHERE habe ich tatsächlich eine ganze Menge Klargesang aufgenommen – aber immer nur als zusätzliche Note. Weshalb sie dann auch in Konflikt gerieten mit dem vordergründigeren, manchmal ziemlich seltsamen Bass – wir haben sie dann wieder rausgenommen, weil mir der Bass wichtiger war als eine melodischen Hauptstimme. Ich denke sowieso, dass mein Klargesang am besten kommt, wenn er in der zweiten Reihe steht. Meine Lieblingszeile auf THE SERPENT & THE SPHERE ist gegen Ende von ‚Celestial Effigy‘, wo ich Growls und Klargesang über einander gelegt habe. Ich finde, das hat wirklich gut funktioniert; vielleicht werde ich sowas in Zukunft mehr versuchen.

# Die Studiopics zeigen auch schöne, alte Bandmaschinen. Ist das Album in seiner Gänze auf Band eingespielt worden? (Zugleich finde ich bemerkenswert, dass Agalloch – bei aller Liebe zu historischem Equipment – nie die “Wir sind so Vintage!”-Karte ausgespielt haben. Ihr habt euch eher für Klangebenen, Schichtung und variable Dichte entschieden, anstatt einem Fuzz-Fetisch zu huldigen, der für viele gleichbedeutend mit “Vintage” zu sein scheint…)

JH: “Vintage” um des Vintage Willen ist uns sowas von egal! Das war tatsächlich der Fehler, den wir bei MARROW OF THE SPIRIT gemacht haben: Wir waren so aufgeregt, ausschließlich Vintage-Equipment zu benutzen, dass wir darüber die Produktion des Albums ruiniert haben. Versuch‘ mal, einen zwölf Minuten langen Track mit verschiedenen Höhepunkten und Zäsuren von Hand auf einem halbkaputten 1973er Neve-Pult zu mischen, und ich zeige dir einen gottverdammten Alptraum. Klar, eine Menge Vintage-Zeug klingt besser als modernes Equipment, das stimmt schon. Meine Travis Bean-Gitarre von 1976 ist mit einiger Sicherheit das schönste und wohlklingendste Instrument, das ich je besessen habe. Aber unterm Strich wollen wir einfach die richtigen Werkzeuge für den Job. Die grundlegenden Spuren (Schlagzeug und Bass) haben wir analog auf Band aufgenommen, den Rest dann mit ProTools. Wir haben eine Reihe verschiedener Verstärker und Pedale benutzt, alte und neue, um genau den Ton zu erzeugen, der uns vorschwebte. Die meisten Delay-Effekte habe ich mit meinem 1971er Echoplex gemacht; diesen speziellen Sound kriegt man mit nichts anderem hin.

# Im übrigen bin ich verwirrt: Ihr habt in Portland bei Cloud City aufgenommen, dann mit Billy Anderson bei Everything Hz, Portland, gemischt – auf deinem Blog erwähnst du San Francisco?

JH: Ja, da ist das Album gemastert worden, bei Trackworx.

# Haben die neuen Songs schon die Live-Taufe überstanden?

JH: “Celestial Effigy” hatte letzten Oktober beim Fall Into Darkness-Festival Premiere, das lief ganz gut. Ich zweifle nicht, dass das neue Material auch live einen natürlichen Flow hat.

# Hegst du momentan weitere Solopläne?

JH: Ich hoffe, später in diesem Jahr noch ein Album mit Mathias Grassow fertig zu stellen.

# Triviafrage des Tages: Wo in aller Welt bekommt ihr in den USA das Schlenkerla her, das Bamberger Rauchbier, das zu eurem Studioritual zu gehören scheint? Selbst für hiesige Biertrinker ist das ein – sagen wir mal – erworbener Geschmack…

JH: Das ist hier ganz leicht zu finden, mindestens so leicht wie in Deutschland. Allein in der Nähe meines Hauses könnte ich dir fünf Läden nennen, die es führen. Auf unserer letzten Europatour haben wir in Köln gespielt, und der Laden neben dem Venue verkaufte es für einen Euro die Flasche… also haben wir zwei Kästen für den Bus gekauft. Die haben höchstens zwei Tage gehalten, hah! Ich hab’s auch schon direkt vom Fass getrunken, als wir die Brauerei in Bamberg besucht haben. Fantastisches Zeug.

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