1. Wildcat Tattoo Cruise: Gelungene Premiere der etwas anderen Kreuzfahrt

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Als alles angerichtet ist für die Helden des New York Hardcore, sich das Publikum vor der Bühne drängt und dann Sick Of It All zum „Love Boat Theme“ die Bühne betreten – da schaut sich manch einer verwundert, aber auch grinsend um. Ein skurriler, musikalischer Stilbruch, aber passender geht es kaum: Hier am Pool auf Deck 12 der „Mein Schiff 4“. Hier bei der ersten Wildcat Tattoo Cruise, auf Kurs gehalten von SOIA-Fan und Kapitän Tobias Pietsch. Wenig später fordert Frontmann Lou Koller: „Stellt Euch vor, Ihr seid wieder 18! Hier kommt der erste Song, den wir je geschrieben haben.“ – ‘My Life’ vom Debüt BLOOD, SWEAT AND NO TEARS (1989).

1. Wildcat Tattoo Cruise, 6. bis 11. Mai 2024

Kurzfristig wieder 18, aber vor allem sechs Tage in einer Parallelwelt – das sind die 2425 Gäste, die sich Anfang Mai von Bremerhaven nach Rotterdam, Dover und wieder zurück schippern lassen. Darunter rund 50 Tätowierer wie die Szenegrößen Randy Engelhard, Benjamin Laukis und Moni Scharnagl sowie musikalische Vertreter aus dem Hardcore-Bereich, Knorkator, Grey Daze und eine Horde Cowboys.

Es ist die Premierenfahrt: eine schwimmende Tattoo-Convention mit Konzerten und weiteren Programmpunkten, nicht zu verwechseln mit der Full Metal Cruise, die in Form von Shirts aber allgegenwärtig ist. Dort gibt es das Festivalpaket mit Rundum-Beschallung auf mehreren Bühnen. Hier steht tagsüber die Convention im Fokus, dazu Expertenvorträge, Contests, natürlich ein Pub Quiz sowie Soundchecks als intime Mini-Gigs, abends dann Konzerte und amüsante wie interessante Late Night Talks. Aber der Reihe nach.

Tag 1, Bremerhaven: Leinen los mit Hardcore

Das Bier, die Cocktails, der Aperol Spritz – der All-Inclusive-Alkohol fließt, da liegt das Schiff noch im Hafen. Die Convention auf Deck 4 beginnt, die Sonne scheint auf Deck 12. Und schnell wird klar: Diese Cruise ist szene- und generationenübergreifend. Seit November konnte die Fahrt auch als normale Kurzreise gebucht werden, nicht jeder allerdings wusste, auf was er sich da einlässt – hat an Bord aber ausreichend Möglichkeiten abseits von Körperkunst und lauten Konzerten, da auch das ganz normale Kreuzfahrtprogramm samt Musicals angeboten wird. Die große Mehrheit, geschätzt 75 Prozent, hat die Reise aber als Wildcat Tattoo Cruise gebucht.

20.30 Uhr, das Schiff läuft zu ‘Rose Tattoo‘ von den Dropkick Murphys und Unheiligs ‘Große Freiheit‘ gemächlich aus. Als die Sonne langsam untergeht und das Intro von Comeback Kid erklingt, schwingt auch schon die Erste das Tanzbein: eine Dame in Bunt um die 70 mit Sektgläschen zwischen Hardcore-Fans – und sie bleibt. Zur Freude und Verwunderung manch anderer. Die Kanadier bringen die Leute mit Songs wie ‘False Idols Fall` und ‘Crossed’ auf Touren, um schließlich nach ‘Wake The Dead’ den Staffelstab an Stick To Your Guns zu übergeben und deren Konzert als Fans zu verfolgen. Der erste Abend steht ganz im Zeichen des Hardcore. Zwischen Bühne und Pool drängen sich die Leute, lassen sich über die Köpfe tragen und feiern, andere stehen am Beckenrand und wippen mit Fuß und Kopf. Keine Konzerte für die Masse, aber für Fans. Und davon sind hier etliche.

Tag 2, auf See: Körperkunst, Konzerte und Cowboys

Während die einen um 11 Uhr die ersten Schirmchengetränke bestellen, sich andere ein paar Meter davon entfernt beim Spinning auf Deck 12 abstrampeln, halten wieder andere den Tätowierern Beine, Arme und Sonstiges hin. Um 11 Uhr beginnt täglich die Convention; viele der Künstler waren zwar vorher ausgebucht, aber wer spontan auf der Suche ist, der findet neue Ideen und neue Tätowierer. Von kleinen Erinnerungstattoos bis hin zu großen Werken, gestochen in dreitätigen Sessions, ist alles dabei. Auch 80 oder gar 100 Künstler hätten wahrscheinlich genügend zu tun gehabt.

Gut besucht sind auch die Vorträge von Tattoo-Experte Dirk-Boris Rödel, Autor und lange Jahre Chefredakteur des „Tätowier Magazins“. Launig und mit Anekdoten gespickt gibt er zum Start Tipps zur Motiv-Findung und Platzierung. Weiter zu Deck 5, ein kurzer Plausch mit Jeremy von Comeback Kid, stilsicher gekleidet im Shirt des METAL HAMMER. Wie passt Hardcore auf eine Cruise? „Da wir älter werden, mehr Falten bekommen…“ Er lacht. „Vor 20 Jahren wäre das keine Option gewesen, aber wir hatten eine Menge Spaß.“ Was folgt auf die kürzlich erschienene EP TROUBLE? „Wir sind noch in der Anfangsphase, neue Songs zu schreiben“, erzählt er. „Es gibt keine Timeline.“

Spielfreude pur

An Bord schon. Und sei es für den nächsten Sauna-Aufguss in der Panorama-Schwitzbude mit Blick aufs Meer. Oder für den Soundcheck von The BossHoss, die eine kleine Ansammlung großer Fans auf dieses Schiff gelockt haben und zum Soundcheck dazu etliche Schaulistige. Drinnen in der Schaubar zieht derweil Dean is Home, neben Jyoti Supernaturel und dem ziemlich tätowierten Gitarren-Akrobaten Andrea Chiarini täglich zu sehen, mit seiner One-Man-Show an sämtlichen Instrumenten die verschiedensten Gäste an. Spielfreude pur.

Die haben zwar am Abend auch Deez Nuts, blicken aber auf ein etwas müderes Publikum als ihre Kollegen und Freunde am Vorabend. „Wahrscheinlich habt ihr gestern mit uns gefeiert“, sagt Sänger JJ Peters. „Passt, Ihr könnt auch entspannt stehenbleiben.“ Knorkators Stumpen hält sich dran, sitzt lauschend am Pool, während andere zu ‘Crooked Smile’ die Lebensgeister in sich entdecken und es Comeback Kid-Sänger Andrew schließlich in die erste Reihe zieht.

Deez Nuts bei der 1. Wildcat Tattoo Cruise, 6. bis 11. Mai 2024

Zu The BossHoss füllt sich das Pool-Deck bereits eine Stunde vorher – zumindest direkt vor der Bühne, zum ersten Song ist es dann brechend voll. Die Berliner Country-Rocker sind so etwas wie die Konsens-Band dieser Cruise, was keinesfalls abwertend gemeint ist. Große Posen auf der Bühne, viel Applaus davor. Zu ‘Word up’ holen sie sich Zuschauer hinauf, und spätestens beim Cover-Song ‘Jolene“ schwelgt und singt der Großteil der Cruise-Community vereint im kalten Wind der Nacht.

Tag 3, Rotterdam: Lou Koller im Gespräch und ‚Hello Hangover‘

Ankunft von Sick Of It All, die am Abend spielen und am frühen nächsten Morgen wieder von Bord müssen, um an Land weitere Konzerte zu geben. „Unser Manager knechtet uns“, scherzt Lou Koller, der den Cruise-Aufenthalt mit seinem Bruder Pete bei einem Rundgang über die Convention begann und danach der Einladung des Kapitäns auf die Brücke folgte.

Was denkt er, wie gut ist SCRATCH THE SURFACE gealtert? Das dritte Band-Album feiert dieses Jahr 30. Geburtstag. „Das meiste recht gut“, sagt er, „aber manche Songs sind wirklich lang! Ich habe teils so viele Worte in eine Zeile gepackt, dass es heutzutage nicht so einfach für mich ist, dabei zu atmen. ‘Insurrection’ zum Beispiel und das Ende von ‘Who Sets The Rules’.“ Wo er das Album, das erste auf einem Major Label, einordnet? „Es hat uns auf ein neues Plateau gehoben und uns auch einem Publikum zugänglich gemacht, das über die Hardcore-Szene hinausgeht.“ WAKE THE SLEEPING DRAGON, das bisher letzte Album, stammt aus 2018. Wann kommt Nachschub? „Wir haben Teile von 30 Songs geschrieben, haben an einigen von ihnen gearbeitet, aber irgendwie kommt immer etwas dazwischen. Nach der Sommertour setzen wir uns ran und gehen im November hoffentlich ins Studio.“ Er verrät: „Die Songs klingen wie SOIA, aber wir gehen in verschiedene Richtungen. Es gibt zum Beispiel ein Lied mit vielen Black-Sabbath-Einflüssen, ein anderes ist sehr schnell, sehr wütend.“

Sick Of It All bei der 1. Wildcat Tattoo Cruise, 6. bis 11. Mai 2024

Liebhaber der harten Klänge sind gewiss nicht alle Gäste an Bord, aber spätestens an Tag drei ist klar: der Mix funktioniert. Ob im Treppenhaus beim Moin, einem Schnack im Restaurant oder an der Bar – vermeintliche Grenzen verschwimmen. „Wir waren überrascht, aber nicht negativ“, erzählt ein Ehepaar auf Deck 7. Das gilt für die meisten. Tätowierer Thomas Kellinger berichtet von mehreren Gästen Mitte die 70, die interessiert schauten, neugierig fragten und dann einen Termin für ihr erstes Tattoo wollten. Oder Lutz, der mit seiner Frau Jana an Bord ist und sich spontan am Vatertag sein erstes, kleines Kunstwerk stechen lassen wird: ein Symbol am Handgelenk für die Tochter.

Vielleicht hat sich selbst der ältere Herr, der am Montag raunte, die Gestalten an Bord sähen „unkultiviert aus“, längst angefreundet mit dem ein oder anderen Wildcat-Besucher – oder auch mit der Virtuosität Andrea Chiarinis oder den beeindruckenden Prints von Tätowiererin Moni Scharnagel. Mit der Nadel ist sie auf Florales spezialisiert, ihr Stil unverkennbar und einmalig, bei der Malerei zeigt sie eine andere Seite. Überhaupt: eine Galerie wäre eine Idee für die 2. Tattoo Cruise. So manch Künstler der Convention – auch Engelhard zum Beispiel – hätte Eindrucksvolles zu bieten.

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Am Abend ist es auf dem Pool-Deck wieder Zeit für Musik – und die könnte nicht besser passen zum auslaufenden Schiff: Jaya the Cat mixen fröhlich Reggae, Ska und Punkrock, und Sänger Geoff Lagadec stimmt mit einem Long Island Ice Tea in der Hand die inoffizielle Hymne der Cruise an: ‚Hello Hangover‘. „How are you doing, my old friend?“ Beschwingt auf eine andere Art geht es danach bei Sick Of It All zu. Lou Koller erinnert an die 38 Jahre Bandgeschichte und spielt sich mit seinen Kollegen durch die Alben – mit Fokus auf SCRATCH THE SURFACE. Beim Outro ‚Rhinestone Cowboy’ singt Bassist Craig Setari fröhlich mit, während die Koller-Brüder in den Graben springen, Leute herzen, quatschen und Fotos machen.

Tag 4, Dover: Von gefährlichen Konzerten und einer Wiedergeburt

England empfängt mit wolkenlosem Himmel und lockt etliche Cruise-Gäste zu den Kreidefelsen sowie zum Dover Castle. Andererseits: Ein halbleeres Pool-Deck bei Sonnenschein hat auch was, erst recht, wenn man in eine launige Runde mit Stumpen und Buzz Dee von Knorkator stolpert und ihren übelsten Verletzungsstories aus dem Tourleben lauscht. Vom Knall des Muskelfaserrisses unterm Fuß bis zum Sprung aus einigen Metern Höhe ins Publikum. Ungünstig, wenn jemand die Hände zum Auffangen nicht abknickt, sondern nach oben streckt. Und mit den Fingern in Stumpens Auge hängenbleibt. Ansonsten stellt der Cruise-erfahrene Herr aus Köpenick fest: „Ist ruhiger hier als die FMC, entspannter.“

Am Abend stehen Grey Daze auf der Pool-Bühne. Einer fehlt jedoch: ihr Bassist. Er sitzt im Flieger in die USA. Denn dass auch in die Parallelwelt einer Cruise die Realität auf brutale Weise hereinbrechen kann, war Mittwochabend deutlich geworden, als Grey Daze in der Schaubar auftreten sollen. „Wir wurden gerade über eine Tragödie informiert“, sagt Sänger Chris Hodges. Die Freundin des Bassisten sei gestorben.

Grey Daze, das ist die erste Band von Chester Bennington, die dieser vor den 2000ern mit Schlagzeuger Sean Dowdell gegründet hatte. Kurz vor Benningtons Tod hatten sie an Neuaufnahmen der alten Alben gearbeitet. Zum bereits terminierten Konzert kam es nicht mehr. Seit Kurzem nun ist Hodges der neue Mann am Mikro, und er macht seine Sache mit Dowdell und Gitarrist Cristin Davis großartig: keine Chester-Tribute-Show, dabei aber sein Andenken wahrend. Dazu wird klar: Dowdell und Bennington haben einst emotionale, eingängige Alternativ-Songs geschrieben, und Hodgens ist dank Stimme und Ausstrahlung eine Idealbesetzung. Hier sollte niemand vergleichen, es ist die Wiedergeburt von Grey Daze.

Knorkator bei der 1. Wildcat Tattoo Cruise, 6. bis 11. Mai 2024

23.15 Uhr, Zeit für Knorkator. Etliche Cruise-Besucher füllen das Deck fast so gut wie bei BossHoss und feiern zu ‘Sieg der Vernunft’, ‘Rette sich wer kann‘ oder ‘Wir werden alle Sterben’ in den neuen Tag. Highlight: Alf Ator singt mit Stumpens Tochter Agnetha ‘Weg nach unten’. Sowieso: Die junge Dame glänzt bei allen Einsätzen am Mikro.

Tag 5, auf See: Spaß mit Dog Eat Dog und Goodbye mit Knorkator meets Abba

Ein letzter Besuch auf der Tattoo Convention, wo schon aus der Ferne Klopfgeräusche zu vernehmen sind. Der Rundgang mit Dirk-Boris Rödel beginnt genau dort: bei Ianbeck Julien aus Borneo, der die traditionelle handgestochenen Methode beherrscht. Wir bleiben stehen bei Tibor Szalai, den er in den höchsten Tönen lobt, bei Engelhard, dessen Mentor Boris Laszlo, bei Thomas Kellinger, der mit „Hexagon Realistic“ etwas Unverwechselbares erschaffen hat und hier den Award für „Best Large Tattoo“ gewinnt. Moni Scharnagl, Derek Entenmann – Rödels Liste der Must Sees geht noch weiter. Sieger des Awards „Best of Cruise” am Ende: der in Zwickau lebende ukrainische Künstler und Tätowierer Serhii Lykov https://www.instagram.com/keshman1357, ein Meister der Farben.

Nachdem Grey Daze ihren Mittwochauftritt in der Schaubar vor rappelvollen Plätzen nachgeholt haben, entern Dog Eat Dog die Pool-Bühne – und zwar mit einem bestens aufgelegten John Connor, der mit einem Freestyle-Rap ins Rampenlicht tritt. Immer wieder sympathische Anmerkungen und Danksagungen, darunter an die Cruise-Crew, Hits wie ‘Who’s The King?’, ‘No Fronts’, ‘Isms’ und natürlich: „Mein Schiff 4, are you ready to rumble? Rocky!“ Der Schlussakt im Freien gehört dann The Subways, deren Gitarrist und Sänger Billy Lunn sich zum Ende von den Fans in den Pool manövrieren lässt, bevor er nochmal auf die Bühne klettert und mit ‘Rock & Roll Queen’ den Abend beendet – draußen jedenfalls. Drinnen sind Knorkator zu Gast bei Nori Storms Night Talk. Zum Ende wird es musikalisch: bei Karaoke mit Knorkator zu Abbas ‘Dancing Queen’. Geht immer.

Und es geht weiter: Die Planungen für die 2. Wildcat Tattoo Cruise laufen bereits.


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Melanie Haack
Melanie Haack
Melanie Haack
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Tattoos: Das sind die beliebtesten Bands

Tattoos sind heutzutage nicht mehr nur eine Szeneerscheinung, aber natürlich immer noch sehr beliebt in der Rock- und Metal-Welt. Manche Fans bringen mit einer Tätowierung ihre Liebe für eine Band zum Ausdruck. Insofern verwundert es nicht, dass der schweizerische Anbieter LLTattoo eine Studie durchgeführt hat, um herauszufinden, welche Musikgruppen am beliebtesten sind, wenn es um Farbe unter der Haut geht. Hierbei untersuchten LLTattoo die Suchanfragedaten des Google Keyword Planner, um die Menge der Suchanfragen zu ermitteln, bei denen es um Tattoos und Bands geht. In der Top Ten sind viele namhafte Rock- und Metal-Formationen gelandet -- auf Platz eins rangiert…
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