Eine der herausragendsten Leistungen in der 25-jährigen Veröffentlichungsgeschichte Metallicas ist, dass sie sich stets einen Dreck um die Erwartungshaltung von Medien und Fans geschert haben – und trotzdem zur unbestritten größten Metal-Band der Welt avancierten. Wenn man den stilistischen Raum abstecken möchte, den die Band seit dem Debüt KILL ’EM ALL (1983) beackert hat, durchbricht man die Grenzen des Speed-, Heavy- und Thrash Metal ebenso wie die des Heavy- und Alternative Rock.
Metallica blieben immer flexibel, offen für neue Einflüsse, persönlich wie musikalisch – Lidstriche, Zungenküsse, Napster-Klage und Verbalattacken gegen die eigene Klientel („Metal-Fans brauchen einen Tritt in den Arsch!“) inklusive. Dabei korrigierten sie auch gern ihre eigenen Aussagen. Über den Vorsatz „Wir werden nie ein Video drehen.“ amüsieren sich die Musiker und wir noch heute. Der Wandel als einzige künstlerische Konstante.
Die Folge all dessen: Kein Album klingt (mit Ausnahme der LOAD und RELOAD-Sessions) wie das letzte. Die viel diskutierte ST. ANGER-CD (2003) fiel allerdings selbst in erwähntem Metallica-Kontext komplett aus dem Rahmen: 75 Minuten mitgeschnittene Band-Therapie, ein fieser Snare-Sound, der die Giftigkeit des Materials auf die Spitze trieb, und ein James Hetfield, dem nach seinem Entzug niemand gesangliche Harmonien abnötigen wollte. Klar ist: Ohne diese fast schon anarchisch anmutende Arbeitsweise (inklusive der kathartischen Exhibitionismus-DVD SOME KIND OF MONSTER) wären Metallica nicht mehr existent – aber vergessen wird auch: Bereits auf ST. ANGER feierte die metallische Aggression ihre Rückkehr in den Sound des Quartetts.
Und genau da knüpft DEATH MAGNETIC an, macht aber – natürlich – wieder alles anders. Metallica erlauben sich mehrere eineinhalbminütige Metal-Intros (in der Zeit waren auf dem schwarzen Album schon fast die Soli am Start), Thin Lizzy-Harmonien, klassisch zweistimmige Soli und knacken in Serie die Sieben-Minuten-Grenze.
„Wie würden Metallica klingen, wenn heute 1986 wäre?“, sei die musikalische Maßgabe für das neue Album gewesen, berichten Frontmann James Hetfield, Gitarrist Kirk Hammett, Schlagzeuger Lars Ulrich und der neu hinzugestoßene Bassist Robert Trujillo unisono. Was natürlich in dem Sinne Quatsch ist, als dass Metallica sich auf DEATH MAGNETIC fortlaufend selbst zitieren. Teile von ‘Cyanide’ klingen nach LOAD (1996) und METALLICA (1991), die überragende erste Single ‘The Day That Never Comes’ nach einem Mix aus den Balladen ‘Fade To Black’ (1984), ‘One’ (1988) und dem höllischen Groove des schwarzen Albums. Der Opener ‘That Was Just Your Life’ nimmt den Furor von ‘Blackened’ (1988) auf, ‘All Nightmare Long’ verströmt in den letzten Minuten den primitiven Charme von KILL ’EM ALL (ebenso wie der Rausschmeißer ‘My Apocalpyse’). Ja, selbst einige ST. ANGER-Momente finden sich in ‘The Judas Kiss’ oder in der sich partiell überschlagenden Stimme von James Hetfield.
Auch ein Instrumental (‘Suicide & Redemption’) taucht nach zwanzig Jahren Abstinenz wieder auf, wobei dieses nicht ganz an die Intensität und Brillanz seiner Vorgänger ‘The Call Of Ktulu’, ‘Orion’ oder ‘To Live Is To Die’ heranreicht. Nach langer Abstinenz kommt zudem der typisch abgehackte Gesangsstil des Thrash Metal zu seinem Recht. Kein Wunder also, dass die neue CD oft mit der progressiven Denkweise von …AND JUSTICE FOR ALL (1988) verglichen wird, wobei dieses Album stilistisch sehr viel stringenter konzipiert war. Metallica preschen auf DEATH MAGNETIC im Stechschritt durch ihre eigene Historie – und zwar gern in ein- und demselben Song. In ‘The End Of The Line’ gelingt beispielsweise der gewagte Spagat zwischen der LOAD-Zeit und ‘Creeping Death’, ‘Broken, Beat & Scarred’ kreuzt ‘Wherever I May Roam’ im Soloteil für einige Minuten mit ‘Master Of Puppets’ (1986).
Aufgrund dieses Puzzle-Charakters ist DEATH MAGNETIC zwangsläufig ein Werk, das öfter gehört werden muss – einzige Ausnahme: die ohnehin kompakte Ballade ‘The Unforgiven III’. Und: Es lohnt sich, hier Zeit zu investieren. Mir, der METALLICA für das Überalbum schlechthin hält, wäre an mancher Stelle zwar das Bob Rock-Glätteisen ganz lieb gewesen, um Übergänge flüssiger zu gestalten, aber dafür entwickelt die Produktion von Rick Rubin einen extrem herausfordernden Charakter. Ich bin sicher: DEATH MAGNETIC wird mich noch Monate zu fesseln wissen. Ihr wolltet ein Album, das hundertprozentig nach Metallica klingt und trotzdem zu überraschen vermag? Hier ist es. Was als nächstes kommt? Das kann bei dieser Band niemand sagen. Zum Glück.
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