Meine Heimatstadt Sömmerda hatte seit Beginn der 80er eine starke Metal-Szene. In schwarzes Leder gekleidete Gestalten mit Nietengürteln und langen Haaren versetzten die Bürger der Thüringer Kleinstadt in ungläubiges Erstaunen und Entsetzen. Die Musik-Fans nannten sich „Heavies“ und hörten anfangs vor allen Dingen klassische Bands wie Judas Priest, Iron Maiden und Motörhead.
Als eifriger Radiohörer verbrachte ich ganze Nächte vor dem Gerät, um diese Musik mit Hilfe meines „Stern-Rekorders“ (die Platten gab es ja in der DDR so gut wie nicht) mitzuschneiden. Und obwohl um einige Jahre jünger, dauerte es nicht lange, bis ich zu einem Teil dieser nicht gerade staatskonformen Jugendkultur wurde. Wichtig dafür waren vor allen Dingen Sachkenntnis (‘Crusader’ von Saxon sollte man schon annähernd mitgrölen können), ein gewisses Maß an Trinkfestigkeit (hier scheiterte der Schreiber kläglich, indem er bei seinem Antrittsbesuch den Tisch samt zugehöriger Decke und Getränken vollständig abdekorierte) und das gängige Outfit.
Lederjacken waren leider Mangelware, doch ein ortsansässiger Bäcker verstand sich vortrefflich auf das Schneidern dieser – nebst dazu passenden Hosen und Westen. Er fertigte die Sachen aus Kunstleder, das aus einer nahegelegen Kofferfabrik stammte. Infolge der nicht gerade atmungsaktiven Materialzusammensetzung kam es in den Hosen bei höheren Außentemperaturen zu unangenehmer Geruchsbildung und bei den Jacken im Frostbereich zur Komplettversteifung – man konnte die Jacken einfach mal in die Ecke stellen.
Falls man Bekannte bei der Deutschen Reichsbahn hatte, zierte das wallende Haupthaar eine mit Ketten und Nieten optisch aufgewertete Bahnermütze im Stil von Rob Halford. Nietenarmbänder und –gürtel waren selbstverständlich Eigenlaborate, wobei auch Spikes aus dem Sportbereich und Transportriemen für das Endlospapier der im Ort hergestellten Kleincomputer-Drucker zur Verwendung kamen. Bei deren illegaler Beschaffung soll es übrigens zu beträchtlichem volkswirtschaftlichen Schaden gekommen sein. Ich trug außerdem ein mit Dachpappennägeln verziertes Hundehalsband, von dessen Einsatz ich aber nach diversen Polizeikontrollen und einem Kneipenrauswurf schnell wieder Abstand nahm.
Wir trafen uns regelmäßig erst in einem ehemaligen FDJ-Jugendklub, später dann im „Bootshaus“ und im „Volkshaus“. In letzterem wurde am Wochenende die örtliche Tanzveranstaltung durchgeführt. Wir hatten unseren eigenen Sitzbereich, der für Szenefremde absolut tabu war. Gegen Mitternacht verließen die Popper fluchtartig die Tanzfläche, denn diese gehörte dann für ungefähr eine Stunde den Schwermetallern. Der Diskjockey erfüllte ab und an diverse Sonderwünsche durch das Abspielen mitgebrachter Tonbandkassetten oder wurde, wie im Falle von Razors ‘Nowhere Fast’ einfach dazu gezwungen.
Angesagte DDR-Bands dieser Zeit waren Macbeth, Hardholz, Formel 1 und die herausragenden MCB. 1986 kam der ehemalige Keks-Gitarrist Sebastian Baur in diese Band und mit ihm wurden meine absoluten Ost-Metal-Highlights ‘Heavy Mörtel Mischmaschine’ und ‘Lied des Galgenbruders an Sophie das Henkersmädel’ produziert. Heute kennt man Sebastian Baur übrigens als BuzzDee von Knorkator.
Es gab auch so manche Gruppenreise mit Bus oder Bahn zu den wenigen Metal-Konzerten in der Umgebung, welche immer für erhebliches Aufsehen sorgten. Kein Bahnschaffner war so todesmutig, das mehrere Abteile füllende, meist „stark alkoholisierte Gesindel“ nach gegebenenfalls vorhandenen Fahrausweisen zu fragen! „Ihr habt ja sowieso alle `ne Fahrkarte!“, hieß es und der Bahnbeamte schlug ein Kreuz, wenn alle den Zug wieder verlassen hatten.
Durch das Aufkommen neuer Metal-Bands und Stilrichtungen kam es 1986 zu einem enormen Zulauf in unserer Szene. Mit Sodom, Kreator und Destruction begann der „schneller, lauter, brutaler“-Wettkampf, Carnivore erschienen auf der Bildfläche, mit Venom und Bathory begann der Siegeszug des Black Metal. Slayer veröffentlichten mit REIGN IN BLOOD einen unerreichten Meilenstein, Voivod verstörten und begeisterten in gleichem Maße mit RRRÖÖÖAAARRR und Metallica begaben sich mit MASTER OF PUPPETS auf den Weg nach ganz oben.
Die neuen Metal-Fans trugen aber kein Leder mehr, sondern Jeans und T-Shirts, die alten Heavies schlossen sich der neuen Mode schnell an. Ihnen waren die Repressalien der Staatsmacht inzwischen so sehr zuwider, dass viele es vorzogen, im weniger auffälligen Look ihrer Leidenschaft zu frönen. „Metallica tragen auch Jeans“, wurde zum Motto des Jahres.
Ich persönlich lernte die Band Schleimkeim kennen und gründete daraufhin mit ein paar Freunden die Punk-Band Brechreiz 08/15 (heute Kollektiver Brechreiz). Von nun an existierten Sodom und The Exploited (zumindest als Buttons an meiner Kunstlederjacke) einträchtig nebeneinander.
Bands wie S.O.D., Extreme Noise Terror und Metallica selbst (mit ihrer Vorliebe für die Misfits) sorgten dafür, dass wir alle zusammen als eine große Gruppe von „schrägen Vögeln“ zumindest in der Kleinstadt Sömmerda im Jahre 1986 friedlich den harten Klängen huldigen konnten.
Für meine Freunde aus der Metaller-Ecke war meine Entwicklung zum Punkrocker nach dem ersten Iro-Schock letztendlich doch kein so großes Problem. Ob ich aber der finalen Strafe des True-Metal-Gottes dmait allerdings entgehen kann, bleibt abzuwarten.
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